Читать книгу Die Welt, die meine war - Ketil Bjornstad - Страница 19

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In der letzten Ferienwoche will Vater mir Schwimmunterricht geben. Tormod schwimmt schon wie ein Fisch. Ich weigere mich. Der Schwimmgürtel ist mein Freund. Warum tragen wir nicht allesamt Schwimmgürtel? Dann würde nie jemand ertrinken.

»Wir gehen ins Gardebad«, entscheidet Vater.

Ich begreife nicht, wie er, der alte Pazifist, sich auf ein hochmilitärisches Gelände verirren kann. Aber er schnaubt nur. »Komm mir ja nicht so, Junge.«

Obwohl überall Soldaten herumstehen, lässt er sich nichts anmerken. »Ich habe zwei Mann im Sarpefoss untergehen sehen«, fügt er hinzu. Vielsagend.

Ach, nicht schon wieder diese alten Geschichte. Die Tuberkulose in seiner Kindheit. Die Mutter, die gestorben ist. Die armen Kinder, die in dem Kälteloch auf Hafslundsøy zurückblieben. Der Großvater, der Gesundheitskostfanatiker, der Vater mit einem glühendheißen Handtuch aufwärmte und ihn in den Schnee warf, um seinen Blutkreislauf zu stärken. Kein Wunder, dass Vater lahm und taub wurde, denke ich, auch wenn die Lahmheit davon kommt, dass er mit sieben Jahren eine Treppe hinuntergefallen ist, und die Taubheit von einer kräftigen Ohrenentzündung herrührt. Aber jetzt etwas zu sagen, wäre, wie in der Kirche zu fluchen.

»Sie sind in dem Wasserfall untergegangen, weil sie nicht schwimmen konnten.«

»Das weiß ich, Vater.«

»Es sind schon Kinder im Lysakerelv ertrunken, Junge.«

»Das weiß ich auch.«

Es ist ein Ritual. Dieselben Sätze, wieder und wieder. Weil ich damals, als ich von der Strömung erfasst wurde, bei Taterberget fast ertrunken bin. So what, wie es fünfzig Jahre später heißen wird. Ein Leben mehr oder weniger in dieser Welt. Vielleicht wäre ohne mich alles leichter. Die Einzigen, die mich vermissen würden, sind Mutter und Tante Svanhild. Und möglicherweise Tormod. Loyalere Menschen als sie gab es nicht. Obwohl auch sie sich mit anderen Dingen beschäftigten, ängstigten sie sich nicht um alle Welt, so wie Vater. Bei seiner Angst vor dem Weltuntergang könnte doch der Verlust eines einzigen Sohnes kein Grund zu solcher Verzweiflung sein?

Aber nun gehe ich hier neben ihm und sehe all die anderen Kinder, die auf dem Lagergelände zum Becken rennen. Was hat sich das Verteidigungsministerium dabei eigentlich gedacht? Dass Kinder schwimmen und Spaß haben sollen, bis die Atombombe kommt und sie holt, still und unbemerkt? Kein Schlag. Kein Schrei. Nur ruhiges Nasenbluten und Sekret aus den Augen, welches das Wasser rot färbt, während wir das Bewusstsein verlieren und langsam auf den Meeresgrund hinabsinken. Dort liegen wir dann voll mit Radium und wissen nichts von dem Untergang, der über uns seinen Lauf nimmt.

Aber wir haben den Gürtel dabei. Den gelben Gürtel mit den Rechtecken aus Isopor. Den ganzen vergangenen Sommer habe ich diesen Gürtel getragen, zu Vaters Verzweiflung. Er hat die unangenehme Gewohnheit, sich Ziele zu setzen. Ich hätte schon voriges Jahr schwimmen lernen sollen. Ich muss es jedenfalls in diesem Jahr lernen. Aber dann darf man nicht nach Tolga fahren, denke ich.

Hier kommt die Strafe. Ich schaue zum Becken hinüber, in dem es von Kindern in jedem Alter nur so wimmelt. Das Grausame daran, Kind zu sein, ist, dass es so viele von uns gibt, und nur die Wenigsten sind sympathisch. Viele sind böse. Seht, da springen sie vom Zehner, jetzt schon. Dünne, bleiche Körper. Platsch, macht es. Aber das ist ihnen egal. Sie sind total in ihrer eigenen Welt.

Vater zieht mich zu einer Ecke des Beckens auf die entgegengesetzte Seite des Sprungturms.

»Jetzt üben wir Brustschwimmen, Ketil.«

Ich hasse das. Ohne Gürtel. Er steht im Becken an der seichtesten Stelle und hält mich unter der Brust fest, damit ich das Wasser mit zusammengelegten Händen teile, geradeaus nach vorn und zur Seite, während sich die Beine gleichzeitig aus einer Art verkrüppelter Krümmung lösen. Es ist krankhaft und gemein. Eine alberne Art zu schwimmen, die allzu viel Kraft verschlingt. Es ist leichter, sich auf den Rücken zu legen und an Armen und Beinen zu zittern. Vater schwimmt auch lieber auf dem Rücken. Was soll das Ganze also? Steckt Gesundheitsdirektor Evang dahinter, der uns quälen will?

Ich frage und frage, aber Vater kann nicht antworten. »Ich will den Gürtel«, sage ich.

»Kommt nicht in Frage«, sagt er.

Aber ich gebe nicht auf. Ich sinke wie ein Stein aus purem Trotz. Sinken kann ich gut.

»Verflixt, Ketil«, sagt er resigniert.

Er lässt mir meinen Willen. Man muss nur stark genug sein, dann kann man seinen Willen durchsetzen. Sonst stirbt man. Ich will nicht sterben. Ich laufe mit dem Schwimmgürtel zum Sprungturm.

»Wag das ja nicht!«, ruft er. »Du kannst doch nicht schwimmen!«

»Der Gürtel rettet mich, Vater!«

Ich steige die Leitern zum Fünfer hoch. Auf den Zehner traue ich mich noch nicht. Ich stehe auf dem Brett und sehe hinab auf das Wasser an der tiefsten Stelle. Die dunkelblaue Farbe. Unheimlich, würde Mutter sagen. Aber es ist weniger unheimlich, als Brust zu schwimmen. Und auch weniger anstrengend.

Jemand hat mich gesehen. Mir wird Aufmerksamkeit zuteil. Ich will aber keine Aufmerksamkeit. Ich will in der Tiefe verschwinden. Nun springe ich. Es kitzelt in meinem Hinterkopf. Vielleicht habe ich etwas vergessen. Vielleicht sterbe ich. So what.

Es spritzt gewaltig.

Was bin ich schwer! Ich sinke viele Meter tief, obwohl ich den Gürtel habe. Dahin, wo es keine Erwartungen gibt. Auf dem Meeresboden liegen, ohne dass irgendwer mich sieht.

Sie klatschen, als ich wieder nach oben komme. Vater schüttelt langsam den Kopf.

Der Junge mit dem Schwimmgürtel. Feigheit. Verkleidet als Mut.

Die Welt, die meine war

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