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2.6Die Position in der Herkunftsfamilie

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Diese Kategorie bezieht sich auf die Folgen des langjährigen Funktionierens in der Herkunftsfamilie. Die Konsequenzen daraus, welche Position jemand früher in seiner Familie innehatte, bleiben über Jahre hinweg wirksam. Diese Erfahrungen bilden einen wichtigen Teil der inneren Landkarte, nach der sich Menschen später im Erwachsenenleben richten. Sie sind auch Teil eines individuellen oder familiären Drehbuches, welches das weitere Leben bestimmt. Viele Bereiche sind von diesen Erfahrungen betroffen. Ein Kind beispielsweise, das jahrelang die Position eines Einzelkindes innehatte, bekam zwar dadurch die Chance, mit sich selbst in gutem Kontakt zu stehen, hat dafür aber weniger Erfahrungen in Beziehungen zu Gleichaltrigen und verbringt viel Zeit allein. Ein Kind, das mit Geschwistern aufwächst, lernt im häuslichen Umfeld auf ganz natürliche Weise soziales Verhalten gegenüber Gleichaltrigen. Gibt es in der Familie dagegen nur ein Kind, erfordert es gewisse Bemühungen, dem Kind diese Erfahrungen zu ermöglichen. Ein Einzelkind hat im Alltag mehr Möglichkeiten, sich mit sich selbst zu beschäftigen, ist aber in vielen Familien auch einem immensen Druck seitens der Eltern ausgesetzt, die sich stark auf das Kind konzentrieren. Das wird im folgenden kurzen Gedicht deutlich, verfasst von einem als Einzelkind aufgewachsenen Jungen, der starkem Druck seitens seiner gebildeten und gesellschaftlich hervorragend funktionierenden Eltern ausgesetzt war.

»Unter mir ein Arm,

über mir eine Brust.

Ach welche Qual

und was für ein Frust,

unter mir der Arm

und über mir die Brust.«

Eine starke Konzentration auf das einzelne Kind wird besonders in Familien deutlich, in denen das Kind eine ganz besonders wichtige Rolle im System spielt. Die Familie belastet das Kind mit einem Auftrag, mit einer Mission, die es erfüllen soll, was der Begriff »familiäre Delegation« sehr gut ausdrückt. Sowohl die bloße Tatsache, dass ein »Delegieren« des Kindes stattfindet, als auch der Inhalt dieser Mission, befinden sich außerhalb des Bewusstseins der Eltern und erst recht des Kindes. Das ericksonsche Konzept hebt die unbewussten Aspekte hervor, durch die sich dieses Phänomen herausbildet und verfestigt, was mit dem Begriff der »posthypnotischen Suggestion« bezeichnet wird. Diagnostiziert der Therapeut den Inhalt der Suggestion, die Person, die diese gesendet hat, sowie die Gegebenheiten, unter denen die Suggestion formuliert wurde, ermöglicht ihm das, während der Trance die destruktiven Aufträge der Familie zu modifizieren. Im Abschnitt 3.9 zur posthypnotischen Suggestion wird auf dieses Thema genauer eingegangen.

Das älteste Kind in der Familie lernt es, fürsorglich zu sein, es fällt ihm aber schwer, die Fürsorge anderer anzunehmen. Das jüngste Kind hat normalerweise viel Erfahrung darin, die Zuwendung anderer zu akzeptieren, hat jedoch wenig Gelegenheit zu lernen, wie man anderen Menschen Unterstützung und Fürsorge zuteil werden lässt. Es fällt ihm leichter, um Hilfe zu bitten, als dem älteren Kind. Das mittlere Kind, das sich zwischen dem ältesten und dem jüngsten befindet, gewinnt Erfahrungen in Mediation und Zusammenarbeit mit Personen ähnlichen Alters. Wichtig ist aber auch, wie lange das Kind seine Position in der Familie innehatte. Ist man das älteste Kind in der Familie und das nächste Kind kam erst sieben Jahre später zur Welt, so war man doch viele Jahre in der Position eines Einzelkindes. Wuchs ein Kind als jüngstes von fünf Geschwistern auf und war der einzige Junge unter vier Schwestern, so sind seine Erfahrungen völlig anders als die des jüngeren zweier Brüder.

