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Оглавление7 Jahre zuvor
Die Menge raunte leise. Überall waren gedämpfte Gespräche zu hören, während die Leute eingepfercht, in einem alten Hangar, warteten. Am hinteren Teil war ein Podium errichtet. Überall waren bewaffnete Wachen, die den Raum gut im Auge hielten. Avery nickte hier und dort jemandem zu, grüßte, wechselte ein paar Worte. Dann gingen sie weiter. Sie frage sich, ob er all diese Leute wirklich aus seiner Zeit als aktiver Partisan kennen gelernt hatte? Er hatte ihr schon oft davon erzähl, seit sie wusste, wer er wirklich war. Wer sie wirklich war. Eine Viper, wie achtzig Prozent der restlichen Anwesenden in diesem Hangar auch.
Draußen pfiff der kühle Wind. Im späten Herbst war es bereits sehr kalt in Wologda, Russland. Nichts für verwöhnte Südstaatler. Doch ihr machte es nichts, sich dieser Kälte aussetzen zu müssen. Es hatte sie auch nicht gestört, dass sie über Nacht, während ihrer Autofahrt, einen Stopp machen mussten. Eigentlich fuhr man nur sechs Stunden von Moskau. Unter dem Vorwand, mit seiner Tochter Urlaub machen zu wollen, hatte Avery sie aus der Akademie geholt, die sie in dem vergangenen Jahr besucht hatte.
Es war ein Versuch neu anzufangen, nach dem Fehlschlag in Saint Louis. Nun lebte sie an einer Akademie in Sacramento. Bald konnte sie an einer Polizeiakademie in San Francisco weiter machen. Sie würde strategisch weiter aufsteigen, weiter und immer weiter, bis sie die Position erreicht hatte, an der sie die Partisanen brauchten. Und wenn alle an ihren Positionen waren, würden sie zuschlagen und dem Ministerium der Vereinigten Staaten das Genick brechen.
Viper 28 lächelte bei diesem Gedanken. Das Gemurmel wurde leiser, als ein Mann mit grauem Haar zu sehen war. Als er an das Podium getreten war, breitete er die Arme aus und lächelte. „Moi deti anarkhii. Partizanskaya A D´V´C“
Dann übersetzt, mit stark ausgeprägtem, russischem Akzent. „Meine Kinder der Anarchie. Kämpfer der A D´V´C. Zahlreich steht ihr hier, unsere Hoffnung, unsere Zukunft. Gemeinsam wollen wir etwas bewegen. Gemeinsam wollen wir eine Welt schaffen, in der wir selbst bestimmen können, welche Kriege wir führen. Für welche Werte unsere Familien und Freunde sterben. Schluss damit, uns zu Marionetten der amerikanischen Regierung machen zu lassen!“
Die Menge stimme ein.
„Ich bin stolz“, schrie er nun und sah durch die Menge. „Zahlreich erheben wir uns. Im Staub und der Asche unserer Verluste, sind wir gekrochen. Doch das wird bald ein Ende haben!“
„Konéchno!“ brüllte die Menge zur Bestätigung seiner Worte.
„Wir erheben uns!“ Er hob die geballte Faust.
„Da!“ Die Menge machte es ihm nach, als sie seine Worte bejahten. Auch 28.
Sie sah die ganze Fahrt aus dem Fenster. Ihre Beine baumelten über den Rand ihres Kindersitzes, wackelten dabei auf und ab. Sie hatten gesagt, dass sie ein wunderschönes, neues zu Hause kaufen wollten. Aber dafür musste sie etwas tun, das man eigentlich nicht durfte. Lügen. Doch es war wichtig, das hatten sie ihr eingeprägt. Sie musste so tun, als wäre sie wirklich ihre Tochter. Irgendwie freute sie sich darüber. Sie wollte selbst, dass es so war. Warum also nicht? Sie sagten, dass es sich auch bald so anfühlen würde, als wäre es nie anders gewesen. Dabei hatte ihre neue Mommy geweint. Lynn wusste nicht warum. Vielleicht, weil sie sich so freute? Dabei hatte sie gar nicht so glücklich ausgesehen. Abends hatte Lynn sie noch mal weinen hören und der Mann hat sie angebrüllt. Deswegen ging ihm Lynn lieber aus dem Weg. Er machte ihr irgendwie Angst. Und sie mochte es nicht, wenn er ihre neue Mommy so anschrie. Sie fuhren an vielen großen Häusern vorbei, eins größer, als das andere. Viele verschiedene Farben. Lynn hätte nie geglaubt, dass sie mal in so einem tollen Haus leben würde. Vielleicht so eines, das man sich zwischen Hauswänden und Containern baute. Aus Pappe und anderen Sachen, die andere so wegwarfen. Aber nie ein richtig Echtes.
