Читать книгу Geschändete Seelen - Kim Mevo - Страница 16
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ОглавлениеCarly
Carly atmete tief durch. Sie hielt ihre Hände und Unterarme unter das kalte Wasser des Wasserhahns. Dann tätschelte sie sich Wasser ins Gesicht. Für einen Moment dachte sie zuvor, sie würde einfach umkippen. In ihrem Kopf hatte sich alles gedreht. Er hatte sich etwas verändert. Er war breiter, muskulöser und größer geworden, reifer, seine Züge markanter, männlicher. Er trug einen leichten Bart. Carly hielt sich am Rand des Waschbeckens fest und atmete tief ein. Sie atmete und zählte bis zehn. Jetzt bloß nicht noch eine Panikattacke. Das konnte sie beim besten Willen nicht gebrauchen.
Jemand packte sie am Arm und riss sie herum. Carly zuckte zusammen. „Amb...“
Amber schlug ihr die Hand auf den Mund und bedeutete ihr leise zu sein. Dann stellte sie sich neben sie an das Waschbecken. „Was denkst du, was du da tust?“
„Was ich...?“ Carly sah sich hektisch um. „Wie bist du hier rein gekommen? Die kontrollieren ziemlich scharf am Eingang.“
Amber zog eine Braue hoch. Carly nickte genervt. „Schön, ich habe das nicht geplant. Hätte ich gewusst...“
„Hättest du dich gedrückt? Sehr reif.“
„Ich tue mein Bestes, mit dieser Situation umzugehen, ja?“ zischte sie Amber an.
Amber schnaubte und blickte Carly nun direkt an. „Vergiss den Plan nicht, Lynn.“
Carly nickte. Dann atmete sie tief durch. „Ich will das nicht.“
„Was?“
„Nenn mich Carly.“
Gerade als Amber etwas erwidern wollte, kam jemand herein. Beide taten so als würden sie die Hände waschen. Amber packte ihre Schminke aus. Carly trocknete ihre Hände. Es war so, als würden sie einander nicht kennen. Cerys zwinkerte Carly zu und grüßte Amber höflich. Sie kannten einander nicht. Und es war wichtig, dass Cerys die Verbindung zwischen Carly und Amber ebenso nicht kannte.
Als sie auf die Toilette verschwunden war, gab Carly Amber ein Zeichen und verschwand. Amber drehte sich weg und blinzelte zwei Mal, ehe sie ihre Wangen puderte. Das war ihre stumme Bestätigung. Carly fragte sich, wie sie überhaupt so leichtsinnig sein konnte, sich dort blicken zu lassen. Auch wenn sie irgendwie froh war, sie in ihrer Nähe zu haben. Es war viel zu riskant. Sollte sie jemand erkennen, wäre auch Carlys Tarnung sofort dahin.
Amber hatte vor fünf Jahren einen Tod vorgetäuscht, den selbst Carly ihr abgekauft hatte. Carly wollte gar nicht darüber nachdenken, dass sie dafür eine Frau verbrannt hatte, die genau auf ihre Maße angepasst war, um es glaubwürdig zu machen.
Carly konnte sich noch an das grausame Gefühl erinnern, als sie hilflos dabei zusehen musste, wie der letzte Mensch, der sie davon abhielt, den Verstand zu verlieren, in einem Autofrack verbrannte, welches eine tiefe Böschung hinab gestürzt war. Denn auch sie hielt Ambers Tod für echt. Erst ein Jahr später war Amber wieder aufgetaucht und hatte Carly aus einem inneren Sumpf heraus gezerrt, in dem sie sonst versunken wäre. Ertrunken in dem Dasein als Viper. Carly hatte sich zuerst dagegen gewehrt, doch dann zeigte ihr Amber die Akte eines Mordfalls, der nie aufgedeckt wurde.
Der ihrer Mutter. Sie schauderte und schüttelte die Gedanken aus ihrem Kopf. Als Carly in den Besprechungsraum zurückkam, wurde der Raum bereits mit dem Geruch von frischem Kaffee erfüllt. Jemand hatte einige Kannen und Tassen auf den Tisch, welcher an der Wand stand, gestellt. Daneben befanden sich Zucker und Milch. Carly bediente sich und gesellte sich wieder an den Tisch dazu, an dem gearbeitet wurde. Aiden Mora war gerade dabei, Prick und Oconnel die Grundprinzipien der AD´V´C zu erklären. Carly stellte sich dazu und rieb ihr Kinn. Sie warf einen Blick über die Blätter. Aiden führte alle möglichen Vorkommnisse auf. Doch Carly fragte sich, was die anderen tatsächlich ohne ihr Bei tun, über diese Organisation wussten? Denn nur anhand dessen, konnte Carly wirklich ihre Arbeit erledigen. Wenn ihr niemand in die Quere kam. Sie sah zu Tate rüber, der sich mit einem Kollegen, der etwas älter war, eine Akte durchlas. Hoffentlich würde das, oder vielmehr er, nicht zum Problem werden.
Nach einem langen und harten Arbeitstag, war Carly froh, sich auf ihr Hotelzimmer zurückziehen zu können. Es war ihr nicht leicht gefallen, in Tates Nähe zu sein. Diese Spannung zu ertragen, die sie praktisch hatte greifen können. Zwei der Agenten hatten sie zu einem Feierabendbier eingeladen. Doch Carly lehnte dankend ab.