Herr D. war ein kinderloser, sympathischer Mann mittleren Alters. Er hatte eine freundliche Stimme. Mit seinem leichten Übergewicht und einem rundlichen, rosigen, lächelnden Gesicht sah er aus, wie aus dem Ei gepellt. Seit Jahren besuchte Herr D. täglich seine Mutter, um bei ihr Mittag zu essen. Mit der Therapie begann er, als seine dritte Ehe kurz vor dem Scheitern stand. Seit einigen Monaten lebten die Eheleute getrennt. Nach der Scheidung von seiner zweiten Frau hatte er in einer längeren eheähnlichen Partnerschaft gelebt, die ebenfalls auseinandergebrochen war. Jede Trennung war auf seine Initiative erfolgt. Bei seiner ersten Scheidung war Herr D. überzeugt, einfach an eine schlechte Frau geraten zu sein. Die zweite Frau beschrieb er als nicht reif genug für die Ehe: »Als Freundin war sie gut, aber sie war überhaupt nicht in der Lage, sich um ihren Ehemann und um das Haus zu kümmern, sie wusste nicht, was es bedeutet, Ehefrau zu sein. Mir war klar, dass es in dieser Ehe für mich absolut keine Zukunft gab.« Als dann die nächste wichtige Beziehung kurz vor dem Zerbrechen stand, neigte Herr D., wie bereits in den vorangegangenen Beziehungen, anfangs dazu, seine Frau für das Scheitern verantwortlich zu machen. Bevor er aber erneut die Scheidung einreichte, kam ihm der Gedanke, dass er, wenn es so weiterginge, niemals eine für sich geeignete Person finden und somit allein bleiben würde. Das wollte er absolut nicht. Ein Leben ohne Frau lag außerhalb seines Vorstellungsvermögens. Bei der ersten Sitzung meinte Herr D., der Therapeut solle ihm dabei helfen, seine Partnerinnen besser auszuwählen. »Vielleicht mache ich irgendeinen Fehler, von dem ich nichts weiß, dass ich mich immer in die falschen Frauen verliebe.«

Herr D. war das jüngste von sieben Geschwistern. Er hatte sechs ältere Schwestern. Eine der Schwestern starb bereits im Kindesalter. Seine Eltern wünschten sich verzweifelt einen Sohn, aber es kamen weitere Töchter zur Welt. Als dann endlich ein Sohn geboren wurde, hatte er eine ganz besondere Position. Für seine Mutter war er das geliebte Söhnchen, auch die älteren Schwestern umsorgten ihn. Im Haus lebte außerdem die jüngere kinderlose Schwester der Mutter, die bei der Erziehung der Kinder half. Der Vater verdiente das Geld und war selten zu Hause. Mit seinem Sohn hatte er nur wenig Kontakt. Die besonderen Erfahrungen, die Herr D. aus seiner Herkunftsfamilie mitbrachte, stellten ihn nach Jahren vor eine außergewöhnliche Herausforderung. Umsorgt von mehreren Schwestern, von der Mutter in eine besondere Position gehoben, überzeugt von der eigenen Einzigartigkeit, suchte er unermüdlich nach einer Lebenspartnerin für sich. Keine Frau konnte gut genug sein, um Herrn D. ein Fortdauern seiner königlichen Kindheit zu garantieren.

In diesem Beispiel lassen sich die dominierenden Trancephänomene gut erkennen: Altersregression und Halluzination. Die negative Halluzination – im Leben von Herrn D. gab es keine männlichen Personen – und die positive Halluzination – in der Wahrnehmung von Herrn D. bestand die Welt ausschließlich aus Frauen. Um die gewünschten Veränderungen zu erreichen, wurde eine Therapiestrategie entwickelt, die Zeitprogression und eine Auflösung der Bereiche der Halluzination zum Ziel hatte. Genauere Informationen dazu, wie man Trancephänomene verstehen und in der Therapie nutzen kann, finden sich im nächsten Kapitel.

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