Читать книгу Die Welt, die meine war - Ketil Bjørnstad - Страница 5
1980 1.
ОглавлениеEr sitzt in dem kleinen Arbeitszimmer im ersten Stock am Arbeitstisch vor der Schreibmaschine und starrt über die Baumwipfel. Das Meer liegt blaugrau auf der Außenseite der Insel. Ein Dienstag im Januar. Der Schnee auf dem Boden wird unter den schweren Wolken dunkel. Obwohl er erst am Vortag über Bäume, Felskuppen und Ackerflächen gefallen ist, wirkt er bereits schmutzig. Zwischen dem Nachbarhaus und dem Haus, in dem er zusammen mit der Anderen wohnt, entdeckt er einen riesigen zerzausten Brocken von rotem Kater. Das ist Adonis, der Schrecken von Sandøya, das Herzenskind von Hans Petter auf Hauketangen. Nun weiß er, dass die Nachbarskatze Kajsa läufig ist. Er sieht sie aus einem Spalt unter dem Haus von Tore und dessen Freundin hervorkommen. Die schwarzweiße Katze wird jetzt alt, sie wittert in allen Gerüchen, die der Wind mit sich bringt, fährt zusammen beim Anblick ihres langjährigen Liebhabers, mit dem sie mehrere Kinder hat. Er ist gerührt vom erschöpften Zug in ihrem Gesicht.
Er öffnet das Fenster, denkt, er könne irgendetwas hinauswerfen, wenn es da unten auf dem Hof zu einer gar zu argen Rauferei käme. Adonis und Kajsa knurren beide warnend, starren zur Seite, als seien sie mit etwas ganz anderem beschäftigt als dem Gegenüber. Aber die Zeit ist knapp. Jetzt kann er das Geheul aller anderen Kater hören, die zwischen Sträuchern und Unterholz hervorkommen und die Adonis bisher in respektvoller Nähe gefolgt sind. Bewahre, das sind wirklich viele. Ganz vorn sieht er Movitz, den Kater aus seinem eigenen Haus, schon seit Jahren sein Bettgesell, seit das Tier den großen Sprung von der Kiefer auf den Schlafzimmerbalkon gelernt hat. Ein Krach, jede einzelne Nacht, in der Regel genau dann, wenn er sich in den tiefsten Träumen aufhielt. Im Laufe der Zeit ist es fast zu einem lieben Ritual geworden. Im Halbschlaf aufstehen, die Balkontür öffnen und den Kater hereinlassen, die Pfoten spüren, die die Decke plattdrücken, sowie er sich wieder hingelegt hat. Movitz, der auf seinem Bauch herumtritt und dabei vor Freude schnurrt, ehe er sich mitten ins Bett legt und sich die Spuren der nächtlichen Eskapaden ableckt.
Er an seiner Schreibmaschine schafft es nicht, weiterzuschreiben. Er muss beobachten, was draußen passiert. Movitz ist wie immer hinter Adonis Nummer 2 in der Warteschlange. Aber während Movitz sich bisher in respektvoller Distanz gehalten hat, bohrt er diesmal seine Nase fast in den Schritt des furchterregenden Rivalen. Hinter Movitz steht der lächerliche Kater von Sannasvingen, der immer anfängt zu humpeln, wenn er merkt, dass er von Menschen beobachtet wird. Und hinter ihm kommt ein seltsamer Bursche, der von Østergården oder aus der Nähe stammen muss. Ein gerissener Knabe mit Schildpattmuster. Er ist so geil, dass er sich auf dem Boden wälzt. Es gehören noch drei weitere Kater zu diesem brünstigen Aufzug, aber das sind Verlierer oder Stümper, die hier bestenfalls den einen oder anderen Trick lernen können. In seiner Vorstellung war Adonis lange Zeit Sonny Liston, und Movitz war Floyd Patterson. Keiner von ihnen besitzt die Leichtigkeit Muhammad Alis. Diejenigen, die sich allen Ernstes eine Chance einräumen, es mit Kajsa zu treiben, sind bereit, sich gegenseitig die Eier abzubeißen. Und nun wird das Signal gegeben! Adonis hat es geschafft, Blickkontakt zu Kajsa aufzunehmen, aber just in dem Moment, als er sich aufbläst und einen schrillen Schrei ausstößt, springt Movitz von hinten auf ihn. Die beiden Körper verwandeln sich in einen knurrenden Ball, der den Hang hinab auf Tores Schreinerei zurollt. Sofort wittert der Hinkefuß Morgenluft und macht sich ohne Zögern über Kajsa her. Doch die erfahrene Katze windet sich aus seinem Griff und schlägt ihm die Krallen in die Visage. Der kleine Schurke jagt auf den Wald zu. Jetzt versucht der gerissene Knabe von Østergården sein Glück, aber Kajsa bleibt einfach ruhig sitzen und ignoriert ihn, wendet den Kopf den beiden zu, die unten vor der Schreinerei auf Leben und Tod kämpfen. Er, der an seiner Schreibmaschine sitzt und zuschaut, denkt voller Entsetzen an Movitzens bereits zerfressenen Kopf, an Wunden aus früheren Kämpfen, die nicht ganz verheilen wollen. Er war noch kein Jahr alt, als er von einem Fuchs gebissen wurde. Die Wunde begann zu eitern, und nach einigen Tagen fiel Movitz auf einer Seite das Fell aus. Dennoch stand er an der Tür, quengelte und wollte los zu neuen Abenteuern. Später bohrten sich die Krallen anderer Kater in seine Stirn, er hatte tiefe Bisswunden im Schritt. Er schien sich aus allem nichts zu machen. Als ob er den beiden Menschen im Haus an jedem einzelnen Tag dafür dankte, dass er nicht kastriert worden war.
Die Kater sind jetzt unter der Schreinerei verschwunden. Nun ertönt ein so herzzerreißendes Geheul, dass ein Mensch eingreifen muss. Er springt auf, stürzt die Treppe hinunter und hinaus auf den Hof. Dort sieht er Adonis, der in gestrecktem Galopp auf die Straße zujagt. Movitz bleibt verwirrt zurück und wirft seinem Futtermeister einen unschlüssigen Blick zu. Dann scheint der Kater begriffen zu haben, dass er gewonnen hat. Dass er jetzt die Nummer 1 ist. Mit ruhigen Schritten, aber mit einem vor Brunst bebenden Körper geht Movitz langsam den Hang hoch auf die eigene Mutter zu. Sie hat sich auf dem Weg zwischen den beiden Häusern in den Schnee gelegt. Sie erwartet ihren Sohn.
Der Diener des Katers zieht sich langsam zu seiner Haustür zurück. Wieder rieseln große Schneeflocken zu Boden. Bald werden auch die Taten und Untaten dieses Tages vergessen und verborgen sein.
Er bleibt auf der Treppe zum Arbeitszimmer stehen. Das war also die Welt der Katzen. In der Welt der Menschen ging es oft noch brutaler zu. Für Einzelne spielte es nicht einmal eine Rolle, ob das Gegenüber beim Sex lebendig oder tot war. Selbst mit einer Leiche zu vögeln, konnte seinen Zweck erfüllen.