Cerys und Aiden dagegen, hatten die Einladung angenommen und sich daher von Carly schnippische Bemerkung anhören müssen. Carly hoffte, dass ihre Freizeit keine Auswirkungen auf ihre Arbeit ausübte. Denn schließlich waren sie dazu in DC. Sie war völlig durch den Wind. Trotzdem wusste sie, dass sie sich den anderen gegenüber, manchmal wirklich nicht fair verhielt.
Besonders Aiden hatte es nicht leicht. Er war noch nicht lange bei der NSA, hatte aber eine zehnjährige Berufserfahrung, als Agent im Ausland. Ebenfalls Russland. Daher hielt ihn Friedmann, besonders in diesem Fall, für eine Bereicherung. Carly hoffte, dass er Recht behielt. Was wenn sich Aiden ebenfalls als Doppelagent herausstellte und Carly im Weg stehen würde? Denn sollte es so sein und sie wusste nichts davon, konnte das nichts Guts bedeuten. Es war schon mit ihrem Mann schwierig genug. Dennoch hatte sie ein seltsames Gefühl mit ihm.
Carly war ganz froh, eine lange kühle Dusche nehmen zu können. Der Tag war lange genug gewesen. Als sie fertig war, sah sie, dass das Display ihres Mobiltelefons leuchtete. Sie sah nach und stellte fest, dass sie einen Anruf verpasst hatte. Dann rief sie zurück. Es klingelte ein Mal. Dann: „Ist die Leitung sicher?“
„Ja.“ „Wo bist du?“
„DC. Das müsstest du wissen.“ Carly konnte den Vorwurf und Hohn in ihrer Stimme nicht verbergen. „Mhh“, er brummte. Ihr Ehemann war mürrisch wie immer.
„Warum habt ihr mich nicht informiert?“ knurrte Carly ihn nun an.
„Du hast es erfahren, als du es erfahren solltest.“
„Gibt es Schwierigkeiten?“
„Tja, ich weiß es nicht.“
Schweigen breitete sich aus. Doch sie wartete. Dann brummte er. „Du bist raus, also kann ich es dir ja sagen. Und du hältst die Klappe.“
„Da!“
„Jemand spielt falsch.“
Carly lachte. „So ein Unsinn. Wie soll das gehen?“
„Tja, ich weiß es nicht. Jedenfalls sind Informationen an die NSA geraten, die sie nicht haben durften.“
Carly schnalzte. „Deswegen der Neue?“
Sie hätte schwören können, ihn lächeln zu hören. Sie wusste es. Es war so ein Gefühl gewesen, das sie immer wieder beschlich. Aiden war ihr von Beginn an verdächtig vorgekommen. Also hatte sie sich, bezüglich Yarbrough, geirrt. Es war nicht er gewesen, welcher der dritte im Bunde war. Er, als Dritter der AD´V´C, der im NSA eingeschleust wurde. Es war Aiden.
„Gefällt er dir?“ schnalzte ihr Mann nun.
Carly schnaubte. „Was denn, Liebling? Bist du eifersüchtig?“ „Er ist gut. Und er hat ein Auge auf dich.“ Wieder hörte sie ihn lächeln. „Dann weiß ich mit Sicherheit, dass du mit Tate keinen Scheiß machst.“
Carly blieb das Herz stehen. Er wusste es, natürlich.
„Ja.“ Er schnalzte gedehnt, als er wohl ihre Sprachlosigkeit bemerkte. „Denkst du, ich finde das nicht heraus?“
„Er arbeitet für das FBI. Darauf hätte ich eigentlich gefasst sein sollen.“
„Hättest du.“
„Und das wäre ich gewesen, hätte man mich vorbereitet“, zischte sie.
„Die Sache ist geklärt, mit dir. Trotzdem müssen wir raus finden, wo das Leck ist und es beseitigen. Halt die Augen offen, Zimjia.“
„Konéchno!“ bestätigte sie seine Worte.
Als er aufgelegt hatte, spürte Carly, wie sich ihr Magen zusammen zog. Wie hatte er so schnell darauf kommen können? Hatte Aiden zuvor ihre Reaktion bemerkt, als sie Tate sah? Dabei war sie so bemüht gewesen, sich nichts anmerken zu lassen. Oder hatte man das bereits berechnet? Ihr kam ein weiterer Gedanke. War all das vielleicht berechnet gewesen? War es die Weise gewesen, wie sie Carly hatten testen wollen? War es nicht der überraschende Anschlag, sondern Tate? So wie ihr Mann sagte, gab es einen Spitzel. Hatten sie so herausfinden wollen, ob dieser Spitzel Carly war?
Carly rubbelte sich die Haare trocken. Dann fasste sie einen Entschluss. Sie musste sich von Tate fern halten, so schwer es auch für sie war. Langsam setzte sie sich auf ihr Bett und ließ das Handtuch auf ihren Schoß sinken.
Als sie Tate gesehen hatte, hatte ihr Herz geklopft wie verrückt. Sie hatte sich einerseits gefreut, doch auf der anderen Seite war zu viel passiert. Sie war immer noch wütend darüber, dass er sich für seine Karriere entschieden hatte. Und es lagen acht Jahre dazwischen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Zu viel war passiert. Zu viel hatte sich verändert. Sie hatte sich verändert.
Sie war eine Viper.