Читать книгу Die Welt, die meine war - Ketil Bjornstad - Страница 12
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Der seltsame General Charles de Gaulle lässt zur gewaltigen Verzweiflung und Verärgerung des Vaters in der Sahara eine Plutoniumbombe zünden, und Frankreich wird die vierte Atommacht auf der Welt. »Hurra für Frankreich«, schreibt der General in einem Telegramm an Atomminister Pierre Guillaumat.
»Was für eine Schande«, sagt Vater.
»Dass die wirklich einen eigenen Atomminister haben«, sage ich. Aber Vater hört nicht zu. Er zieht seinen Mantel an und sagt zu Mutter, er gehe jetzt zu Ulf.
»Heute schon wieder?«
»Ja«, sagt Vater. In solchen Situationen kann er energisch sein.
Ich finde es verwirrend, dass sich nach einem dermaßen schwerwiegenden Ereignis die ganze Welt auf ein Kaff in der Sierra Nevada in Kalifornien namens Squaw Valley konzentriert, wo zwei Wochen lang Ski- und Schlittschuhlaufen angesagt sind. Sogar Vater interessiert sich dafür, klebt am Radio und notiert Rundenzeiten. Tormod und ich sind selbsternannte Sekundanten. Die gesamten Olympischen Winterspiele sind wie ein Schlussverkauf von Sieg und Niederlage. In der Zeitung sehe ich ein Bild des Eislaufstadions, in dem Roald Aas und Knut Johannesen, der Kupper’n genannt wird, ihre Triumphe feiern werden. Der Boden dort ist nicht flach. Es gibt mitten auf der Bahn eine Art Berg, oder vielleicht eine Schneewehe. Doch dann kommt Håkon Brusveen aus Vingrom bei Lillehammer. Er sollte eigentlich gar nicht dabei sein, denn er war nicht gut genug. Aber dann rief der Journalist Sverre Fodstad von Aftenposten im Schloss an und König Olav sagte: »Ich sehe es gern, dass Brusveen mit nach Squaw Valley fährt.« Brusveen gewinnt die fünfzehn Kilometer vor Jernberg und Hakulinen. Als einige Tage darauf der Staffellauf beginnt, ist es in Norwegen Abend, und alle sitzen nägelkauend vor dem Radio. Brusveen soll die letzten Etappen übernehmen. Grønningen, Brenden und Østby haben für einen soliden norwegischen Vorsprung gesorgt, als der Junge aus Vingrom die Loipe betritt. Zu diesem Zeitpunkt will die gesamte norwegische Bevölkerung, inklusive uns dreien, die wir zu Hause in Røa vor dem Radio sitzen, dass die Nation eine weitere Goldmedaille einheimst. »Hurra für Norwegen!« Aber Brusveen ist nicht gut genug. Er wird von Hakulinen mit weniger als einer Sekunde geschlagen, und hätte man das Stöhnen hören können, das an diesem Abend in allen Mietskasernen, Einfamilienhäusern, Bauernhöfen und Waldhütten erklang, dann hätte das einen gewaltigen Krach ergeben, wie niemand ihn je zuvor vernommen hatte. Diese Vorstellung faszinierte mich. Alle verließen ihre Radios und waren sauer.
Wozu sollte Sport gut sein? Hatte es irgendeine Bedeutung, dass wir bei den Damen keine einzige Medaille holten? Wurde das Leben leichter, weil Carol Heiss aus den USA die Goldmedaille im Eiskunstlauf bekam?
Kupper’n stellte auf zehntausend Metern den Weltrekord auf. 15.46.6. Der schwedische Kommentator Sven Låftman rief begeistert: »Kupper’ns fabelhafter Rekord wird vermutlich in alle Ewigkeit gelten. Jedenfalls wird er in den kommenden fünfzig Jahren wohl kaum bedroht werden.«
»Vielleicht stimmt das«, sagte ein Junge aus der Klasse.
Aber schon drei Jahre später übertraf Jonny Nilsson Kupper’ns Rekord in Karuizawa um über dreizehn Sekunden. Damals dachte ich zum ersten Mal, dass Sport niemals Macht über mich haben sollte und dass ich niemals in den Zeitungen die Sportkommentare lesen würde.
Das widerliche Gefühl der Leere, wenn es vorüber war. Die traurige Stimmung gegen Ende einer Eislaufmeisterschaft, wenn der Sieger längst gesiegt hatte und alle Verlierer um die zweitschlechteste Zeit über zehntausend Meter kämpften. Das tat mir in der Seele weh.
Um uns zu trösten, ging Vater mit uns hinaus in die Sternennacht. Sein Vertrauen zum Universum war unendlich. Er zeigte auf die Sterne. Der Triumph der Natur über die Torheit der Menschen.
Deshalb hatte er solche Angst vor der Atombombe. Konnte sie die Natur herausfordern mit ihren ungeahnten Kräften? Konnte sie die Zivilisation auslöschen? China hatte bereits einen Wasserstoffbombentest angekündigt. Nicht nur Vater hatte jetzt Angst. In allen Zeitungen gab es Interviews mit Menschen, die sich zu Protestaktionen versammelt hatten. Helge Seip sagte in der Sendung En verden (Eine Welt): »Die Atomversuche in der Sahara waren ein unheilvolles Vorzeichen. Immer mehr Nationen können jetzt Atombomben herstellen. Deshalb müssen wir gegen diese Entwicklung protestieren. Es ist lebensgefährlich, das nicht zu tun.«
Tormod und ich standen mäuschenstill da und starrten gemeinsam mit Vater zu den Sternen hoch.
Mutter saß im Wohnzimmer und retuschierte Familienporträts für Fotograf Wickman.
Irgendwer musste ja schließlich Geld verdienen.