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3 Das Leben in der neuen Heimat
Die grönländischen Siedler hatten keine Zeit zu verlieren. Schnell mussten sie sich der immensen Größe ihres neuen Landes und den klimatischen Bedingungen dieser bis hoch in den arktischen Norden ragenden Insel anpassen. Statt des vergleichsweise milden maritimen Klimas, das sie als Bauern an der Küste Islands und Westnorwegens kannten, fanden sich hier kühle Küsten, während die Binnenenden der tief eingeschnittenen Fjorde sich so weit ins Landesinnere erstreckten, dass dort eher kontinentales Klima herrschte, dessen relativ warme Sommer man mit rauen Wintern bezahlte. Die geschützten Stellen, an denen die Nordmänner ihre Höfe errichteten, sind im Sommer noch heute so grün und blumenübersät wie schon vor tausend Jahren, als Eirik Grönland den Namen gab, den es seiner Ansicht nach verdiente, und Ende September glühen noch immer die Blätter der Zwergbirken an den Hängen – bekannt jedoch war und ist die Insel für den ewigen Winter ihres Berglands im Landesinneren, wo unzählige Gipfel (nunatak) den Schild des Grönlandeises durchbrechen und wo die Wettergötter wohnen.
Studien zu Grönlands Klimageschichte im Laufe der vergangenen zwei Jahrtausende zeigen, dass es während der nordischen Siedlungszeit große Temperaturschwankungen gab und dass sowohl »kalte« wie auch »warme« Klimaphasen oft warme bzw. kalte Zwischenspiele hatten. Natürlich können sich selbst kleine Temperaturschwankungen in nördlichen Breiten stark auswirken, doch die Kolonisten müssen in der Lage gewesen sein, sich an diese Klimawechsel anzupassen, wenn sie dort ein halbes Jahrtausend überlebten. Tatsächlich warnt der isländische Historiker Gísli Gunnarsson vor einem allzu einfachen Ansatz bei der Beurteilung der Folgen sprunghafter Wetteränderungen für Umwelt und Wirtschaft.1
Die nordischen Siedler gewöhnten sich sicher bald an die Föhnwinde, die entstehen, wenn warme Luft auf Grönlands zentralen Gebirgsrücken trifft und auf der Lee-Seite mit einer solchen Geschwindigkeit abfällt, dass die Temperaturen schnell um über zwanzig Grad steigen, sobald die warme Luft die kalte über dem Boden verdrängt. Zwar hatten sie keine Instrumente, um diesen Vorgang aufzuzeichnen, die Auswirkungen aber spürten sie ganz sicher. Die Ortswahl für ihre Höfe zeigt, dass sie auch ein weiteres Phänomen kannten: In Grönland nimmt die Temperatur pro hundert Höhenmeter um ein Grad ab. Wenn über dem Eisschild auf 2500 Meter Höhe minus fünfzehn Grad herrschen, liegt die Temperatur auf Meereshöhe immer noch bei angenehmen plus zehn Grad. Menschen, die mit den Bedingungen in Island und Norwegen vertraut waren, mussten deshalb keine seherischen Fähigkeiten besitzen, um die besten Plätze für eine Hofstätte zu erkennen.2 Eirik der Rote und seine Siedler wussten recht gut, wie sie ihre Wahlheimat am besten nutzten.