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Angeber

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Bescheidenheit, Mäßigung, Maßhalten (modestia, moderatio, modus) – das waren Wertbegriffe, die in der großbürgerlichen Ethik Roms weit oben rangierten und denen auch Philosophenschulen sämtlicher Couleur kräftig Beifall zollten. Im wahren Leben wurden dieser ethischen Norm nicht allzu viele Römer gerecht, wobei wir hier notgedrungen von der Oberschicht sprechen. Zumindest in materieller Hinsicht hatte die einfache Bevölkerung nichts, mit dem sie den modus, das „Maß“, hätte überschreiten können. Tatsächlich herrschte in der „feinen“ Gesellschaft Roms ein intensiver Wettbewerb in Sachen Statussymbole und Luxusentfaltung, der das Her- und Vorzeigen prächtiger Villen und Bankette, wertvoller Kleidung und einer großen Zahl von Sklaven geradezu notwendig machte. Hast du was, dann bist du was – diese Devise galt auch schon im Alten Rom, allerdings mit dem Zusatz, dass man das, was man hatte, auch möglichst unübersehbar zur Schau stellte. ostentatio heißt dieses „Protzen“ auf Lateinisch – und das ist bei genauem sprachlichem Hinsehen ein wunderbar anschaulicher Begriff. Er hat sich aus obs-tentatio entwickelt. Das ist das „Entgegen-Strecken“. Man könnte auch sagen: das Unter-die-Nase-Halten. Man kann ohne Übertreibung formulieren, dass es in der Oberschicht tagtäglich darum ging, sich wechselseitig die wertvollen Dinge, die man sich leisten konnte, unter die Nase zu halten, von der sündhaft teuren Perlenkette bis zum repräsentativen, vorsichtshalber schon zu Lebzeiten errichteten Grabmal.

Bei römischen Historikern, Philosophen und anderen Intellektuellen finden sich herbe kritische Abrechnungen mit dieser Üppigkeit (luxuria). Indes kam diese Kritik stets aus luxuriösem Ambiente. Das hatte zumindest den Vorteil, dass die Kritiker wussten, wovon sie sprachen, diente aber nicht unbedingt der Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit derer, die rhetorisch vehement für modestia und gegen iactatio oder vanitas („Prahlerei“; „Eitelkeit“) zu Felde zogen.

Immerhin war das ein Angeben, Protzen oder, vornehmer ausgedrückt, Renommieren mit Substanz: Man zeigte etwas, das man tatsächlich hatte, und spiegelte nicht nur dessen Besitz vor. Aber es gab in der römischen Gesellschaft auch den anderen Typ des Angebers: den, der wirklich nur durch Großsprecherei und Aufgeblasenheit auffiel, ohne etwas Konkretes vorweisen zu können. Eine Mittelstellung zwischen den beiden Formen des Angebens nimmt der wohl berühmteste Angeber aus dem Alten Rom ein – der neureiche Freigelassene Trimalchio. Er ist zwar „nur“ eine literarische Schöpfung Petrons in seinem Schelmenroman „Satyrica“, aber ohne Zweifel entsprechenden „Typen“ der Realität herrlich nachempfunden. Das „Gastmahl des Trimalchio“, gehört zu den unterhaltsamsten Perlen der lateinischen Literatur, ein Stück Sozialkritik, das mit flottem satirischem Florett daherkommt.

Wir erleben Trimalchio als Gastgeber, der im Kreise anderer Freigelassenen mit allem protzt, das sich denken lässt. Ein Spiegel jenes Renommierens im aristokratischen Umfeld, das auch dort jedes – zumindest fast jedes – Gastmahl prägte –, nur mit dem Unterschied, dass man in den Kreisen der etablierten Elite kultivierter und geschmackvoller zu prahlen verstand, während der Aufsteiger Trimalchio den Bogen pausenlos überspannt und eine peinliche Angeberei an die andere reiht. Er ist tatsächlich schwerreich, ein Multimillionär, der finanziell blendend dasteht. Seine Gäste haben keine Chance, das zu übersehen. Aber Trimalchio begnügt sich nicht mit diesem augenscheinlichen obs-tendere, sondern kommentiert seine Erfolgsstory auch noch ständig selbst – und übertreibt zudem maßlos, wenn er etwa von Gewinnen von zehn Millionen Sesterzen und der Geburt von 70 ihm gehörenden Sklavenkindern an einem einzigen Tag schwadroniert (Petr. 53) oder überlegt, „jetzt noch Sizilien an meine Grundstückchen anzuschließen“ (48, 3). Gänzlich hohl dagegen ist seine Angeberei mit Bildung: Er besitzt schlicht keine und entlarvt sich indirekt selbst, wenn er Hannibal mit der Eroberung Trojas in Verbindung bringt, Trojaner und Tarentiner in Homers Epos gegeneinander kämpfen lässt (50, 5; 59, 4) oder sich als Hobby-Astrologe in furchtbarem Quatsch ergeht (39).

