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Altersarmut

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„Worin besteht eigentlich der Reiz eines aufgeschichteten Geldhaufens?“ (quid habet pulchri constructus acervus) fragt der Satiriker Horaz provokant, um die ungezügelte Gier der Menschen nach materiellen Reichtümern zu tadeln (sat. I 1, 44). Zielscheibe seiner Kritik ist das Raffen von Geld und Vermögen um seiner selbst willen – sicher ein Thema, das seine Aktualität nach 2000 Jahren nicht verloren hat. Als Typus des uneinsichtigen Geizkragens, der seinen Reichtum nicht nutzt, sondern allein daran Gefallen findet, modern gesprochen, seine Konto-, Depot- und Grundbuchauszüge anzusehen, führt Horaz einen legendären Alten aus Athen an. Der gibt auf das Getuschel der Leute über seinen notorischen Geiz nichts. Sondern: „Ich klatsche mir daheim selbst Beifall, sobald ich die Goldstücke in der Truhe anschaue“ (V. 66f.).

Dieser autonom sich dünkende Greis war von Altersarmut offenkundig nicht betroffen. Aber es gab natürlich genügend andere, die eben die von Horaz kritisierte Sparmentalität an den Tag legten, „um sich im Alter in eine gesicherte Muße zurückziehen zu können“ (V. 31) – und die es dann mit der Vorsorge gelegentlich so übertrieben, dass sie kaum noch an anderes dachten. Angesichts der im Alter drohenden Ermattung und nachlassenden Leistungsfähigkeit war es ja nicht verkehrt, sich rechtzeitig einen „Vorrat“ oder „Haufen“ anzulegen, von dem man zehren konnte, wenn man sich zur Ruhe setzte oder setzen musste (vgl. auch Hor. ars p. 169ff.). Dieses Sich-zur-Ruhe-Setzen war eine freiwillige oder eine vom Alter erzwungene Entscheidung. In einer Gesellschaft, die keine Sozial- und Rentenversicherung und keine Pensionsgrenze, keine staatlichen Wohlfahrtsprogramme und keine Absicherung gegen das Krankheits- und Arbeitsunfähigkeitsrisiko kannte, war private Vorsorge die einzige einigermaßen sichere Möglichkeit, sich vor Verarmung in fortgeschrittenem Alter zu schützen. Das Problem betraf nicht so viele Menschen wie heutzutage – die Zahl der über 60-Jährigen wird für die junge Gesellschaft Roms auf 10–15 % geschätzt –, aber es war ein Problem.

Und es wurde erstaunlicherweise auch als solches empfunden. „Erstaunlicherweise“ deshalb, weil die allermeisten Autoren, die sich einschlägig dazu äußern, nicht persönlich betroffen waren. Sie gehörten zu den happy few, die über Grundbesitz und andere Vermögenswerte verfügten, mit denen sie schon lange vor Eintritt des Alters – im Grunde ihr gesamtes Leben lang – als Rentiers leben konnten. Gleichwohl war die Altersarmut auch in diesen aristokratischen Kreisen ein Thema.

So räumt selbst der Alte Cato, den Cicero in seiner Schrift de senectute für die eher angenehmen Seiten des Alters eintreten lässt, ein, dass opes und copiae, „materielle Mittel und Möglichkeiten“, schon hilfreich seien, das Greisenalter zu ertragen (Cic. sen. 8) – immerhin jener Cato, der sich seinerseits ziemlich skrupellos von alten Sklaven wie von „anderem überflüssigen Zeug“ trennte und sehr wohl wusste, in welches Unglück er einen so „abgestoßenen“ Sklaven stürzen werde (r.r. 2, 7). An anderer Stelle bezeichnet Cato/Cicero paupertas und senectus, „Armut und Greisenalter“, als „die beiden Lasten, die nach allgemeiner Einschätzung als die größten gelten“ (Cic. sen. 14). Dabei ist unter paupertas noch keineswegs die bitterböse Armut zu verstehen, die mit Hunger und Perspektivlosigkeit einhergeht, sondern materielle Verhältnisse, bei denen man zwar nicht aus dem Vollen schöpfen kann, aber noch mehr als genügend besitzt, um satt zu werden und ein Dach über dem Kopf zu haben.

Am klarsten spricht der im 2. Jh. n. Chr. lebende griechische Philosoph Iuncus aus, was die schlimme Kombination aus Alter plus Armut anrichten kann: „Wenn aber einen gealterten Mann auch noch Armut treffen sollte, dann dürfte er selbst wünschen, endgültig aus dem Leben scheiden zu dürfen“, zumal der Alte auch aus der Sicht seiner Mitbürger einen „schmerzlichen, armseligen und allzu lange dauernden Anblick darbietet, anders ausgedrückt: eine wahre Ilias von Übeln“ (Stob. Flor. 50, 2, 85). Selbst Diogenes, der „Tonnenphilosoph“ und Prophet der Bedürfnislosigkeit, stellt fest, dass der géron áporos, der „mittellose Greis“, das schlimmste Bild abgebe, das sich überhaupt denken lasse (Diog. Laert. VI 51). Allerdings beschreibt das Adjektiv áporos alle möglichen Formen der Bedürftigkeit, Ohnmacht und Unmöglichkeit – die materielle, aber auch die physische und die psychische, bei der sich Hoffnungslosigkeit mit dem Gedanken an Alterssuizid verbindet.


