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Extremsport

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Freeclimbing, Ultramarathon und ähnliche sportliche Herausforderungen für Physis und Psyche waren der römischen Zivilisation fremd. Ihre Mentalität richtete sich vorwiegend auf Nützlichkeit einerseits und Bequemlichkeit andererseits. Und ihre philosophischen Vordenker spornten eher zu geistig-moralischen als zu körperlichen Hochleistungen an. Ein bisschen Fitness-Training müsse sein, befand z.B. Seneca und verlegte sich vor allem aufs Joggen und Springen. Aber sobald man erhitzt sei und müde werde, sei es auch gut; dann solle man „rasch vom Körper zum Geist zurückkehren“. Was ihn angeht, ist Seneca Höchstoder sogar Extremleistungen nicht ganz so abgeneigt: „Ihn trainiere Tag und Nacht!“ (ep. 15, 1ff.; 83, 3).

Als nützlich wurde der Sport empfunden und propagiert, wenn er die jungen Männer auf den Militärdienst vorbereitete. Dabei kam es auf Ausdauer, Geschicklichkeit und allgemeine Fitness an, nicht aber auf die Herausbildung einseitiger Talente oder ganz bestimmter Muskelgruppen. Und riskant brauchte diese sportliche Betätigung auch nicht zu sein; die Gefahr stellte sich noch früh genug im kriegerischen Ernstfall ein. Im Übrigen fehlte der Antike ein wesentliches Stimulans, das heutzutage die Motivation, sich einem Extremsport zu verschreiben, kräftig erhöht: Es gab keine Medien, die den ambitionierten Wettbewerb einerseits befeuert und andererseits durch Berichterstattung belohnt hätten.

Eine Ausnahme bildete nur der Zuschauersport. Da war das Interesse derer, die es für sich selbst gern bequem hatten, an Rekorden und Rekordleistungen der „Aktiven“ groß. Kein Wunder, dass sich die wenigen Informationen, die zu römischen Extremsportlern vorliegen, auf diesen Bereich der öffentlichen Show-Darbietungen konzentrieren.

Dazu zählten legendäre Laufleistungen. Der Marathon-Lauf war bezeichnenderweise nie eine reguläre sportliche Disziplin im Athletensport. Er ist eine Schöpfung der Moderne, auch wenn er auf einen vermeintlich historischen Lauf des Jahres 490 v. Chr. zurückgeht. Dass professionelle Läufer in klassisch-griechischer Zeit manchmal extreme Ausdauerleistungen vollbracht hatten, wurde hier und da von Geschichtsschreibern festgehalten (Plin. NH VII 84). Für das römische Publikum zählte indes mehr, wenn es eine gute sensationelle Lauf-Show im Circus Maximus live miterleben und bestaunen konnte. Plinius berichtet von Extremsportlern, die eine solche Show zu bieten verstanden. Manche Circus-Läufer hielten 160.000 Doppelschritte durch, gibt er an. Das entspricht einer sagenhaften Strecke von 237 km. In welcher Zeit diese Laufleistung vollbracht wurde, erfahren wir nicht. Noch erstaunlicher ist das, was er von einem achtjährigen Knaben zu berichten weiß: Der sei im Jahre 59 n. Chr. von Mittag bis Abend 75.000 Schritte, mithin 111 km, gelaufen – ebenfalls im Circus vor einem Riesenpublikum (Plin. NH VII 84).

Dort traten auch jene desultores auf, die bei Galopptempo von einem Pferd aufs andere sprangen und mit weiteren akrobatischen Reiterkunststücken glänzten. Außer ihrer Bezeichnung „Abspringer“ wissen wir wenig über ihre konkreten Darbietungen. Dass sie mindestens so gefährlich waren wie die halsbrecherische „Performance“ der römischen Jockeys im Wagenrennen, dürfte klar sein und sie in die Nähe von – wenn auch professionellen – Extremsportlern rücken. Die equestrischen Darbietungen, die junge Römer vornehmer Abstammung zur Zeit Caesars vorgeführt haben, waren sicher auch eine bewundernswerte Mutprobe, dürften aber weder vom Risiko noch von der Artistik die routinierte Exzellenz der Profis erreicht haben (Suet. Caes. 39, 2).


Auch wenn die Gladiatur nicht selten dem Bereich Sport zugeschlagen wird, scheint diese Kategorisierung problematisch. Gladiatorenkämpfe gehören nach moderner wie nach römischer Einschätzung eher zum kriegerischen „Handwerk“ und finden daher hier keine Berücksichtigung. Anders verhält es sich mit den schwerathletischen Disziplinen, die Teil der griechischen Agonistik waren: Ringen, Boxen und Pankration zählten zu den certamina Graeca, „griechischen Wettkämpfen“. Sie waren aufgrund dieser Tradition im griechischsprachigen Osten des Reiches deutlich populärer als im lateinischen Westen. Aber auch hier zählten sie zu den Massenunterhaltungen. In der Hauptstadt schuf Kaiser Domitian ihnen gegen Ende des 1. Jh.s n. Chr. mit dem nach ihm benannten Stadion, der heutigen Piazza Navona, eine Heimstatt, die mehr als 20.000 Zuschauern Platz bot.

Allen schwerathletischen Disziplinen könnte man wegen ihrer besonderen – schon von den Griechen praktizierten – Regeln den Status eines Extremsports zuweisen: Es gab keine Runden, die durch Pausen unterbrochen worden wären, und keine maximale zeitliche Kampfdauer. Jeder Kampf ging so lange, bis ein Kontrahent besiegt am Boden lag oder aufgab. Die Verletzungsgefahr war enorm. Tödliche Unfälle überschatteten schon im klassischen Hellas manche schwerathletischen Wettkämpfe. Eine besonders extreme Variante des hochriskanten Sports bot das Pankration: Beim „Allkampf“ war alles erlaubt außer „Beißen und Graben“ (Letzteres meint vermutlich das Bohren des ausgestreckten Fingers in Körperöffnungen). Kein Wunder, dass dort wie beim Faustkampf häufig Blut floss, dass aber auch erlaubte Tiefschläge, Beinscheren, Gliederverdrehen und andere im modernen Kampfsport als regelwidrig geltende Griffe eine Brutalisierung des sportlichen Geschehens bewirkten. Mindestens da kommt eine moderne Extremsportart ins Spiel, die erst jüngst neu erfunden worden ist: mixed martial art heißt sie oder ultimate fighting. Wobei sie ja bei genauem Hinsehen so neu gar nicht ist. In Olympia war sie unter dem Namen „Pankration“ seit 648 v. Chr. Teil des sportlichen Programms.

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