Читать книгу Mit Kurs auf Thule - Kirsten A. Seaver - Страница 16

Ein kühnes Landnahmeprojekt

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Als Eiriks dreijährige Verbannung ablief und er nach Island zurückkehrte, war er in jeder Hinsicht überzeugt, dass das neu erkundete Land auch besiedelt werden sollte. Konflikte mit irgendwelchen Einheimischen waren nicht zu befürchten, und die natürlichen Bedingungen waren günstig für die nordische Weidewirtschaft mit ihrer Kombination aus Viehzucht, Fischerei und Jagd auf Land- und Meeressäuger. Allerdings wusste er auch, dass eine reich gefüllte Speisekammer nicht genügte, um die Leute anzulocken, obwohl sich die Nordmänner von der Besiedlung Islands auch durch den Namen nicht hatten abschrecken lassen, den der entnervte norwegische Entdecker Flóki Vilgerdsson der Insel nach einem harten Winter dort gegeben hatte. Eirik ging kein Risiko ein. Seine Landsleute würden ausreichend Grünfutter für die Rinder, Schafe und Ziegen brauchen, die sie wegen ihres Leders und ihrer Wolle, der Milch und Milchprodukte und eines schönen Bratens hin und wieder hielten, und für ihre robusten kleinen Pferde, die wegen ihrer Muskelkraft gezüchtet und ebenfalls gegessen wurden. Um die Isländer dazu zu bringen, mit ihm in sein neues Land zu segeln, nannte er es Grönland, »grünes Land«, »denn er meinte, die Leute würden eher Lust bekommen, sich dort niederzulassen, wenn es einen so schönen Namen habe«.15 Und damit hatte er sicher recht.

Die Saga-Literatur nennt die Namen mehrerer Nordmänner, die als erste Siedler Land in der Ostsiedlung für sich absteckten, nicht jedoch jener Männer, die ihre Leute weiter nach Norden führten. Auch fehlen Informationen darüber, wer neben Eirik vor der Kolonisation an der Erkundung Grönlands teilgenommen hatte. Wir erfahren nur, dass einige Freunde ihm bis auf hohe See Geleit gaben, vermutlich, damit er nicht als Vogelfreier zu Tode kam. Dennoch gibt es deutliche Hinweise auf die Namen dreier Freunde, die Eirik die gesamte erste Reise über begleitet haben müssen und sich wie er selbst erstklassiges Bauernland sicherten. Ihre Identität kann man aus der unglaublich vorteilhaften Lage der Höfe erschließen, die mit dem Namen der vier Männer verbunden sind.

Sagas wie auch die archäologischen Befunde offenbaren, dass neben dem Häuptlingssitz Eiriks des Roten namens Brattahlid (steiler Abhang) die Anwesen Gardar, Hvalsey und Herjolfsness über die ganze Zeit der nordischen Grönlandbesiedlung hinweg die bedeutendsten Höfe und Handelsstätten der Ostsiedlung waren. Kürzlich habe ich alle diese Gehöfte von See aus angefahren, von Herjolfsness angefangen immer weiter hinauf nach Norden, und dabei wurde mir klar, wie sinnvoll sie voneinander getrennt liegen und wie perfekt jede Stätte fruchtbares Land mit guten Häfen und leichtem Zugang von See aus verbindet.16 Ich glaube, dass Eirik auf seiner ersten Reise nicht nur von Einar, dem Siedler in Gardar (dessen Sohn er dann seine Tochter Freydis zur Frau gab) begleitet wurde, sondern auch von seinem Cousin Thorkell farserkr (der Weitgereiste), der sich in Hvalsey niederließ, und von Herjolf Bárdsson, dem Siedler in Herjolfsness.