Stimmt es, dass …

… die freien Bürger Roms dank „Brot und Spielen“ nicht arbeiten mussten?

Nein. Es gab in der Stadt Rom 200.000–250.000 Empfänger kostenlosen Getreides. Anspruchsberechtigt waren nur Männer. Der Nährwert lag bei ca. 3.500 Kalorien am Tag. Das reichte schon für einen einzigen körperlich schwer arbeitenden Menschen, z.B. einen Lastenträger und einen Bauarbeiter, in einer weitgehend auf Muskelkraft basierenden Gesellschaft nicht aus; erst recht nicht, um eine ganze Familie zu ernähren, von weiteren Lebenshaltungskosten für Miete, Kleidung usw. ganz zu schweigen. Weder die Geld- noch die Naturalgeschenke, die die Kaiser ab und zu verteilen ließen, summierten sich auch nur annähernd zu einem notwendigen Mindesteinkommen. Ohne eigene Erwerbsarbeit wären viele Menschen schlicht verhungert.

Der Eintritt zu den Spielen war kostenlos, aber die Sitzplatzkapazität besonders in den Theatern, in denen der Großteil der spectacula („Schauspiele“) stattfand (ludi scaenici, „Bühnenaufführungen“), war beschränkt. Aus reinen Kapazitätsgründen kam der Einzelne vielleicht zehnmal, höchstens 15-mal im Jahr in den Genuss von circenses. Das waren für ihn Tage ohne Gelderwerb; bezahlten Urlaub kannte die Antike bis auf wenige Ausnahmen nicht.

Beide Stichwörter – „Brot“ und „Spiele“ – verbinden sich also mit erheblichen Einschränkungen und lassen, schaut man einmal genau hin, den schönen Traum vom „anstrengungslosen Wohlstand“ und „Freizeitparadies Rom“ schnell platzen. Tatsächlich hat das berühmte Wort, das römische Volk „wünsche ängstlich nur noch panem et circenses“, kein nüchtern analysierender Historiker geprägt, sondern der Satiriker Juvenal (X 80f.). Und Satire bildet bekanntlich ebenso wenig wie heute das Kabarett die Wirklichkeit eins zu eins ab. Außerdem formuliert Juvenal, das römische Volk „wünsche“ diese beiden Dinge. Wünschen kann man sich vieles – vor allem das, was man nicht hat.

In den „besseren“ Kreisen dürfte Altersarmut kaum eine Rolle gespielt haben, weil man dort zeitlebens über Ressourcen verfügte, die einen materiell unabhängig machten. Anders dagegen beim Gros der Menschen. Wer auf Erwerbsarbeit angewiesen war, musste sich, falls er den eingangs erwähnten „Haufen“ nicht aufgetürmt hatte, Gedanken machen, wie er sich im Alter finanzieren wollte. Freilich hatten die allermeisten Menschen überhaupt keine Chance, Rücklagen für ihr Alter zu bilden, weil sie stets an der Grenze des Existenzminimums lebten. Ganz konkret bedeutete das für den Normalbürger: Er arbeitete so lange für seinen und seiner Familie Lebensunterhalt, wie es ging. Ein Rentnerdasein war für ihn nicht vorgesehen.

Das betraf auch die Witwen, die eine recht große Gruppe unter den Frauen bildeten – schätzungsweise 20 % und mehr. Wie sollte es nach dem Tod des Ernährers weitergehen? Der strukturelle Altersunterschied zwischen den Eheleuten – Männer heirateten im Schnitt ein Jahrzehnt später als Frauen – verschärfte dieses Problem. Für viele Frauen, die nicht auf das Familienvermögen einer wohlhabenden gens zurückgreifen konnten, hieß das: Sie setzten ihre Erwerbsarbeit fort oder nahmen erstmals eine auf – etwa als Verkäuferin, Friseuse oder Wirtin. Eine Wiederheirat im Sinne einer Versorgungsehe war in vorgerücktem Alter eher unwahrscheinlich.

