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Als wir in der Mittelschule waren, hatten Maggie und ich immer eine Zahnbürste bei der anderen zu Hause stehen. Falls wir in letzter Minute entschieden, beieinander zu übernachten, war das das Einzige, was wir nicht miteinander teilen konnten. Maggie hätte im Notfall aber auch gar nicht oder mit dem Finger geputzt. Bei mir war es zu sehr Gewohnheit, als dass ich es hätte auslassen können, nicht einmal für einen Tag. Auf meiner Zahnbürste bei ihr zu Hause stand »GEW«. Und um ihre bei uns zu Hause war ein winziges gelbes Haarband um den Griff gewickelt, um sie zu kennzeichnen. Als würden die Bissspuren nicht ausreichen.

Alles andere konnten wir teilen: Schlafanzüge, Kissen, Gesichtsseife, Handykabel, Stoffgeschöpfe, Dornwarzenmittel, Haarbürsten und Kleider. Heute ist die Vorstellung, irgendwelche Klamotten mit Maggie zu tauschen, lächerlich. Abgesehen von dem gewaltigen Unterschied im Umfang unserer Oberkörper, bin ich zudem noch fast zehn Zentimeter größer als Mags und neun davon sind nur Beine. Es kommt einem nicht so vor, weil ich immer eine krumme Haltung habe und weil Maggie immer so aufrecht dasteht, als wollte sie bei einer Anti-Waffen-Kundgebung den Überblick behalten.

Das letzte Mal, dass ich etwas von Maggie getragen habe – von einem Stirnband mal abgesehen –, war an dem ersten Wochenende, nachdem wir in die neunte Klasse gekommen waren. Donna und Doria waren schon eingezogen, hatten sich aber noch nicht so unverschämt breitgemacht wie heute. Ich bin am Freitag nach der Schule zu Maggie gegangen und aus Freitag wurde Samstag und aus Samstag wurde Sonntag. Meine Kleider von freitags bis zum Sonntagsfrühstück zu tragen, war zu viel des Guten. Als ihre Mutter uns losschickte, um Bagels zu besorgen, lieh ich mir also ein Tanktop und eine Jeansjacke. Darunter trug ich noch immer einen der BHs, die ich im Sommer mit Mom gekauft hatte (es war das letzte Mal, dass wir zusammen Unterwäsche gekauft haben), einen hellblauen Balconette-BH mit Lochspitze, süß, nicht sexy, der nachträglich betrachtet schon längst hätte aussortiert werden sollen. Ich war entweder zu naiv, um zu kapieren, dass er nicht mehr passte, oder zu beschämt, um es zuzugeben, oder beides.

Maggie verzichtete zu der Zeit schon auf Gluten, also war es an mir, die Bagel-Auswahl für die Cleave-Familie zu treffen, während sie im Café nebenan die Getränke besorgte und Max mit laufendem Motor im Auto wartete. Das war ja schon stressig genug. Aber dass diese Familie zu allem und jedem eine entschiedene Meinung vertrat, setzte mich noch mehr unter Druck.

»Du siehst aus wie jemand, der dringend einen Bagel braucht.« Der Typ hinterm Tresen war ein, zwei Jahre älter als ich, mit einem Kopf voller Locken, die von seiner Bagel-Laden-Kappe in Schach gehalten wurden. Falls das mit dem Bagel-Laden keine Zukunft hatte, könnte er auch für Abercrombie modeln. Er schenkte mir die Andeutung eines gierigen Lächelns.

»Ich brauche tatsächlich einen Bagel oder vielmehr ein Dutzend davon.«

»Ein Dutzend heißt dreizehn. Die meisten denken, das bedeutet zwölf, aber hier sind es dreizehn. Du bekommst einen Extrabagel.«

Heute würde ich wohl sagen: »Das nennt sich Bäckersdutzend und ist nichts Besonderes. Das ist überall so. Vierzehn Bagels, das wäre etwas Besonderes.« Aber seine Wangenknochen waren so markant und seine Arme sahen aus, als hätten sie viel schweren Bagel-Teig geknetet, und ich war noch hoffnungsfroh, was Buben, Busen und Bagels anging. »Ich liebe Extrabagels!«, piepste ich.

