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Das »Tor« zu Vínland – Leben in L’ Anse aux Meadows

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Wie sich herausstellte, bewegten sich die Sagas auf festem Grund, als sie berichteten, dass auch Frauen an diesen frühen europäischen Ausflügen nach Amerika teilnahmen. Am bekanntesten war Gudrid Thorbjarnardóttir, die Karlsefni als seine Ehefrau begleitete und ihren Sohn Snorri auf amerikanischem Boden zur Welt brachte. Die archäologischen Untersuchungen in L’ Anse aux Meadows unter der Leitung von Anne Stine Ingstad waren 1964 noch lange nicht abgeschlossen, als in Form eines kleinen Spinnwirtels aus Speckstein ein erster eindeutiger Beweis nicht nur für den nordischen Ursprung der Stätte, sondern auch für die Anwesenheit von Frauen an diesem Ort auftauchte.7 Wissenschaftliche Untersuchungen zur Zusammensetzung der Gruppen, die den Platz benutzten, bestätigen auch andere Aspekte der Vínland-Sagas. Sie berichten zwar von unterschiedlich vielen Expeditionsfahrten und geben divergierende Namen der beteiligten Anführer an, lassen aber beide vermuten, dass ein beträchtliches Kontingent von Isländern an diesen Unternehmen teilnahm. Untersuchungen an zehn Bruchstücken von Feuersteinen aus Jaspis, die in und in der Nähe von Gebäuden in L’ Anse aux Meadows gefunden worden waren, passen sehr gut zu diesem Fokus der isländischen Sagas auf ihre Landsleute. »Feuersteine« zählten zur persönlichen Ausstattung und nutzten gewöhnlich durch intensiven Gebrauch ab, deshalb hatte ein solches Bruchstück seinen Besitzer wahrscheinlich erst vor relativ kurzer Zeit zu dem Ort geführt, wo es dann viel später gefunden wurde. Als man die »Fingerabdrücke« der Jaspisbruchstücke von L’ Anse aux Meadows untereinander und mit Proben aus Norwegen, Island, Grönland, Neufundland, New Brunswick, Nova Scotia und Maine sowie von der amerikanischen Ostküste bis hinunter zum Ausfluss der Großen Seen verglich, fanden sich sowohl grönländische wie auch isländische Jaspise unter den zehn Proben. Auffälligerweise fand sich grönländischer Jaspis von der Küste des Gebiets um die Westsiedlung nur in und rund um »Haus F«, das ganz offensichtlich das wichtigste Gebäude an diesem Ort war, während isländischer Jaspis in und um alle anderen Unterkünfte vorherrschte. Das lässt vermuten, dass es in jedem Haus Isländer gab, während nur relativ wenige »Haus F« mit dem für die Expedition verantwortlichen Grönländer teilten.8

Man darf dennoch nicht annehmen, dass alle Einzelheiten in den beiden Sagas in der Form, in der sie auf uns gekommen sind, einen ähnlichen Tatsachenwert haben. Die mündlich weitergegebenen Geschichten über Vínland wurden erst zwei Jahrhunderte nach den Ereignissen auf Pergament festgehalten. Und die Schreiber wären keine Menschen gewesen, hätten sie nicht hin und wieder Vorstellungen ihrer eigenen Zeit einfließen lassen. Ein gutes Beispiel ist die Beschreibung des in Vínland gefundenen »selbstgewachsenen Weizens« in der »Saga von Eirik dem Roten«. Dieser Ausdruck ist eine Ausschmückung des »Getreides ohne Aussaat«, das Adam von Bremen erwähnt. Er könnte durchaus von dem Wildreis gehört haben, der damals wie heute in der Region am Lorenz-Strom wächst.9 Die literarische Veränderung ist leicht zu erklären. Im 13. Jahrhundert hatte die römische Kirche in Island schon seit mehr als zwei Jahrhunderten Fuß gefasst, und Wein und Weizen waren die beiden für die Eucharistie unbedingt nötigen Zutaten, wie Papst Gregor IX. dem norwegischen Erzbischof Sigurd 1237 eindeutig klar gemacht hatte. Bier war als Ersatz für Wein nicht zu akzeptieren, schrieb der Papst streng; die Feier der Eucharistie erforderte panis de frumento et vini de uvis (Brot aus Weizen und Wein aus Trauben).10 Beides musste nach Island eingeführt werden, und so war jene Küste im fernen Westen, wo man beide Zutaten angeblich einfach so ernten konnte, ein fürwahr gesegnetes Land! Es versteht sich wohl von selbst, dass niemand je versuchte, die isländischen sakramentalen Bedürfnisse mit amerikanischen Importen zu stillen.

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