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2.2Die Aufmerksamkeit des Klienten

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Die Aufmerksamkeit ist ein Prozess, der von intentionalem oder unbeabsichtigtem, von automatischem oder unbewusstem Charakter sein kann (Lichtenberg et al. 2010). Die Aspekte, die hier bezüglich der Diagnose besprochen werden, beziehen sich auf unfreiwillige Prozesse, derer sich eine Person normalerweise nicht bewusst ist.

Die Aufmerksamkeit lässt sich auf unterschiedlichen Ebenen beschreiben, die eine praktische Bedeutung für die durchgeführte Therapie haben, so etwa über ihre Ausrichtung: Ist die Aufmerksamkeit des Klienten nach innen oder nach außen gerichtet? Eine Person, deren Aufmerksamkeit hauptsächlich nach außen gerichtet ist, achtet mehr auf die Bedürfnisse und die Wertigkeit anderer Menschen, als auf ihre eigenen Bedürfnisse und hat nur geringen Kontakt zu sich selbst. Es fällt dieser Person schwer, ein Behandlungsziel zu formulieren, das sich auf die eigenen Bedürfnisse und Wünsche bezieht. Fragt man nach dem Grund für die Therapie, so bekommt man oft zu hören, eine nahestehende Person oder ein behandelnder Arzt hätten sie zu einer Therapie bewegt. Während der Sitzungen berichtet die Person eher über Menschen aus ihrem Umfeld als über sich selbst. Außerdem wird sie versuchen, Bedürfnisse und Denkweisen des Therapeuten herauszufinden, um gut dazustehen und den Zuhörenden zufriedenzustellen. Die folgende kurze Anekdote zeigt eine typische Szene. Hier geht es um ein Kind, dessen Aufmerksamkeit nach außen gerichtet ist:

Eine Mutter ruft ihren Sohn, der draußen im Hof spielt:

»Jan, komm bitte schnell nach oben!«

»Was ist denn mit mir?« fragt der Sohn. »Habe ich Hunger, ist mir kalt, oder muss ich Pipi?«

In der Anekdote wird ebenfalls deutlich, dass eine nach außen gerichtete Aufmerksamkeit häufig gemeinsam mit Dissoziation auftritt. Eine Person, deren Aufmerksamkeit nach außen gerichtet ist, nimmt Ereignisse meist folgendermaßen wahr: »Mir ist der Zug weggefahren«, »mir ist gekündigt worden«, »du verstehst mich nicht«, »heute früh hat mich der Wecker nicht geweckt« anstatt: »Ich bin zu spät zum Zug gekommen, »ich habe meinen Job verloren«, »wahrscheinlich habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt« oder »ich habe heute morgen den Wecker nicht gehört« – was wiederum typisch für Personen wäre, deren Aufmerksamkeit nach innen gerichtet ist.

Langjährige Erfahrungen damit, ihre Aufmerksamkeit nach außen zu richten, haben beispielsweise koabhängige Personen oder Kinder aus Familien, in denen zumindest ein Elternteil von einer Suchterkrankung betroffen war.

Personen mit nach außen gerichteter Aufmerksamkeit tendieren dazu, ihr Umfeld für ihre Probleme, ihre Symptome oder ihr misslungenes Leben verantwortlich zu machen. Sie sind unzufrieden, denn sie wuchsen in einem toxischen Elternhaus auf, haben einen unausstehlichen Mann oder eine böse Frau, faule und aggressive Kinder – so behaupten sie zumindest –, und darüber sind sie bereit, stundenlang zu berichten. Die Aufmerksamkeit nach außen zu richten und seine Umgebung zu beschuldigen ist mit dem Trancephänomen der Altersregression verbunden und charakteristisch für einen nicht abgeschlossenen Entwicklungsprozess.

Herr A. wirkte wie ein reizender Junge. Er war schlank, fast zierlich, elegant und sportlich gekleidet. Sein Alter – er war 40 Jahre alt – schien weder zu seinem Aussehen noch zu seinem jugendlichen Verhalten zu passen. Herr A. war berufstätig. Die Therapie begann er aufgrund von Ängsten, zahlreichen Verletzungen sowie Beschwerden hypochondrischer Art. Er beklagte sich über die Ärzte, über seine Reha, über die Physiotherapeuten und deren Inkompetenz. Vor einigen Jahren hatte sich Herr A. von seiner Verlobten getrennt, seitdem lebte er wieder bei seinen Eltern. Verheiratet war er nie gewesen, Kinder hatte er ebenfalls keine. Auf Frauen wirkte Herr A. attraktiv. Über seine Beziehungen sprach er folgendermaßen: »(…) Meist läuft das so, dass ich eine Frau kennenlerne, die mir eigentlich gar nicht so richtig gefällt. Sie setzt mich aber so unter Druck … wie lange kann man denn da standhalten? Ich möchte nicht, dass die Frau das spürt, wie wird sie sich denn da fühlen, wenn sie so zurückgewiesen wird, das würde ihr doch wehtun. Und dann hat sich alles schon so weit entwickelt, dann kann ich sowieso nichts mehr tun …«.