Dann hielt ihr neuer Daddy vor einem der Häuser an, auf dessen Rasen ein Schild im Boden stand. Ihre Mommy stieg aus und lächelte glücklich. Diesmal sah sie wirklich glücklich aus, dachte Lynn. Als sie ihrem Mann einen Blick zu warf, lächelte auch er und nickte ihr zu. Rasch öffnete ihre Mommy ihr die Tür und löste sie aus dem Kindersitz. Dann nahm sie Lynn auf den Arm. Lynn legte ihren Kopf an ihre Schulter. Sie atmete den Geruch tief ein. Sie liebte den Geruch ihrer neuen Mommy. Es war süß und erinnerte sie irgendwie an Blumen. Mit einem Daumen im Mund, ließ sie sich über die Wiese tragen. Vor dem Haus wartete ein Mann. Lynn kannte ihn nicht. Doch er begrüßte sie sehr nett.
Als er Lynn die Hand geben wollte, versteckte sie ihr Gesicht im Haar ihrer Mommy. Die Erwachsenen lachten. Dann gingen sie ins Haus. Es war riesengroß. Lynn sah sich staunend um, während ihre kleinen Finger mit einer Strähne ihrer Mommy spielten. Die Erwachsenen unterhielten sich über zahlreichen Kram, den Lynn nicht verstand. Dann ging ihre Mommy mit ihr die Treppe hinauf und öffnete die zweite Zimmertür. Das Zimmer war genauso, wie sie es ihr versprochen hatten. An den Wänden waren Bilder von Tieren, es erinnerte sie an ein Bild, das sie mal gesehen hatte. Eine Seite, heraus gerissen aus einem Kinderbuch.
Ihre Mommy lächelte, als sie Lynn einen Kuss auf die Stirn gab. Das tat sie nur, wenn ihr neuer Daddy nicht in der Nähe war. „Gefällt es dir?“
Lynn nickte mit großen Augen, die leuchteten voller Freude. Ihre Mommy ließ sie herunter. Lynn ging an das Regal, das mit vielen Spielsachen befüllt war und setzte sich davor. Da waren Puppen, Stofftiere, Plastikdinger und Autos in klein, und Bücher, richtige Bücher. Ihre Mommy setzte sich hinter Lynn und nahm sie in den Arm. Sanft gab sie ihr einen Kuss auf ihr Haar und flüsterte. „Du wirst ein richtiges zu Hause haben. Das verspreche ich dir. Es wird dir an nichts fehlen, solange ich lebe. Und niemand wird dich mir wegnehmen.“
Ihr Atem ging stoßweise, als sie wach wurde. Sie presste die Augen zusammen, zählte bis zehn. Ihr Kissen war nass, scheinbar hatte sie im Schlaf geweint. Schnell drehte sie es herum. Er durfte nicht sehen, dass sie geweint hatte. Niemand durfte das sehen. Sie zitterte am ganzen Körper, bei der Erinnerung im Schlaf. Es war, als würde sie wirklich noch mal mit ihrer Mutter, oder Carol, wie auch immer, vor diesem Regal sitzen. Als könnte sie ihre Arme noch um sich spüren und den sanften Kuss, den sie ihr aufs Haar gehaucht hatte. Und sie spürte noch den Atem an ihrem Ohr, als sie ihr dieses Versprechen gab. Ein Schluchzen wollte ihre Kehle hinauf dringen. Schnell stürzte sie ins Badezimmer und riss den Wasserhahn auf. Sie schlug sich das kalte Wasser ins Gesicht. Doch es brachte nichts. Sie konnte sich nicht beruhigen. Niemand durfte sie so sehen, niemand! Sie bekam Panik. Wieder diese grausame Panikattacke, dieses Engegefühl in der Brust, das sie kaum atmen ließ.
Sie riss sich die Kleidung praktisch vom Leib und stieg unter einen eiskalten Wasserstrahl in der Dusche. Das beruhigte sie oft. Ihre Tränen waren heiß. Auf ihrer Haut, ein Kontrast zu dem eiskalten Wasser, das über ihren Körper strömte. Sie kauerte sich auf den Boden der Duschkabine zusammen. Ihr Körper wippte vor und zurück. Bitte beruhige dich, besprach sie sich in Gedanken. Hoffentlich war er noch nicht im Zimmer nebenan.
Sie hatten sich über Nacht in einer Pension, am Rande der Stadt, nieder gelassen. Avery hatte sein Zimmer gleich neben ihrem. Er durfte sie nicht weinen hören, denn sonst würde er es wissen. Er würde wissen, dass sie kaputt war. Dass sie nicht so funktionierte, wie sie es von ihr erwarteten. Sie hatte das Gefühl, verrückt zu werden. Hin und her gerissen, zwischen etwas, das sie verabscheute und etwas, vor dem sie Angst hatte. Vor den schlimmen Dingen, die sie selbst tat. Carly hatte das Gefühl, daran zu zerbrechen. Jeden Tag etwas mehr.