Читать книгу Die Welt, die meine war - Ketil Bjornstad - Страница 22
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Oktober 1960. In der Zeitung ist ein Bild von Castro und Chruschtschow, die einander umarmen. Sie sehen so freundlich aus, alle beide. Ich merke, dass Vater sie lange anstarrt und sich seine Gedanken macht. Es ist eine nervöse Zeit auf der Welt. Vater gefällt es nicht, dass Eisenhower nicht zugibt, dass die USA während des U-2-Skandals gelogen haben. Vater will die Karten auf dem Tisch haben. Will, dass die Dinge bei ihrem rechten Namen genannt werden. Chruschtschow hat eine Art von Volkstümlichkeit, die Eisenhower fehlt. In meinen Augen ist er der liebe Onkel. An die dreißig Jahre später werde ich an ihn denken, als ich mit einem Cellisten und einer Sängerin durch Lettland fahre. Der Kapitalismus hat sie eingeholt. Der, von dem sie ihre ganze Jugend hindurch geträumt haben. Aber jetzt sind sie arm. Ärmer denn je. Sie sehnen sich nach der Sowjet-Zeit. »Vielleicht hatten wir damals nur Kartoffeln oder Möhren. Aber wir hatten immerhin Kartoffeln oder Möhren.«
Chruschtschow ist mächtig. Und umstritten. Sechs Jahre zuvor hat er der Ukraine die Halbinsel Krim gegeben. Jetzt sitzt er mit der russischen Delegation unten im Saal. Es ist die alljährliche Hauptversammlung der UN. Eine große Möglichkeit, quer über die starren Grenzen hinweg miteinander zu reden. Vater bekommt immer einen verträumten Blick, wenn er über die UN spricht. Diese Organisation ist die Hoffnung der Welt. Er meint, es müsse möglich sein, die UN zu einem Nein zu Atomwaffen zu bringen, Nein zur Todesstrafe, Nein zum Krieg.
Chruschtschow ist seit drei Wochen in New York. Es ist der 12. Oktober. Am Tag darauf will er in den Kreml zurückkehren. Die Sitzung war ein Albtraum voller Konflikte und Anschuldigungen. Die Delegierten sind vom Kalten Krieg geprägt. Von Misstrauen. Von Lügen. Die Amerikaner behaupten noch immer, das Spionageflugzeug sei ein Forschungsflugzeug gewesen, obwohl die UdSSR Beweise vorlegen kann. Alle schreien. Der Hammer des Vorsitzenden zerbricht nach zahllosen Versuchen, den Saal zur Ruhe zu bringen. Chruschtschow schlägt schließlich auf den Tisch, immer wieder, wie ein trotziger Fünfjähriger vor dem Breiteller. Seine Uhr löst sich von der Kette und fällt zu Boden. Der Delegierte von den Philippinen wirft Chruschtschows Regime vor, Osteuropa geschluckt und den Ländern dort ihre politischen und bürgerlichen Rechte genommen zu haben. Chruschtschow bückt sich, um seine Uhr aufzuheben. Dabei fällt sein Blick auf die Schuhe, die er abgestreift hat, weil sie zu eng sind. Er nimmt einen in die rechte Hand und richtet sich auf. Mehrere Male schlägt er mit dem Schuh auf den Tisch und ruft dabei etwas auf Russisch. Am selben Tag verbreiten die Nachrichtenagenturen das Bild von Chruschtschow, der einen Schuh hochhebt. Aber das Bild ist manipuliert. Es sieht aus, als stehe Chruschtschow auf dem Rednerpodium. Es ist im Interesse der USA, Chruschtschow als gestört darzustellen. Ein Bild zu fälschen ist für die Fototechniker der CIA das Einfachste auf der Welt. Oder für FBI, U. S. Secret Service oder U. S. Military Intelligence. Chruschtschow wird für immer in schlechtes Licht gerückt.