Der mittelalterliche Reisende erreichte Grönland, nachdem er Kap Farvel umrundet hatte oder durch den Prins Christian Sund gesegelt war, in Herjolfsness, dem südlichsten Hafen. Der Zugang ist vom Meer her leicht zu erkennen – weit öffnen sich Felsenarme, um erschöpfte Reisende in der geschützten Bucht und am Sandstrand willkommen zu heißen. Zusammen mit der Geschichte von Herjolfs Sohn Bjarni (siehe unten), wie sie in der »Saga von den Grönländern« erzählt wird, belegt dieser auffällige Zugang zu dem ausgezeichnet geeigneten natürlichen Hafen, dass der erste Besitzer von Herjolfsness mit Eiriks erster Expedition nach Grönland gekommen sein muss, und Gleiches gilt wohl auch für die Siedler in Gardar und Hvalsey.

Als Eirik und seine Gefährten nach Island zurückkehrten, um andere davon zu überzeugen, mit ihnen in dem neuen grünen Land im Westen zu siedeln, und bevor sie sich zum zweiten Mal und endgültig nach Grönland aufmachten, ließen sie in Island wohl genaue Anweisungen und Richtungsangaben zurück für jeden, der womöglich nach ihnen mit westlichem Kurs aufbrechen wollte. Und genau dies, nach Westen gehen, wollte der »Saga von den Grönländern« zufolge Herjolf Bárdssons Sohn, der Kaufmann Bjarni, als er einen Sommer nach der Besiedlung Grönlands durch Eirik und seine Gefolgsleute von Norwegen nach Island zurückkehrte.

Bjarni hatte eigentlich erwartet, den Winter wie gewöhnlich auf dem Hof seines Vaters zu verbringen, aber Herjolf war mit Eirik ausgewandert. Bjarni vertat deshalb keine Zeit und setzte Segel mit Kurs auf Grönland, doch steife Nordwinde trieben sein Schiff weit nach Südwesten vom Kurs ab. Der Nebel verhinderte eine Positionsbestimmung, bis endlich die Sonne wieder hervorkam und er seine Peilungen machen konnte. Schließlich erklärte er seiner verwunderten Besatzung, dass die bewaldete flache Küste, die sie vor sich sahen, nicht Grönland sein konnte, und segelte – natürlich ohne es zu ahnen – an der kanadischen Küste entlang nach Norden, bis er einen Abschnitt voller Gletscher und öder Felsen erreichte. Die Landschaft sah ganz und gar nicht so aus, wie man ihm Grönland geschildert hatte, doch nach vier weiteren Tagen auf See, nun mit klarer Peilung nach Osten, kam ein Land in Sicht, dass eher der Beschreibung seines Ziels entsprach, und bei Morgengrauen landete er just bei Herjolfsness, dem neuen Hof seines Vaters.17 Herjolf war zweifellos erfreut, seinen Sohn zu sehen, und wohl auch nicht überrascht darüber, dass Bjarni ihn hatte finden können.

Bjarni wird später im Zusammenhang mit den Amerikafahrten der Nordmänner noch eine Rolle spielen. Er war laut der »Saga von den Grönländern« ein »sehr hoffnungsvoller Mann«, und sein Vater Herjolf wird als »ein sehr angesehener Mann« beschrieben – von diesem Ansehen profitierte Bjarni vermutlich, als er einige Jahre später nach Norwegen kam und von Jarl (Fürst) Eirik Hákonsson empfangen wurde, der damals das Land regierte.18 In unserem Kontext jedoch sind die Hinweise in den Sagas, dass Bjarni sowohl die Breite wie auch die entscheidenden Landmarken kannte, als er nach Grönland aufbrach, wichtiger als sein Stammbaum, denn sein Wissen konnte er nur aus Informationen gezogen haben, die Herjolf selbst vor seiner Auswanderung den Menschen, die in Island zurückblieben, gegeben hatte. Mehr noch, die Sagaerzählung zeigt, dass Bjarni, als er sich in einer unbekannten Umgebung wiederfand, nachdem er an Grönland vorbeigetrieben worden war, die Sonne nutzte, um seine Position zu bestimmen, wofür der oben beschriebene einfache Sonnenkompass ausreichte.

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