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Die Gesellschaftsstruktur

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Wie die Isländer hatten sich auch die Grönländer aufgemacht, um sich ohne königliche Einmischung aus Norwegen in einer hierarchisch aufgebauten Gesellschaft freier Männer selbst zu regieren. Ihre Häuptlinge waren natürlich gleicher als andere Männer, und Ehefrauen, Konkubinen und Sklavinnen zählten in den meisten Fällen nicht viel. Dennoch bot das System der Selbstregierung Stabilität und wahrscheinlich auch ein hohes Maß an Teilhabe der Bewohner, nicht die demütige Unterwerfung vieler unter den Willen weniger, wie einige Autoren es heute sehen wollen. Deren Überzeugung nach war die grönländische Gesellschaft der Nordmänner zum Scheitern verurteilt und als »gemeinschaftsbewusst, gewalttätig, hierarchisch, konservativ und eurozentrisch« charakterisiert, Eigenschaften, die ».in Grönland eine besonders extreme Ausdrucksform« fanden. Dies führte dann zu »einer streng kontrollierten Gesellschaft: Die wenigen Oberhäupter der reichsten Höfe konnten verhindern, dass irgendjemand etwas tat, das ihre Interessen zu bedrohen schien; so konnte auch niemand mit Neuerungen experimentieren, die für die Häuptlinge keinen Nutzen versprachen.«22

Der einzige Teil dieses Bildes, der irgendwie mit der Realität korrespondiert, ist der Verweis auf die hierarchische Organisation der Gesellschaft. Unflexibel war sie nicht, und sie enthielt auch keine feudalen Elemente, wie man sie aus anderen Ländern Europas kannte. In der mittelalterlichen nordischen Kultur, die die Siedler mit nach Grönland gebracht hatten, ging man immer davon aus, dass ein Anführer so lange an der Macht war, wie die Menschen lieber ihm als jemand anderem folgten, und dass selbst die Autorität des mächtigsten Häuptlings in einer Gemeinschaft verstreuter Bauernhöfe in einer rauen Umwelt Grenzen hatte. Unter solchen Umständen hätte kein Bauer, ob reich oder arm, lange ohne Eigenverantwortung und Unternehmergeist existieren können. Gleichzeitig war Kooperation der Schlüssel für das Überleben des Einzelnen wie auch der Gemeinschaft.

In beiden grönländischen Siedlungen haben Wissenschaftler umfangreiche Belege für eine effektive Umverteilung von Nahrungsressourcen innerhalb der Kolonie gefunden, und Dokumente bezeugen, dass die Siedler auch Waren exportierten, um den Außenhandel aufrechtzuerhalten. Für eine so komplexe Wirtschaft, die auf den hochriskanten Tätigkeiten Jagd und Fischfang aufbaute, war eine Koordination durch die Häuptlinge ebenso erforderlich wie die bereitwillige Kooperation der übrigen Bevölkerung. Jeder Häuptling, der seine Autorität über seine Gefolgsleute aufrechterhalten und Tribut von ihnen einfordern wollte, wusste sehr wohl, dass reiner Zwang niemanden in das Polargebiet trieb, um sich dort mit Walrossen und Eisbären herumzuschlagen, oder an die Meeresküste, um monatelang auf Fischfang zu gehen.

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