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b) Sorgfaltspflichten der Eltern und „Dritter“

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Wird ein Kind verletzt, so haben die Eltern nach § 1664 BGB nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen, i.d.R. haften sie also nur bei grober Fahrlässigkeit (§ 277 BGB). Die Haftung der Eltern tritt demnach nur ein, wenn deren Verhalten als gänzlich „unverantwortbar“ anzusehen ist.[509]

Dieses Haftungsprivileg der Eltern gilt jedoch ausnahmsweise insbesondere dann nicht, wenn ein Elternteil als Fahrer das z.B. im eigenen Fahrzeug beförderte Kind schädigt, d.h. hier haftet der Elternteil auch bei leichtem Verschulden gegenüber dem Kind.[510] Nach Inkrafttreten des 2. Schadenrechtsänderungsgesetzes noch nicht aktuell höchstrichterlich entschieden und umstritten ist die Frage, ob das Haftungsprivileg der §§ 1664, 277 BGB auch eine Gefährdungshaftung der Eltern als Halter des schädigenden Familienfahrzeugs ausschließt.[511] Nach hier vertretener Auffassung schließt die Haftungsprivilegierung auch nach Inkrafttreten des 2. Schadenrechtsänderungsgesetzes die Halterhaftung der Eltern gegenüber dem Kind aus. Denn die Verletzung des Kindes – z.B. als Insasse im elterlichen Fahrzeug anlässlich eines gemeinsamen Familienausflugs – resultiert in diesen Fällen regelmäßig daraus, dass sich Gefahren des Fahrzeugs im Straßenverkehr realisiert haben und nach Wertung des § 7 StVG der Halter des Fahrzeugs für diese Gefahren einstehen soll und zwar gleichgültig, ob ein Dritter oder ein Familienangehöriger geschädigt wird. Handelt es sich dagegen um einen Fall, in dem sich das Fehlverhalten der Eltern auf eine allgemeine Aufsichtsverletzung beschränkt, bleibt es bei dem Haftungsmaßstab der §§ 1664, 277 BGB.

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Dieser Verschuldensmaßstab ist auch dann anzuwenden, wenn es um die Frage der Gesamtschuldnerschaft zwischen Eltern und unfallbeteiligten Dritten geht.[512] Ist der Unfall sowohl auf „Verschulden“ des beteiligten Fahrers als auch auf grobfahrlässige Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht zurückzuführen, kann das Kind wegen des gesamten Schadens den beteiligten Fahrer in Anspruch nehmen.[513] Der Schadensersatzanspruch des Kindes geht auch bei grober Fahrlässigkeit der Eltern nur in Höhe des Haftungsanteils des Fahrers nach § 116 SGB X auf seinen SVT über.

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Der Umfang der elterlichen Aufsichtspflicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie nach dem Grad der Voraussehbarkeit des schädigenden Verhaltens des Kindes und dem Grad des für die Eltern Zumutbaren. Bei einem zweieinhalbjährigen Kind ist stets damit zu rechnen, dass es unvermittelt und ohne Grund auf die Straße läuft.[514] Die Eltern sind jedoch nicht verpflichtet, ein zweijähriges Kind ständig an der Hand zu halten.[515] Die Eltern verletzen ihre Aufsichtspflicht ebenfalls nicht, wenn sie ein acht Jahre altes Kind, das sich über einen gewissen Zeitraum im Straßenverkehr bewährt hat, mit einem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen lassen.[516] Ebenso nicht, wenn sie die Aufsicht über ein vierjähriges Kind der zehnjährigen Tochter übertragen.[517] Bei einem deutlich verhaltensgestörten Kind sind engere Maßstäbe anzulegen.[518]

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Ist für die Verletzung des Kindes sowohl der Fahrer als auch ein vertraglich zur Aufsicht Verpflichteter verantwortlich, so haften sie dem Kind als Gesamtschuldner.[519] Eine solche Haftung kann angenommen werden, wenn es sich um eine weitreichende Obhut von längerer Dauer handelt (Pflegeeltern, Kindermädchen, Kindergärtnerinnen, Aufsichts- und Erziehungspersonal in Heimen oder bei längerem Aufenthalt bei Verwandten).[520]

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Zerkratzt ein nicht deliktsfähiges Kind (unter 7 Jahre) mit Steinen, Nägeln etc. Autos, kommt eine Haftung der aufsichtspflichtigen Eltern gemäß § 832 BGB in Betracht. Bei normal entwickelten Kindern im Alter von 7 ½ Jahren ist im Allgemeinen das Spielen im Freien auch ohne Aufsicht gestattet, wenn die Eltern sich über das Tun und Treiben in groben Zügen einen Überblick verschaffen.[521] Ein Kind im Alter von 5 ½ Jahren muss auf einem Spielplatz in regelmäßigen Abständen von höchstens 30 Minuten kontrolliert werden.[522] Nach LG Lüneburg verletzen Eltern ihre Aufsichtspflicht, wenn sie ihr vierjähriges Kind, das auf einer öffentlichen Straße spielt, nur aus der Wohnung heraus und teilweise mit Unterbrechung von fünf Minuten beobachten und dadurch nicht verhindern, dass das Kind den Lack eines geparkten Kfz mit einem Stein zerkratzt.[523] Die Eigenhaftung des Kindes von Vollendung des siebenten bis zum 10. Lebensjahr ist in derartigen Fällen auch nicht nach dem 2. SchadÄndG ausgeschlossen, weil der Unfallbegriff (Plötzlichkeit) nicht erfüllt ist. Es kommt dann darauf an, ob das Kind die erforderliche Einsichtsfähigkeit in sein Tun hatte.

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Hat jemand die Aufsicht aus Gefälligkeit übernommen, so haftet er dem verletzten Kind nach § 823 BGB.[524] Ein geschädigter Dritter muss den vollen Beweis für ein Verschulden des Aufsichtspflichtigen führen.[525]

Ein nicht deliktsfähiges Kind braucht sich weder sein eigenes Verhalten noch das seiner Begleitperson im Verhältnis zum unfallbeteiligten Fahrer anrechnen lassen.

1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führersV. Verhalten im Straßenverkehr › 21. Unterlassene Verwendung von Sicherungseinrichtungen und Mitverschulden des Verletzten (§§ 9 StVG, 254 BGB)

Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden

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