Herr A. hatte einige längere Beziehungen hinter sich und war davon überzeugt, dass an deren Scheitern die Frauen Schuld gewesen seien. »Vor allem eine Beziehung war fast tödlich für mich. Meine Freundin hatte mich betrogen, daraufhin habe ich eine Hirnhautentzündung bekommen, die ich gerade so überlebt habe.« Er drückte es sogar so aus: »Diese Frau hat mein Gehirn geschädigt.« In den folgenden Sitzungen erzählte der Klient etwas mehr darüber, wie er aufgewachsen war. »Mein kleiner Bruder war das Kind vom Vater, ich von meiner Mutter. Nur von meiner Mutter, mein Vater hat nämlich getrunken, zwar heimlich, aber er hat getrunken.« In diesem Kontext war nun nicht mehr klar, welche Frau er beschuldigte, ihm das Gehirn geschädigt zu haben und dieser Satz von Herrn A. bekam damit metaphorische Bedeutung.

Die Aufmerksamkeit von Herrn A. war nach außen gerichtet. Auf deutliche Weise gab er anderen die Schuld, wenn bei ihm etwas schiefgegangen war. Dies spiegelte sich dann auch recht schnell in der therapeutischen Beziehung wider.5

Wird die individuelle Tendenz des Klienten, seine Aufmerksamkeit nach außen zu richten, nicht berücksichtigt oder unterschätzt, kann dies zu einem recht häufig begangenen Fehler führen, und der Klient erhält eine Überweisung zur Familien- oder Ehetherapie. Das geschieht dann, wenn der Therapeut nicht erkennt, dass die Beschwerden des Klienten auf dessen nach außen gerichtete Aufmerksamkeit zurückzuführen sind, und sie als Bereitschaft sowohl des Klienten als auch seiner Familie behandelt, gemeinsam an Veränderungen im System zu arbeiten.

Herr B. beklagte sich von der ersten Sitzung an darüber, unzufrieden mit seinem Familienleben zu sein. Vor allem mit seiner Frau würde er sich seit Jahren nicht verstehen. Die beiden hätten völlig unterschiedliche Vorstellungen über die Erziehung der gemeinsamen Kinder. Herr B. sprach ununterbrochen über die Unterschiede zwischen ihm und seiner Frau und die daraus resultierenden Probleme. Der Therapeut deutete dies als Bereitschaft zur Therapie und schlug vor, eine Paartherapie in Erwägung zu ziehen. Er selbst führte allerdings keine Paartherapien durch und wies darauf hin, dass dies ein anderer Therapeut übernehmen müsse. Voll Energie stimmte Herr B. dem zu und begab sich mit seiner Frau zu einer Spezialistin für Ehetherapie. Während der folgenden Sitzungen beklagte er sich über das aggressive Verhalten der Kinder, vor allem des älteren sechzehnjährigen Sohnes. Herr B. redete viel, seine Frau schwieg überwiegend. Sie machte den Eindruck einer gefälligen Person, die es allen recht machen möchte. Keiner der beiden sprach spontan über ihr Verhältnis zueinander. Herr und Frau B. kamen auch nicht miteinander ins Gespräch, es gab keinen Wortwechsel zwischen ihnen, sondern sie wandten sich an die Therapeutin oder in irgendeinen leeren Raum. Die Versuche der Therapeutin, die Aufmerksamkeit auf die eheliche Beziehung zu lenken, wurden von beiden einvernehmlich boykottiert. Der Mann beklagte sich über die Kinder, die Frau schwieg. Während der vierten Sitzung erklärte Herr B., sie seien nicht zufrieden, da sich die Therapie nicht damit befasse, womit sie sich eigentlich befassen sollte, nämlich, das aggressive Verhalten der Kinder zu ändern. Die Therapeutin schlug vor, über eine Familientherapie nachzudenken, bei der man das Verhalten der Kinder besser berücksichtigen könne. Energisch bestand Herr B. darauf, seine Frau stimmte schweigend zu. Sie begaben sich zur nächsten Spezialistin, diesmal gemeinsam mit den Kindern. Nach drei Sitzungen war für die Familientherapeutin klar, dass das Verhalten der Kinder nicht von der Entwicklungsnorm abwich und dass das, was der Vater als unerträgliche Aggression beschrieben hatte, ein gemäßigter Ausdruck von rebellischem Verhalten war, typisch für das Alter des Sohnes.

