Читать книгу Kuss der Wölfin Sammelband 2 | Teil 4 & 5 | Krieger der Dunkelheit & Im Schatten des Mondes - Katja Piel - Страница 26
ОглавлениеKapitel 18
Tessa stieg aus dem Fahrstuhl und betrat ein hohes Foyer, das mit hellem Marmor gefliest war. Sie hatte nur wenige Sekunden Zeit, sich zu orientieren, und tapste barfuß, als wäre es das Normalste der Welt, durch die Eingangshalle an der Rezeption vorbei. »Miss? Brauchen Sie ein Taxi?« Tessa drehte sich nicht um, sondern eilte weiter. »Nein, vielen Dank. Ich komme zurecht.«
»Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Tag.«
»Ihnen auch«, rief sie über die Schulter sie und verließ das Gebäude. Es war tatsächlich erstaunlich. Ihr war nicht kalt. Sie fühlte sich fit und spürte keinerlei Schmerzen. Ihr Problem war, dass sie nicht wusste, wo sie sich befand. Ihr Geld würde nicht ausreichen, um sich in ein Taxi zu setzen, aber sie musste schnellstens von hier weg, denn es war davon auszugehen, dass Sindbad sie suchen würde. Sie gönnte sich keine Zeit, um in Ruhe zu überlegen, sondern durchquerte den angrenzenden Park und rannte zu den Bäumen, die ihr hoffentlich etwas Schutz bieten würden. Immer wieder suchte sie nach einem Anhaltspunkt, wo sie sein könnte. »Ich muss nach Hause, und dann sollte ich so schnell wie möglich, London und Umgebung verlassen«, murmelte sie zu sich selbst. Ihre Gedanken rasten durch ihren Kopf, ihr Herz pochte hart gegen die Rippen und im Magen wurde ihr flau. Hunger. Sie musste etwas essen. Vor ihrem inneren Auge erschien ein rohes Stück Fleisch. Angeekelt hielt sie die Hand vor den Mund, rannte weiter und weiter, bis sie an einer breiten Straße stand. »Regents Park. Okay, okay, Tessa. Du schaffst das. Hier gibt es eine U-Bahn-Station.« Sie ging davon aus, dass Sindbad ihr folgte, wollte es nicht riskieren, ihm plötzlich gegenüber zu stehen, nur weil sie zu lange getrödelt hatte, also rannte sie über die Straße, bog in eine andere ein und stand vor dem Eingang zur U-Bahn in der Baker Street. Sie blickte sich wild um, rannte die Stufen hinunter und kramte in ihrer Handtasche nach ihrer Monatskarte. Glücklicherweise musste sie nicht umsteigen, was ihr noch mehr Zeit stehlen würde, aber die Fahrt würde mindestens eine Stunde dauern.
Ihren Kopf gesenkt haltend saß sie auf ihrem Platz, die Finger ineinander verkrampft. Was würde jetzt passieren? Würde sie ausflippen, wenn jemand bluten würde, sich gar wandeln? Das Schlimmste aber waren die vielen Gerüche, die ihr in die Nase strömten. Die Bahn füllte sich. Die vielen schwitzenden oder kranken Menschen rückten näher. Sie konnte die Musik hören, die aus ihren MP3 Playern dudelte, Gespräche zwischen Freundinnen belauschen, obwohl sie es nicht wollte. Der Lärm machte sie fast wahnsinnig und sie musste sich beherrschen, nicht schreiend aus der Bahn zu springen. Hinzu kam der quälende Hunger, der in ihren Eingeweiden tobte, und der unsägliche Durst.
»Hey, du siehst traurig aus. Kann ich dich n bisschen aufmuntern?« Tessa blickte nicht auf, vor ihrem inneren Auge erschien ein abgehalfterter Typ, mit einer Bierdose in der Hand, der leicht schwankend neben ihr saß. Die Fahne aus seinem Mund und der Geruch, den seine Kleidung ausströmte, ließen sie zusammenzucken. »Verzieh dich oder du kannst deine Kronjuwelen richten lassen«, zischte sie, immer noch Blickkontakt vermeidend. »Ey, ganz schon mutig für ne Tussi, die sich nicht mal Schuhe leisten kann«, nuschelte er und stupste sie an der Schulter. Tessa holte Luft, schloss die Augen. »Zieh Leine, du stinkender Haufen Scheiße, oder du kannst deine Knochen einzeln zusammensuchen.« Sie hob den Kopf, die Augen immer noch geschlossen. Er rückte näher, sein wabbeliger Körper berührte ihren und es war ihr, als stünde sie plötzlich unter Strom. Durch ihren Körper schoss eine Wut, die sie nie zuvor gekannt hatte. Als sie die Augen öffnete und ihren Kopf langsam zu ihm drehte, starrte er sie ungläubig an, grinste aber schließlich. »Hey, ne Punkerin mit grünen Kontaktlinsen. Sehr geil. Ich würde vorschlagen, wir …« Weiter kam er nicht, da schoss ihre Hand nach unten und griff ihm in den Schritt. Sie drückte zu. Zwischen ihren Fingern fühlte es sich an, als würde etwas platzen. Er kreischte auf, versuchte, sie abzuwehren, doch Tessas Griff war unnachgiebig, und sie drückte immer fester zu. Die anderen Fahrgäste glotzten zu ihnen rüber, einer stand auf und wollte ihm helfen, doch Tessa wandte den Kopf zu ihm, die Lippen nach oben gezogen. Erschrocken stolperte er zurück. Erst als Tessa spürte, wie der Wagen langsamer wurde, ließ sie locker, beugte sich nach vorne. »Wenn dir das nächste Mal jemand sagt, du sollst Leine ziehen, würde ich das an deiner Stelle machen«, knurrte sie, ließ los, stand auf und rannte blitzschnell aus dem Wagen. Erst als sie wieder auf der Straße stand, beruhigte sie sich langsam, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Verfluchte Scheiße. Was war das? Was habe ich gemacht?« Wirr um sich blickend, stand sie mitten auf dem Bürgersteig, Menschen strömten an ihr vorbei. Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit waren. Menschen, wie sie mal einer gewesen war. Tessa fing an zu rennen.