Читать книгу Die Welt, die meine war - Ketil Bjornstad - Страница 28
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Mads und ich fahren zum Palassteater und sehen uns die neue Wochenschau an. In aller Heimlichkeit hat die sowjetische Raumfahrtsbehörde den siebenundzwanzig Jahre alten Juri Gagarin zum ersten Menschen im Weltraum auserkoren, wenn man von den Piloten des amerikanischen Raketenflugzeugs X-15 absieht, die sich bereits 1959 am Rand der Atmosphäre bewegt hatten.
Der nur 1,57 m große Gagarin trainiert seit über anderthalb Jahren. Er hat Raumnavigation und Astronomie studiert. Er wurde physisch und psychisch getestet. Er hat 13 g in einer Zentrifuge erlebt, und nicht zuletzt hat er vierundzwanzig Stunden in einem lautlosen und vollständig dunklen Zimmer gesessen.
Mads und ich sind jetzt von der Raumfahrt besessen. Und Vater ist der Eifrigste von uns allen. Als im November 1957 die streunende Hündin Laika mit Sputnik 2 ins All geschossen wurde, ging Vater mit Tormod und mir hinaus in die Dunkelheit, obwohl längst Schlafenszeit war, um den Satelliten am Himmel zu sehen. Chruschtschow hatte mit Sputnik 1 großen Erfolg gehabt. Er wusste, dass es die Amerikaner ärgern würde, wenn er ihnen mit einem lebenden Menschen im Weltraum zuvorkäme, und bei den Vorbereitungen dafür war es nur natürlich, zu testen, was ein Hund da oben im Zustand der Schwerelosigkeit ertragen könnte. Die Wahl fiel auf Kudryavka (die Kleine mit den Locken), eine Streunerin, die in den Straßen von Moskau aufgegriffen worden war. Die Ingenieure hatten eine Vorliebe für Hunde aus Moskau. Die waren an Hunger und extreme Kälte gewöhnt. Die UdSSR hatte seit 1951 bereits zwölf Hunde in eine ballistische Bahn geschossen. Jetzt sollte also ein Hund in eine Umlaufbahn um die Erde gebracht werden, und das war etwas ganz anderes. Sie wurde in Laika umgetauft (die, die heult oder bellt). Aber die Behörden hatten es eilig. Die Ingenieure hatten nur vier Wochen Zeit, um Sputnik 2 zu bauen. Futter in Gelatineform wurde entwickelt, das durch Schläuche in den Magen eingeführt werden sollte. Das Futter würde für sieben Tage reichen. Danach würde Laika mit einer Dosis vergifteten Futters getötet werden. Ein Ventilator wurde installiert, der sich in Bewegung setzen sollte, wenn es zu warm würde. Zudem wurde eine Art Zaumzeug entworfen, das Laikas Möglichkeiten, zu stehen, zu sitzen oder zu liegen, an den Tagen vor ihrem Tod begrenzen sollte, weil in der Kabine nicht genug Platz war, um sich umzudrehen. Zudem wurde zwischen Laikas Hinterbeinen ein Beutel angebracht, um ihre Exkremente aufzufangen. Um die Hündin auf ihre Reise vorzubereiten, wurde sie bis zu zwanzig Tage hintereinander in immer engere Käfige gesperrt, als der Starttermin für Sputnik 2 noch längst nicht feststand. Nun hörte das Tier auf, zu urinieren oder Exkremente abzusondern. Die Wissenschaftler maßen zudem erhöhten Stress und eine allgemeine Verschlechterung der Lebensumstände. Aufgrund dieser Entdeckungen wurde nun auf hartes Training gesetzt. Laika wurde in eine große Zentrifuge gesteckt, die die Schwerkraftverhältnisse simulieren konnte. Es stellte sich heraus, dass sich ihre Pulsschläge verdoppelten und dass der Blutdruck stieg, aber das war nichts im Vergleich dazu, was dann beim Start passierte. Inzwischen steckte Laika schon seit drei Tagen in der kleinen Raumkapsel. Wegen der Kälte in der Umgebung um den Monatswechsel November/Dezember war ein an einen Heizkörper angeschlossener Schlauch notwendig, wenn Laika nicht erfrieren sollte. Einige Tage vorher hatte einer der Wissenschaftler Laika mit nach Hause genommen. Er hatte bedauert, dass die Hündin nur noch so kurze Zeit zu leben hatte. Deshalb ließ er sie einige Stunden mit seinen Kindern spielen.
Als Laika dann wieder in der Kapsel steckte, wurde die Sache ernst. Zwei Männer sollten Laika in den Stunden vor dem Start überwachen.
