Читать книгу Wer bin ich? - Keith Hamaimbo - Страница 43
2.1.2. Pfeile
ОглавлениеIm obigen Enneagramm-Modell (Abb. 3.) gibt es Linien, die einzelne Typen miteinander verbinden. Unter Enneagramm-Experten wird – besonders in Bezug auf die Entwicklungsmöglichkeiten – gezeigt, was die Richtungen der Pfeile und die Bewegung mit oder gegen den Pfeil für die Entwicklung bedeutet. Bei den meisten Enneagramm-Experten werden die Begriffe „Stress-“ und „Trostpunkt“ verwendet, um die Bewegung zu beschreiben. Für Helen Palmer kann zum Beispiel die Arbeit mit den Bewegungen der Pfeile unter folgenden drei Aspekten betrachtet werden: Der erste Aspekt beschreibt, wie die Eigenschaften des Haupttyps in normalen Umständen zum Vorschein kommen. Der zweite Aspekt kommt zum Vorschein, wenn man sich von dieser Mitte zum Stress hinbewegt und somit zur Aktion übergeht; und der dritte Aspekt, wenn man sich in die andere Richtung zur Ruhe begibt. Insgesamt betrachtet heißt es nun, dass – je nachdem, in welcher Situation der Haupttyp sich befindet – eine der Bewegungen überlagernd ist.280
Wenn zum Beispiel ein (gewöhnlich stiller, introvertierter) Beobachter (Fünf) unter Stress steht, bewegt er sich zur Position des Epikureers (Sieben); er versucht paradoxerweise, den Stress zu reduzieren, indem er extrovertierter und freundlicher wird und mit Menschen in Verbindung tritt. In einer sicheren, entspannten Lage tendiert er dazu, ein Boss (Acht) zu werden (andere zu lenken und den persönlichen Raum zu kontrollieren).281
Anhand von Berichten in Interviews, die Helen Palmer mit unterschiedlichen Gruppen durchführt, zeigt sie, dass die Bewegungen im obigen Zitat nicht automatisch verlaufen, wie sie dargestellt werden. So Palmer:
Eine Sicherheitsreaktion erscheint sehr viel anziehender als eine Aktion-Streß-Reaktion, weshalb der Weg zum Heil in der Kultivierung der »besseren« Aspekte des Sicherheitspunkts gesehen wird. Die Sicherheitsenthusiasten des Enneagramms glauben, dass die Bewegung mit dem Pfeil, das heißt zu Aktion und daher Streß, die Zwanghaftigkeiten ihres Typs fördert. Dabei wird aber nur an die positiven Aspekte des Sicherheitspunkts und die negativen des Streßpunkts gedacht. Meine Interviews mit Teilnehmern von Diskussionsrunden deuten nicht darauf hin, daß eine klare Chance für die Bewegung in Richtung Sicherheitspunkt, wie etwa das Verliebtsein in einen passenden, bereitwilligen Partner, zwangsläufig die besseren Qualitäten des Sicherheitspunkts zum Vorschein bringt.282
Hier wird gezeigt, dass die Bewegung in eine Richtung nicht nur in ihrer Positivität oder Negativität bewertet werden sollte, sondern danach, welche Qualitäten in einer bestimmten Lage zum Vorschein kommen. Es wird gezeigt, dass sowohl die Bewegung mit dem Pfeil als auch die gegen den Pfeil positive und negative Aspekte haben.283 Demzufolge bedeutet es, dass es keine klare Vorgabe gibt, in welche Richtung man sich begeben sollte. Diese Theorie zeigt, dass die Arbeit mit dem Enneagramm mehr an Dynamik und Breite gewinnt. Nach Mario Sikora würde es auch bedeuten, dass Menschen kein eingeschränktes Bild von sich entwickeln. Mit den Pfeilen kann es vorkommen, dass einem Rat erteilt wird, z.B. sich weniger mit seinem Haupttyp zu identifizieren und eher zum anderen Punkt – gegen die Pfeilrichtung – hin zu bewegen und weniger zum Punkt in die Pfeilrichtung. Die Gefahr besteht hier darin, dass Menschen sich in den vorgegebenen mathematischen Schemata sehen könnten.284
Im ersten Kapitel wurde deutlich, welche grundlegende Rolle Claudio Naranjo in der Entwicklung des Enneagramms gespielt hat. Von Beginn an wurde die Enneagramm-Theorie von unterschiedlichen Personen weiter entwickelt. Eine dieser Theorien war die der Pfeile. In einem Interview im „Enneagram Monthly“ macht Naranjo deutlich, dass persönliche Entwicklung darin bestehe, dass die beiden „Bewegungen“ der Pfeile in Betracht gezogen werden. Er beobachtet, dass die Bewegungen der Pfeile unter einigen Enneagramm-Experten quasi als Dogma angesehen werden, was bei ihm jedoch nicht das ursprüngliche Ziel war. Naranjo fügt hinzu, dass – obwohl die Theorie ihre eigene Validität habe – sie mit einer Offenheit betrachtet werden sollte, wenn es darum gehe, die Prozesse der Entwicklung als Ganzes zu erfassen.285
Nach der Benediktinerin Suzanne Zuercher darf auf christlicher Basis die Theorie der Pfeile keinen Anspruch auf das Ziel der enneagrammatischen Arbeit haben. Denn der Schwerpunkt der christlichen Enneagramm-Arbeit besteht darin, dass die christliche Reife durch kontemplatives Gebet und Leben kultiviert wird, und nicht dadurch, dass die Aufgabe der Charakterbildung als Ziel gesetzt wird. Allerdings darf nicht verneint werden, dass auch die Aufgabe der Charakterbildung für jede Person eine zentrale Bedeutung hat. Dennoch führt nach Zuercher dies letzten Endes nicht zu echter Entwicklung und Umkehr, sondern zur Verewigung der Arbeit am eigenen Ego. Jene Aufgabe befindet sich in einer frühen Phase des Wachstums. In dieser Phase sucht man seine Selbständigkeit und Identität. Obwohl diese Phase das ganze Leben hindurch fortdauern kann, sollte es einen Punkt geben, an dem man mit anderen Themen anfängt, sonst bleibt es nur bei der Arbeit am Ego. Nach ihr zeigen die Pfeile die unterschiedlichen Verbindungen der Enneagramm-Muster und somit die Weite der Möglichkeiten an der Arbeit mit dem Enneagramm. Dass unter anderem geraten wird, für eine persönliche Entwicklung die positiven Aspekte der Eigenschaften des Punktes, mit dem die Pfeile in Verbindung stehen, in Betracht zu ziehen, hält Zuercher für eine andere Art von Ego-Fixierung und Charakterstagnation.286
Die eben vorgestellten Bestandteile der Enneagramm-Theorie sind für das Verständnis des Enneagramms unverzichtbar. Wie gezeigt wurde, besteht trotzdem eine Gratwanderung zwischen ihrem allgemeinen Verständnis und der praktischen Anwendung. Beispielweise kommt Bartels bei der Analyse seiner Interviewten zum Schluss, dass das Enneagramm bei einigen Menschen als „abgeschlossenes und unhinterfragbares Gesetz“287 gesehen wird. Die Enneagramm-Theorien der Triaden (Zentren) Flügel, Pfeile und Subtypen können bei einigen als Gesetz verstanden werden, als wären sie die unbezweifelbare Antwort auf alle Fragen. Bartels bemerkt, dass das Enneagramm anders zu verstehen sei. Nach ihm ist das Enneagramm eher geeignet, die Relativität und Offenheit von Erkenntnissen zu zeigen. 288.