Читать книгу Die Welt, die meine war - Ketil Bjornstad - Страница 33
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Sommer bedeutet immer Wehmut. Es regnet und es blitzt. Dann scheint die Sonne durch die Bäume. Dann summen die Mücken. Dann haben Mutter und Vater zu viel Zeit füreinander. Aber sie sind nicht dazu geschaffen, in winzigkleinen Hütten, die der Vater gemietet hat, für Geld, das er nicht besitzt, das er aber angeblich bei der Bank geliehen hat, umeinander herumzuschleichen. Dann kann es zwischen den beiden leicht zum Streit kommen. Mir graust vor diesem Sommer. Ich glaube nicht an die Idylle. Es ist fast nicht zu begreifen, an dem Tag, an dem sich Chruschtschow und Kennedy in Wien treffen und die ganze Welt angrinsen, erzählt der Vater von der Hütte unten auf Østerøya bei Sandefjord. Wir können da offenbar eine ganze Woche wohnen. Wir fahren einige Tage später los.
Der Autor Ernest Miller Hemingway begeht in Ketchum, Idaho, Selbstmord. Es ist der zweite Tag im Juli. Hemingway ist so alt wie die eine Großmutter, noch keine 62. Sie sind im Abstand von einer Woche geboren. Vater hat schon viel über ihn geredet. Der alte Mann und das Meer. Will Vater gerade jetzt an die Küste, weil er das Buch gelesen hat? Der Traum, seinen eigenen Wittling zu fangen. Das hatte er als Kind gemacht. So, wie er über den Wittling sprach. So, wie er über Hemingway sprach.
In das Negative hineingleiten, dachte ich, viele Jahre später. Zu wissen, dass man die falsche Entscheidung trifft, während man sie trifft. Die Beziehung zu Hadley, über die Hemingway spät in seinem Leben schrieb. Die jungen Jahre in Paris. A Moveable Feast. Alles, was noch nicht zerbrochen war. Der Betrug. Die andere. Die, die in The Garden of Eden beschrieben wird. Die Kriege, an denen er teilnahm. Die Invasion in der Normandie. Die Befreiung von Paris. Die vielen Notizbücher, die er später im Hotel Ritz finden sollte, und die er fast vergessen hatte. Zugleich: Der Autounfall 1945, als er sein Knie zerschlug und sich eine tiefe Kopfverletzung zuzog. Die ersten Depressionen, als Freunde wie William Butler Yeats, Ford Madox Ford, F. Scott Fitzgerald, Sherwood Anderson und James Joyce während der Kriegsjahre einer nach dem anderen starben. Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Gewichtsprobleme und Zucker. Das Trinken, das fast seine Leber zerstört hätte. Die vielen Manuskripte, die er nicht vollenden konnte. Die Trilogie The Land, The Sea, The Air. Die Arbeit an The Garden of Eden. Die Frau, die in eine neue und glückliche Beziehung eintritt. Sie, die alles zerstört, die er aber trotzdem heiratet, wieder und wieder. Eva im Garten des Paradieses. Danach die fast tödlichen Flugzeugabstürze in Afrika. Ein bisschen wie bei den Kennedys, denke ich später. Schöne, begabte Menschen, die anscheinend alles haben. Und dann geht es trotzdem total zum Teufel. Hemingway fuhr nach Venedig. Dort trank er noch mehr als zuvor. Er wollte die körperlichen Schmerzen betäuben. Zugleich kommt der Literaturnobelpreis. Er sagt der Presse, dass Tanja Blixen, Bernard Berenson und Carl Sandburg den ebenfalls verdient hätten, aber dass er das Geld dennoch dankend annimmt. Er hatte sich den Nobelpreis gewünscht, aber als er ihn erhielt, hatte er den Verdacht, dass die Jury ihn vielleicht für einen Sterbenden hielt. Er führte die Schmerzen nach den Unfällen in Afrika an, um nicht nach Stockholm reisen zu müssen, wo er zur Preisübergabe erwartet wurde. Stattdessen schrieb er eine Rede, in der er klarstellte, dass Schreiben bestenfalls »ein einsames Leben« sei. Er schrieb darüber, wie vergeblich es sei, Trost oder Gesellschaft zu suchen. Er schrieb darüber, dass ein Schriftsteller Tag für Tag seine Arbeit allein machen muss in der Gewissheit, dass das, was er geschrieben hat, entweder in die Ewigkeit eingehen oder gar nicht bemerkt werden wird.
Ketchum. Blaine County. An die 2000 Einwohner, am Fuße des Bald Mountain. Bergwerksstadt. 1784 Meter über dem Meer. Ein Ort für Angeln, Bergtouren, Tennis, teure Boutiquen, Kunstgalerien, Prominente, die sich fort von der Welt wünschen, aber doch nicht ganz.
Hemingway denkt an die Manuskripte, die in Havanna im Safe liegen. Er ist davon überzeugt, dass ihn das FBI überwacht, und zwar schon seit dem Zweiten Weltkrieg, dass es über ihn ein eigenes Dossier gibt. Als diese Paranoia zunimmt, raten Mary und Saviers ihm, sich in der Mayo-Klinik in Minnesota wegen seines hohen Blutdrucks behandeln zu lassen. Er lässt sich unter Saviers Namen einweisen. Alles geschieht unter tiefster Geheimhaltung. Er wird mit fünfzehn Elektroschocks behandelt und im Januar 1961 entlassen. Nun ist er klinisch deprimiert. Ein Freund beschreibt ihn als mental »vollständig zugrundegerichtet«. Als der Frühling kommt, findet Mary ihren Mann eines Morgens mit einem Schrotgewehr in der Küche. Sie fährt ihn zurück in die Mayo-Klinik, wo er mit weiteren Elektroschocks behandelt wird. Am 30. Juni kehrt er nach Ketchum zurück. Zwei Tage später, am frühen Morgen, schließt er den Verschlag im Keller auf und holt sein Lieblingsschrotgewehr heraus, das er früher zur Jagd benutzt hat. Er lädt es mit zwei Patronen. Dann geht er hinauf in die Diele, hält sich den Lauf in den Mund und bläst sich das Gehirn aus.
Seine Frau Mary wird von dem Schuss geweckt und ruft sofort das Sun Valley Hospital an. Der Arzt ist rasch vor Ort. Anfangs wird eine Pressemeldung versandt, nach der es sich um einen Unfall handelt. Erst fünf Jahre später gibt Mary Hemingway zu, dass ihr Mann Selbstmord begangen hat.