Die Kinder waren beliebt und hatten Freunde. Sie zeigten recht gute schulische Leistungen und seitens der Schule gab es keinerlei Beanstandungen. Im Verhalten der Kinder gab es nichts, was einer Veränderung bedurfte. Herr B., der sich als Ehemann über seine Frau und als Vater über seine Kinder beklagt hatte, war nach fast zehn Sitzungen bei drei verschiedenen Therapeuten genauso unzufrieden, wie während der ersten Sitzung seiner Einzeltherapie. Aufgrund seiner Tendenz, seine Aufmerksamkeit nach außen zu richteten, war er auch mit allen weiteren Therapeuten unzufrieden.

In der Paartherapie haben wir es häufig damit zu tun, dass die Aufmerksamkeit beider Partner nach außen (auf den Partner) gerichtet ist. Therapiesitzungen mit solchen Paaren sind für gewöhnlich konfliktgeladen und schwierig. Die Partner beschuldigen sich gegenseitig und schieben sich die Verantwortung zu. Die Anspannung und die intensiven Emotionen führen zu einer schnellen Eskalation, wobei sich beide Partner gegenseitig aufputschen. Erkennt der Therapeut rechtzeitig die betreffende Kategorie, kann er die Aufmerksamkeit beider Personen nach innen lenken und somit verhindern, dass der Konflikt während der Therapie eskaliert. Der Mann trinkt, weil seine Frau jeden seiner Schritte kontrolliert und dadurch solch unerträglichen Stress erzeugt, dass es nicht zum Aushalten ist. Die Frau kontrolliert ihren Mann deshalb, weil er trinkt und sie ihn demzufolge nicht aus den Augen lassen kann. Der Mann betrügt seine Frau, weil sie gefühlskalt ist, sie hingegen ist gefühlskalt, weil er sie betrügt. Solch typische Situationen sind Ausdruck davon, dass beide Partner ihre Aufmerksamkeit nach außen richten.

In einem Aphorismus von Julian Tuwim (2011) wird eine Person, die ihre Aufmerksamkeit nach außen richtet, sehr treffend beschrieben: »Ein Mann steht für gewöhnlich sehr lange unter dem Eindruck, den er auf eine Frau gemacht hat.«

Aufmerksamkeit, die nach außen gerichtet ist, lässt sich auch bei Personen beobachten, die von ihrer Umgebung völliges Verständnis, Fürsorge oder Unterordnung verlangen. Eine nach innen gerichtete Aufmerksamkeit ist wiederum mit Selbstbeschuldigungen und einem übersteigerten Schuldgefühl verbunden, was häufig bei Depressionen auftritt. Diese Ausrichtung der Aufmerksamkeit ist auch charakteristisch für Personen mit Anorexie, die sich intensiv auf ihren Körper und vor allem auf dessen Aussehen konzentrieren, dem sie eine gewaltige Bedeutung beimessen, bis hin zu einer übersteigerten Wertigkeit.

Die Richtung der Aufmerksamkeit – nach außen oder nach innen – ist eine häufig angewendete diagnostische Kategorie und stellt einen klare Hinweis für die Behandlungsstrategie sowie für den Aufbau von Suggestion und Hypnoseinduktion dar. Einer Person, deren Aufmerksamkeit nach innen gerichtet ist, und die demzufolge mehr auf sich selbst als auf andere hört, wird es viel leichter fallen, mit dem Therapeuten zusammenzuarbeiten, wenn er vorwiegend indirekte Botschaften oder Metaphern verwendet. In diesem Fall hilft es auch, wenn sich der Therapeut auf die individuellen Erfahrungen des Klienten beruft. Personen, deren Aufmerksamkeit nach außen gerichtet ist, reagieren dagegen besser auf direkte Botschaften. Erickson betonte, wichtig es sei, ganz genau zu beobachten, in welcher Weise eine Person darauf reagiert, was andere Menschen sagen. Er bezeichnete das als »reaktionsbereite« Aufmerksamkeit (»response attentivenesse«, vgl. Rossi, Erickson-Klein a. Rossi 2010e, p. 16).

Die Aufmerksamkeit des Klienten kann darüber hinaus als fokussiert oder zerstreut, linear oder mosaikartig bezeichnet werden. Eine mosaikartige Aufmerksamkeit bedeutet, dass die Wirklichkeit aus Elementen zusammengesetzt wird, die gar nicht zueinander zu passen scheinen, was typisch für die Phase der Adoleszenz ist. In dieser Phase ist die Aufmerksamkeit stark nach außen gerichtet, weshalb auf Kränkungen seitens Gleichaltriger so empfindlich reagiert wird, die Meinung des Umfelds und die Position in der Gruppe so wichtig sind und die starke Überzeugung herrscht, Aussehen und Verhalten des Heranwachsenden wären für seine Umgebung von großer Bedeutung.

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