Ich bestellte jeweils zwei von den Klassikern: Natur-, Mohn-, Ei-, Sesam-, Alles-Bagel. Was die restlichen anging – würde Maggies Mom Leinsamen-Apfel schmecken? Pfeffer-Parmesan? Mochte ihr Bruder Zimt-Rosine?

»Hast du jemanden, mit dem du all diese Bagels teilen kannst?«, sagte er und machte mir schöne Augen. Ich kaufte ihm alles ab.

Ich lehnte mich über den Tresen und überlegte, wer welcher Bagel-Typ in der Familie Cleave war. Mir gefiel, dass der Typ mit mir flirtete, selbst wenn seine Sprüche schrecklich waren. Pfeffer-Parmesan, Zimt-Rosine, die Jacke steht mir wohl. Noch einen Sesam-Bagel, mit einem einfachen Bagel kann man nichts falsch machen, meine Haare sehen wirklich besser aus, wenn ich sie nicht wasche. Vollkorn ist langweilig, versuch etwas Neues.

Wo er wohl zur Schule geht? Ich konnte mich nur dafür entscheiden, mich weiter nicht zu entscheiden.

Eltern und Lehrer mochten mich schon immer. Mit den meisten Mädchen verstand ich mich gut, außer sie hassten Maggie so sehr, dass sie auch auf mich wütend waren. Aber Jungs, vor allem ältere Jungs, hatten mich noch nie bemerkt. Oder zumindestens merkten sie nie, dass ich ein Mädchen war. Aber vielleicht wurde das jetzt anders. Oder vielleicht gefiel diesem Typen im Bagel-Laden einfach, wie selbstständig ich über das Frühstücks-Schicksal von bis zu dreizehn Menschen entschied. Bialy, Honig-Hafer, Salz, vielleicht ist er jeden Sonntag hier.

Während ich über den Tresen in die Bagel-Körbe spähte, bemerkte ich irgendwann, dass der heiße Typ mit den Plastikhandschuhen mir direkt in den Ausschnitt guckte, noch immer mit dieser Andeutung eines Lächelns. Ich folgte seinem Blick auf meine Brust und sah, dass mein Busen nicht nur wie frisch gebackene Bagels aus dem Tanktop herausquoll, sondern so sehr überschwappte, dass man bei beiden Brüsten ein Stück der dunkelrosa Brustwarze sehen konnte. Ich war nicht charmant und bezaubernd. Ich busenblitzte den Bagel-Bäcker.

»Die übrigen einfach Natur«, sagte ich und zog die Jeansjacke zusammen. Erst da wurde mir klar, dass sie gar nicht richtig zuging, was Bagel-Bubi sicher vor mir kapiert hatte.

»Bist du sicher? Die mit Honig-Hafer sind …«

»Ja. Einfach die normalen. Und einen Becher Frischkäse.«

»Okaaaaay«, sagte er. Und packte alles zusammen, ohne weiter mit mir zu flirten.

Sobald wir wieder bei Maggie waren, zog ich mein eigenes, dreckiges Freitags-Shirt an.

Seitdem passiert so etwas nicht mehr, weil ich es nicht mehr passieren lasse. Jeden Flirtversuch ersticke ich sofort im Keim, mit einem riesigen grauen Sweatshirt und null Toleranz gegenüber übermäßiger Freundlichkeit. Ich ersticke ihn, bevor er anfängt, Donna und Doria ins Visier zu nehmen, und entweder dümmlich in Aufregung gerät oder krankhafte Neugier zeigt. Bevor ich mich fragen muss, ob sie oder ich gemeint sind.

Das tat ich jedenfalls, bis Jackson in unserem Starbucks auftauchte und ich mir diese Frage nun doch irgendwie stelle.

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