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In dem Jahr, als ich in der siebten Klasse war, sind meine Großeltern von Long Island nach Florida gezogen und haben uns im Winter besucht. Dad und Ty haben an dem Tag noch Mario Kart gespielt. Ich lag auf dem Sofa, meine Füße in Dads Schoß, las zum wiederholten Mal »Die Tribute von Panem« mit einem halben Auge auf dem Wettrennen. Das Flugzeug meiner Großeltern sollte in wenigen Minuten landen, was bedeutete, dass wir – da sie erst noch ihr Mietauto abholen, ins Hotel einchecken und zu uns fahren mussten – noch zwei Stunden Zeit hatten, um uns und das Haus auf Vordermann zu bringen.

»Zusammenlegen!«

Mom stellte sich vor uns, ließ den Wäschekorb vor ihre Füße fallen und schaute uns alle der Reihe nach an, damit wir nachher nicht sagen könnten, wir hätten sie nicht gehört. Erst dann gab sie die Sicht auf den Fernseher wieder frei und widmete sich einer Tätigkeit, die sie uns nicht zutraute.

»Eine Sekunde«, murmelte Daddy. Ich rutschte vom Sofa, zog den Wäschekorb näher und griff mir ein paar meiner Sachen, bevor die Jungs sie in die Finger bekamen. Dad raste mit Baby Peach über die Ziellinie und zog eine von Moms Yogahosen raus. Ty klickte sich durch das Menü, um zum Einzelspieler-Modus zu wechseln. »Ty. Na los.« Dad wollte nach dem Controller greifen, aber Ty wand sich außer Reichweite.

»Sie ist noch waaaaaarm«, lockte ich ihn.

Ty grinste mich von der Seite an. Mein Bruder hat eine Schwäche für Wäsche, die direkt aus dem Trockner kommt. Er ließ den Controller fallen und kippte die Wäsche über sich aus.

»Oh mein Gott. So warm. Ist das geil.« Er zog sich Moms Fleece übers Gesicht und wedelte mit seinen Armen im Haufen hin und her, als würde er Schnee-Engel machen.

Dad sah mich an und verdrehte die Augen.

»Na komm, du Dussel.« Ich zog Moms Sweatshirt von ihm runter. Dad und ich arbeiteten uns durch den Wäscheberg, falteten und stapelten. Da Ty nur rechteckige Sachen zusammenlegen konnte, übernahm er die Socken. »Würdest du gerne näher bei Oma wohnen?«, fragte ich Dad. Ich hatte schon oft darüber nachgedacht. Moms Mutter starb, als ich klein war, und mein Großvater lebte mit seiner neuen Frau in Madison, etwa zweieinhalb Stunden entfernt. Aber mein Vater war weit weg von dem Ort, wo er aufgewachsen war, und weit weg von seinen Eltern.

»Manchmal.« Das klang nicht wie ein Ja, doch Dad war schon immer taktvoll gewesen. Heute verstehe ich, dass er seine Eltern liebt, aber dass er das besser aus der Ferne tut.

»Wem gehört das?« Tyler hielt einen meiner BHs an einem Träger hoch. Ich hatte eigentlich all meine Unterwäsche rausholen wollen, bevor er sich hineinschmiss. Hauptsächlich, weil er ein Schmutzfink ist und die Wäsche sauber war, aber den hatte ich übersehen. Er war einer meiner ersten – winzig, weiß und nutzlos, mehr wie die Idee eines BHs als ein BH selbst. Die Körbchen waren eigentlich keine, mussten aber auch keine sein. Wären sie größer gewesen, hätten sie von meinem Körper abgestanden wie ein ungefüllter Ballon.

»Meiner.« Ich riss ihn an mich.

»Greer hat BHs?!« Ty sagte das so, als wäre das ein Skandal. »Oh mein Gott.«

Mit offenem Mund guckte er meinen Dad an. Der zuckte mit den Schultern, als würde er nicht verstehen, was Ty für ein Problem hatte, und verkniff sich dabei ein Lächeln.

»Ja, so ist das, Ty«, sagte er. »Mädchen tragen BHs.«

»Und das ist dein BHs? Er sieht anders aus als Moms.« Ich versetzte ihm damit einen Schlag. Es dauerte lange, bis Ty lernte, einen BH nicht BHs zu nennen. Da die Körbchen ja Platz für zwei Brüste hatten, ging er wohl davon aus, dass es Plural sein musste. Vielleicht hatte er recht. Bei Hosen ist schließlich auch der Plural für den Singular gebräuchlich. Ein Paar BHs? Vielleicht. Inzwischen kennt Tyler die richtige Begrifflichkeit zwar, aber in meinem Beisein spricht er nicht mehr über BHs.

Das Komische ist, dass ich damals viel unbefangener damit umgehen konnte. Wäre Tyler aufmerksamer gewesen, dann hätte er gemerkt, dass ich kaum genug hatte, um den BH zu füllen, nicht so wie heute, wo die Notwendigkeit unbestreitbar ist. Oder vielleicht ist es auch gar nicht komisch. Vielleicht rede ich gerade deswegen so ungern über BHs. Weil Brüste nicht mehr nur eine Vorstellung in meinem Kopf sind. Sondern Realität. Eine Realität, die mir mitten auf der Brust sitzt, genau zwischen mir und meinem kleinen Bruder. Genau in meinem BH.

Ich vergrub den BH im Greer-Stapel und schmiss mich auf Ty. Ich setzte mich auf ihn, drückte seine Arme mit meinen Knien auf den Boden, bis ich ihm eine seiner Unterhosen über den Kopf gezogen hatte. »Seht euch das an! Tyler trägt UNTERHOSEN? Dad! Ist das zu fassen? Guck mal, Tys Unterhosen! Oh mein Gott!«

Das Foto war Dads Sperrbildschirm, bis Mom ihm sagte, er müsse etwas Angemesseneres finden. Jetzt ist es ein Foto von Ty und mir im Restaurant, unsere Köpfe lehnen aneinander, aber sonst berühren wir uns gar nicht.

Meine Augen sind hier oben

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