Sie desinfizierten ihr Fell mit einer alkoholhaltigen Flüssigkeit und bürsteten es sorgfältig. Dann rieben sie bestimmte Stellen an ihrem Körper mit Jodtinktur ein, damit die Sensoren für die wissenschaftlichen Messapparate angebracht werden konnten.
Danach nahmen sie Abschied von ihr, versiegelten die Tür von Sputnik 2 und verließen den Startbereich.
Sowie die Rakete ihre Geschwindigkeit steigerte, vervierfachte sich Laikas Atemfrequenz. Ihr Herzrhythmus stieg von 103 auf 240 Schläge in der Minute. Als Block A der Rakete sich nicht planmäßig ablöste, funktionierte die Temperaturregelung nicht mehr. Die Temperatur stieg auf 40 Grad, nach drei Stunden der Schwerelosigkeit sank der Puls der kleinen Hündin auf 102. Unten auf der Erde konnten die Wissenschaftler messen, dass sie unruhig war, aber sie verzehrte den Teil des Futters, der nicht intravenös gegeben wurde. Zwei Stunden später waren keine Lebenszeichen mehr wahrnehmbar. Fünf Monate lang sollte sie tot die Welt umkreisen, 2570 Umkreisungen insgesamt. Später kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass sie an Überhitzung und Stress gestorben war, nur wenige Stunden nach dem Start. Oro Jaska Beana. Armer Hund. Es war nicht einmal ein Trost, dass die Amerikaner für solche Experimente Schimpansen und Rhesusaffen vorzogen.
Der Winter mit Laika. Vater ging mit uns nach draußen, um sie zu sehen, als sie wie ein Stern über den Himmel jagte. Wir standen im Garten im Melumvei und sahen Sputnik 2 kommen. Das kleine starke Licht, das über den Sternenhimmel glitt. Einfach nur eine Raumkapsel. An Bord lag Laika, mit einem Schlauch im Magen und einem Beutel zwischen den Hinterbeinen. Was hatte sie im Sterben wohl gedacht?
Manchmal weinte ich. Manchmal weinte mein Bruder. Andere Male standen wir einfach nur da und schauten nach oben. Der Kosmos war so groß. Die Milchstraße. Der Große Bär. Der Gürtel des Orion. Laika, die über den Himmel sauste.
Vater schüttelte den Kopf. Er liebte die Wissenschaft. Aber dieses Experiment fand er unerträglich.
Hoffentlich denkt Gagarin nicht vor allem an Laika, wenn er an diesem Tag im April um neun Uhr morgens Moskauer Zeit mit der Wostok 1 hochgeschossen wird. Die gewaltigen Erschütterungen, wenn eine Rakete auf dem Weg in den Weltraum ist. Er liegt angeschnallt da, und es gibt nichts, was er tun könnte. Er hat keine Möglichkeit, das Raumfahrzeug zu lenken. Der alte Jagdflieger aus der MiG-15, der auf dem Luftwaffenstützpunkt Luostari im Oblast Murmansk ausgebildet worden war, hat keinerlei Herrschaft über sein eigenes Fahrzeug. Man weiß nicht, wie ein Mensch reagiert, wenn er ins Weltall geschossen wird. Deshalb wird alles vom Boden her gesteuert.
Nach einigen Minuten befindet er sich in der Umlaufbahn um die Erde. Und er ruft: »Ich sehe die Erde! Sie ist so schön!« Er hat einen Umschlag mit einem Schlüssel, den er benutzen soll, wenn alles schiefgeht, aber auf diesem Flug entscheidet nicht er. Deshalb sagt er: »Ich weiß nicht, ob ich der erste Mensch im All bin oder der letzte Hund.«
Er fliegt an die 29 000 Kilometer in der Stunde. Er kann die Erdoberfläche aus einer Entfernung von 320 Kilometern sehen. Dann wird er wieder in die Atmosphäre zurückgeholt, nach etwas mehr als einer halben Stunde. Die kleine Kapsel glüht beim Kontakt. Gagarin verliert die Verbindung zur Bodenmannschaft. Siebentausend Meter über dem Erdboden schießt er sich hinaus in den offenen Raum. Dann sinkt er abwärts im längsten Fallschirmsprung aller Zeiten. Das Raumfahrzeug hat ebenfalls einen Fallschirm, aber es geht so schnell, dass ein Mensch nicht überleben könnte. Gagarin landet auf einem Feld in der Nähe der Großstadt Saratow an der Wolga.
Eine alte Babuschka und ihre Enkelkinder kommen angelaufen, als der Mann vom Himmel fällt. Woher kommt er? Ist er Freund oder Feind?
Der Mann sagt, er sei Juri Gagarin, er komme aus dem Weltall und sei der erste Mensch, der jemals den Erdball umrundet habe.