Die Alternative dazu war, dass Witwen und allgemein alte Leute, die nicht mehr arbeitsfähig waren, im Haushalt eines Kindes unterkamen. Dass dies ein häufig praktiziertes „Modell“ war, zeigt sich u.a. an den Klagen, die sich auf Grabsteinen früh verstorbener Kinder finden. Da betrauern die Eltern nicht nur den Tod des Kindes, sondern geben auch ihren Ängsten bezüglich einer senectus deserta, eines „verlassenen Greisenalters“, Ausdruck. Sie sehen sich in ihrer Hoffnung, der Altersarmut aufgrund einer Versorgung durch ein Kind zu entkommen, durch den vorzeitigen Tod des potenziellen Versorgers getäuscht (CIL II 3475; V 2435). Dabei waren Eltern, die es sich leisten konnten, solche Grabsteine in Auftrag zu geben, von der befürchteten Verarmung deutlich weiter entfernt als die meisten, die nicht über die Mittel für eine solche „epigraphische Klage“ verfügten.

Waren Kinder zum Unterhalt ihrer Eltern verpflichtet, wenn diese nicht mehr für sich selbst aufkommen konnten? Nach römischer Auffassung und traditionellem Herkommen ja. Einer der zentralen Werte in der römischen Gesellschaftsethik war die pietas, das praktizierte Pflichtgefühl. Im Prinzip gab es zwischen allen Menschen, die in irgendeiner Hinsicht miteinander zu tun hatten, eine wechselseitige pietas-Verpflichtung. Unter engen Verwandten war sie natürlich besonders ausgeprägt, und vermutlich wurde nicht nur den Kindern, die den Literaturunterricht beim grammaticus besuchten, die Symbolik des römischen Nationalheros Aeneas vermittelt, der dem Mythos zufolge seinen greisen, geschwächten Vater auf den Schultern aus dem brennenden Troja gerettet hatte – ein Bild des pflichtbewussten pius Aeneas, das in der römischen Öffentlichkeit tausendfach präsent war und wohl nicht nur in der Oberschicht als verpflichtendes exemplum wahrgenommen und befolgt wurde.

Allerdings nicht von jedem Kind. Es gibt Hinweise darauf, dass schon in der frühen Kaiserzeit nicht alle Söhne und Töchter ihrer moralischen Verpflichtung zum Elternunterhalt nachgekommen sind – und das in einem Umfang, der den Gesetzgeber auf den Plan rief. Der verfügte einen Unterhaltsanspruch der Eltern im Rahmen dessen, was ein Kind leisten konnte, und begründete das ausdrücklich mit dem Gebot der pietas (Dig. XXV 3, 5, 15). Bei „größter Not des Vaters“ galt das sogar für die Erben des Sohnes (Dig. XXV 3, 5, 17; allgemein Cod. Iust. V 25, 1f.).

Eine ähnliche Unterhaltsverpflichtung bestand zwischen dem Freigelassenen und dem Freilasser; beide standen in einem Treueverhältnis zueinander, das in Notlagen wechselseitige Versorgungsansprüche begründete. Die stärkere Verpflichtung lag indes beim ehemaligen Sklaven gegenüber seinem „Wohltäter“, der ihm die Freiheit geschenkt hatte. Auch unabhängig vom Freilassungsvertrag, der bestimmte Dienstleistungen für den ehemaligen Sklaven vorsehen konnte, hatte der Freigelassene (der ja auch den Vor- und Familiennamen seines patronus übernommen hatte) den einstigen Herrn zu unterstützen. Die Notlage musste allerdings ggf. vor Gericht nachgewiesen werden; eine „Luxus-Alimentation“ für einen nicht bedürftigen Freilasser war niemandem zuzumuten (Dig. XXV 3, 5, 18). Wie diese Rechtsnorm in die Alltagswirklichkeit umgesetzt wurde, wissen wir ebenso wenig, wie es verlässliche Schätzungen hinsichtlich der Zahl der in Altersarmut Geratenen und Unterhaltsbedürftigen gibt. Dieses soziale Problem war sicher weitverbreitet, aber es spielte sich unterhalb jener Bühne der Oberschicht ab, auf die der Blick unserer Quellen gerichtet ist.

Der Staat griff nur sehr zurückhaltend mit eigenen Regelungen zugunsten seiner im Alter nicht mehr so zahlungskräftigen Bürger ein. Das betraf etwa das Auslaufen der Kopfsteuer, die allen Provinzbewohnern ohne den Status des römischen Bürgers abverlangt wurde, mit Ablauf des 65. Lebensjahres. Ferner wurden die Angehörigen der Führungsschicht in den Provinzstädten ab 60 Jahren von der Übernahme kostspieliger munera, „Leistungen für die Allgemeinheit“, befreit (Dig. L 15, 3). Dazu gehörte das Pflichtsponsoring für bestimmte Kommunalbauten, die Ausstattung von Festen und ähnliche zeitlich begrenzte „Sonderaufgaben“. Das waren spürbare Entlastungen, doch wären die dadurch Begünstigten auch ohne diese immunitates („Freistellungen“) kaum in jene bedrückende Form der Altersarmut abgerutscht, die es vielen kleinen Leuten erschwert oder unmöglich gemacht haben, einen sorgenfreien Lebensabend in Würde zu verbringen.


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