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Die Grönländer bewahren ihre kulturelle Identität

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Die Nordmänner trafen in Grönland auf Paläo-Eskimos der Dorset-Kultur, die schon länger im Norden der Insel lebten, und auf die etwas später ankommenden Neo-Eskimos der Thule-Kultur. Beide arktischen Völker mussten ebenso wie die Nordmänner für ihre Familien und Gemeinschaften sorgen. Sie taten das mittels Jagdmethoden, Lebensweisen und Sitten und Gebräuchen, die sie in ihrer langen Vertrautheit mit den Polarregionen entwickelt hatten, genau wie die mittelalterlichen Nordmänner rund um den Nordatlantik von den Erfahrungen ihrer Vorfahren zehrten. Weder die Dorset- und Thule-Menschen noch die Nordmänner mussten den fremden Lebenstil des jeweils anderen kopieren, denn beide Gruppen besaßen die Fähigkeiten und Traditionen, die sie brauchten, um zu jagen, zu fischen und auf andere Weise Nahrung zu sammeln, ihre Kinder aufzuziehen und als Gemeinschaften zu funktionieren – und schließlich auch, um sich warm zu halten.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sporadischer Kontakt zwischen den Nordmännern und den Dorset- oder den Thule-Menschen zu bedeutsamen kulturellen Veränderungen auf einer Seite geführt hätte. Archäologen haben bisher auch keinen Beleg dafür entdeckt, dass die nordischen Grönländer durch die Anwesenheit der anderen Völker in ihrer Existenz bedroht waren. Sie hielten vielmehr beständig an ihren kulturellen Eigenarten fest und lebten so weiter, wie sie es gewohnt waren. Überreste ihrer Wohnstätten, ihrer Werkzeuge, ihrer Knochen und ihrer Nahrung zeigen, dass die Nordmänner in Grönland bis zum Untergang ihrer Kolonie ein Dach über dem Kopf hatten und ausreichend Kleidung besaßen. Beides überdauerte die Zeiten und war durchaus den Alltagstätigkeiten im Haus und draußen angepasst. Die Siedler jagten, fischten, bewirtschafteten das Land und trieben Handel ähnlich wie die Menschen in Island und Norwegen. Sie waren an ihre einzigartige Umwelt so gut angepasst, dass sie auch die Jagdsaison in der Polarregion überstanden.

Grundlos fundamentale Aspekte der eigenen Kultur aufzugeben, kann wohl kaum mit dem Begriff »Anpassung« beschrieben werden. Die Vorstellung, dass sich die nordischen Grönländer hätten »anpassen« sollen, indem sie die Jagdmethoden, die Kleidung und die Sitten und Gebräuche der Eskimos übernahmen, leuchtet schon ganz allgemein kaum ein, und sie wird grotesk, wenn wir uns eine nordische Frau vorzustellen versuchen, die sich nur mit einem natit (ein Bekleidungsstück, das in traditionellen Inuit-Gesellschaften von Erwachsenen im Hause getragen wird) bekleidet der Zubereitung des Essens widmet oder in schwere Pelze gehüllt melkt oder Butter macht. Sicher waren weder ihr noch ihrer Familie Pelze fremd, doch meist nutzten die Nordmänner warme und bequeme Kleidungsstücke aus selbstgesponnener Wolle, die vadmál genannt wurden – ein Produkt weiblicher Handwerkskunst und unermüdlicher Arbeit, auf das sich Isländer und Grönländer für ihre eigenen Bedürfnisse wie auch für den Export verließen. Im Nationalmuseum in Kopenhagen zeugen bemerkenswert gut erhaltene mittelalterliche Kleidungsstücke aus Grönland von den Fähigkeiten und dem Ideenreichtum, die eine Grönländerin zu investieren bereit war, um modische Bekleidung für sich selbst, ihren Ehemann und ihre Kinder zu schaffen. Einen großen Teil der Zeit, die sie im Haus verbrachte, stand sie an ihrem Webstuhl, und praktisch überall, wo sie sich befand, füllte sie »müßige« Zeit mit Spinnen aus. Ihre Arbeit hätte sich sicher nur dann von Grund auf gewandelt, wenn die Haustiere verschwunden wären, die die meisten Rohmaterialien lieferten. Eine »Anpassung« an die Lebensweise der Eskimos hätte auch entsprechende Verschiebungen in den Tätigkeiten der Männer miteinbezogen.

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