Читать книгу Die Welt, die meine war - Ketil Bjørnstad - Страница 7

3.

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Am 13. Januar 1980 landet das erste F-16-Jagdflugzeug der norwegischen Luftwaffe auf dem Flugplatz Rygge bei Moss. 71 weitere werden folgen. Sie sollen Norwegen gegen die Feinde im Osten verteidigen, gegen den großen Bären Sowjetunion. Sie sollen der Schild der NATO in der Luft sein, bereit, im Notfall ihre Bomben überall auf Europa abzuwerfen. Und später auch viel weiter weg, zum Beispiel über Afghanistan und Libyen.

Major Steinar Berg sitzt im Cockpit. Er ist 950 Stundenkilometer geflogen und hat für die Strecke von Amsterdam hierher siebzig Minuten gebraucht.

Verteidigungsminister Thorvald Stoltenberg ist noch besserer Laune als sonst.

Der Nebel legt sich über große Teile Südnorwegens, Dänemarks und Südschwedens. Auf Sandøya lauschen wir der Stille. Nichts ist so still wie Nebel. In Västra Götalands län, zwischen Tjörn und Stenungsund, ist der norwegische Massengutfrachter Star Clipper unterwegs zur Almöbro, der größten der drei Brücken, welche die Insel Tjörn mit dem Festland verbinden. Die Brücke ist im Nebel nicht zu sehen, aber auf dem Schiff erkennt man sie deutlich im Radar.

Dann zerbricht das Steuerruder des Schiffes.

Der Steuermann kann keinen richtigen Kurs mehr zu der Schrägkabelbrücke halten, die eine Segelhöhe von 43 Metern gestattet. Es geht auf halb zwei am 18. Januar 1980. Die Star Clipper hält genau auf den einen Brückenpfeiler zu. Bei dem Zusammenstoß brechen die tragenden Rohrbögen ein. Der Mittelteil der Brücke ist nicht mehr vorhanden. Große Mengen Beton und Armierung stürzen auf das Schiff, aber niemand von der Mannschaft kommt ums Leben. Nach und nach fahren aus beiden Richtungen bei dichtem Nebel Autos auf die Brücke. Sie können nicht sehen, dass die Mitte der Brücke nicht mehr existiert. Die Autos fallen über den Rand und verschwinden im eiskalten Wasser.

Die Mannschaft auf der in Liberia registrierten Star Clipper der Fred. Olsen-Reederei lässt Notraketen steigen, um die Autofahrer zu warnen, aber das hilft nichts.

Acht Menschen kommen ums Leben.

Erst drei Tage später werden die Wagen auf dem Meeresboden gefunden.

Nachts liegt er wach. Er denkt an die Autofahrer, was sie empfanden in den letzten Sekunden ihres Lebens, ehe der Tod plötzlich kam. Die banalste aller Fragen. Ja, was hast du empfunden? Die Meeresoberfläche, die sich näherte. Das Unbegreifliche an dem Sturz. Die Brücke, über die sie so oft gefahren waren und die plötzlich nicht mehr vorhanden war. Konnten sie noch denken, dass sie sterben würden? Und der liebe Onkel Odd, der ihnen allen so viel bedeutete. Wusste es der Onkel, als der Schlag kam? Bei der Beerdigung sah er im Gesicht des Vaters Trauer und Verzweiflung, wie er sie noch nie gesehen hatte. In all den Jahren danach hatte er versucht, dieses Weinen zu verdrängen. Er hatte sich gesagt, dass der Vater nur zweimal geweint hatte: einmal, nachdem er sich mit der Mutter gestritten hatte auf dem Weg zu einer Hütte bei Hallingskarvet, das andere Mal beim Tod der Mutter, viele Jahre später.

Aber während er schreibt, denkt er plötzlich: Nie hat der Vater so hilflos geweint wie nach Onkel Odds Tod. Hatte er das verdrängt, weil der Vater damit eine andere Seite seiner selbst gezeigt hatte? Im selben Moment erinnert er sich an andere Augenblicke, in denen der Vater geweint hatte. Was ging in seinem Kopf vor? Wie sortierte er die Erinnerungen? Wovor hatte er sich beschützen wollen?

Die Gewissheit des Todes. Er fragt sich, wie stark er wohl selbst sein wird an dem Tag oder in der Nacht, wenn es geschieht. Die 175 Menschen in der Stierkampfarena in Bogotà erhielten auch keine Vorwarnung. Die Tribüne unter ihnen brach einfach innerhalb weniger Sekunden zusammen.

Die Andere ist eingeschlafen. Movitz liegt an seinem Platz im Bett. Er schläft ebenfalls. Die Stille vor dem Haus dringt bis ins Schlafzimmer vor. Oft füllt sie das Haus mit noch mehr Stille. Und diese Stille drängt sich zwischen ihn und die Andere, nicht als etwas Unbehagliches, sondern als etwas Feierliches. Denn sie leben hier auf dieser Insel draußen am Meer wirklich ein stilles Leben. Es passiert nicht viel, es gibt nicht viel, was sie einander erzählen können, wenn sie sich an den Abendbrottisch setzen oder ihr Tagewerk erst zur Hälfte hinter sich gebracht haben. Sie versuchen, etwas zu erschaffen, alle beide. Sie webt, er schreibt an einem Buch oder spielt Klavier. Aber selbst die Flügeltöne können gegen die Stille nichts ausrichten. Die Stille ist keine Freundin. Aber sie ist auch keine Feindin. Sie steht einfach da, mitten im Raum, und sagt: Hier bin ich. Was habt ihr jetzt vor mit mir?

Er kann nicht antworten. Er denkt nur, dass er sich entscheiden muss. Entscheiden, welches Leben er leben will. Aber hat er sich nicht bereits entschieden?

Er lebt seit fast fünf Jahren auf dieser Insel.

Die Welt, die meine war

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