Hat Trimalchio wenigstens in Sachen Reichtum eine gediegene Basis für seine Aufschneidereien vorzuweisen, so ist ein anderer bekannter Angeber in der lateinischen Literatur jener Sorte aufgeblasener Selbstdarsteller zuzurechnen, die die Römer als grandiloquentes oder magniloquentes bezeichneten: „Großsprecher“. Die Rede ist von dem miles gloriosus, der Titelfigur einer Komödie des Plautus aus dem 3. Jh. v. Chr.: ein „ruhmreicher Soldat“, der bei genauem Hinsehen ein erbärmlicher Maulheld ist, ein Angeber mit großer Klappe und nichts dahinter. Hört man ihm selbst zu, so „sehnen sich meine Arme danach, aus den Feinden Hackfleisch zu machen“. Sein Parasit, der ihm gewöhnlich zum Munde redet, weiß es in einer nur an die Zuschauer gesprochenen Passage besser: „Wer je ein größeres Lügenmaul als dieses sah, so vollgepfropft mit Prahlerei wie dieser Kerl, dem geb’ ich mich sofort zum Sklaven hin“ (Plaut. mil. glor. 21ff.; Ü: W. Binder).

Blender, Angeber und Großsprecher wurden auch von den Satirendichtern aufs Korn genommen, ebenso bevölkern sie die Spottepigramme Martials: Ob es ein Afer ist, der mit riesigen, angeblich von ihm verliehenen Summen protzt und eigentlich dafür zur Kasse gebeten werden müsste, dass er diese Lügen tagtäglich seinen Bekannten auftischt (IV 37; ähnlich IV 61), ein Diodorus, der angeblich Senatoren und Ritter in großer Zahl zu seinem Geburtstag zu Gast hat, den aber in Wirklichkeit kein Mensch kennt, ein Phoebus, der „mit einem nichtigen Geschenk angibt“ (vano munere iactes; IX 102, 3) oder ein lyrisches Ich, das mit Liebesabenteuern prahlt, tatsächlich aber kaum sexuelle „Erfolge“ aufzuweisen hat. Sein Name: Martial (z.B. XI 97).

iactatio, „Prahlerei“, beschränkt sich bekanntlich nicht nur auf materielle Werte, auf gesellschaftliche Kontakte und amouröse Eroberungen. Es gibt auch eine iactatio der Intellektuellen, und dieses Angeben – nein, sagen wir: Renommieren – war auch römischen Geistesgrößen nicht fremd. Martial selbst birst mitunter vor Selbstbewusstsein, wenn er darauf hinweist, dass in ganz Rom „jeder Gewandbausch, jede Hand mich (d.h. seine Gedichtbücher) hält“ (VI 61, 2).

Die iactatio der künstlerischen oder intellektuellen Koryphäe kam nicht bei allen gut an. Quintilian warnt in seinem berühmten Rhetorik-Handbuch alle Redner eindringlich: „Vor allem ist das Großtun mit der eigenen Person (sui iactatio) ein schwerer Fehler, beim Redner aber ganz besonders, denn es bereitet den Zuhörern nicht nur Widerwillen, sondern kann sogar oft Hassgefühle auslösen“ (inst. or. XI 1, 15). Um prominente Beispiele ist Quintilian nicht verlegen. Er nennt an erster Stelle Cicero, „der in dieser Hinsicht manch herben Tadel einstecken musste, auch wenn er sich mehr mit seinen Taten als mit seiner Beredsamkeit großtat“ (XI 1, 17). Im Lateinischen steht da iactator für Cicero. Streng übersetzt: „Angeber“. So ganz unrecht hatten die Tadler nicht, die Quintilian erwähnt. Cicero geht wegen seiner Neigung, ständig mit seinen eigenen Verdiensten zu renommieren, auch manchem heutigem Leser auf die Nerven. „Angeber“ erscheint uns aber als zu hartes Wort dafür. Wer es dennoch benutzt, sollte wenigstens eines einräumen: ein „Angeber“ mit Substanz.

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