Читать книгу Meine Augen sind hier oben - Laura Zimmermann - Страница 16
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Оглавление»Tyler muss zum Friseur.«
»Ich auch. Ich nehme ihn mit.«
»Er braucht keinen Fünfzig-Dollar-Haarschnitt.« Damit meint Mom, dass Dad ebenso wenig einen Fünfzig-Dollar-Haarschnitt braucht. Er hat schöne Haare, welliger und dunkler und dicker als die der anderen Väter, aber es ist nicht irgendwie ein komplizierter Schnitt oder so.
»Soll ich ihm die Haare ein bisschen im Badezimmer schneiden?« Dad grinst. Als Tyler klein war, hat er ihm auch einmal »ein bisschen« die Haare im Badezimmer geschnitten, was letztendlich dazu führte, dass er ihm eine Glatze scheren musste. Alle haben dann gedacht, dass er derjenige war, der die Läuse in die Vorschule eingeschleppt hat, und wir ihm deswegen den Kopf rasieren mussten. Für Mom eine Schmach. Ty hat nur gesagt, dass seine Ohren frieren.
Die Diskussion darüber, ob es sinnvoll ist, fünfzig Dollar für Haare auszugeben, die sowieso meistens unter einer Mütze leben, geht eine Weile hin und her. Aber Mom knickt ein, als Dad sie daran erinnert, dass Ty auch eine gründliche Haarwäsche bekommen wird, die der Junge dringend braucht und bei einem billigen Friseur nicht bekommen würde.
Ich will, dass Dad und Tyler endlich gehen, denn ich muss unbedingt mit Mom reden und sie irgendwie davon überzeugen, einen BH von einer Website zu kaufen, die aussieht wie eine ukrainische Betrugsmasche. Und ich will wirklich, wirklich nicht, dass Dad bei diesem Gespräch dabei ist. Einmal musste ich Binden kaufen, als er den Einkaufswagen schob, und habe mich dann die ganze Zeit gefragt, wann Mom ihm wohl erzählt hat, dass ich meine Tage bekommen habe, denn ich habe das ganz bestimmt nicht getan.
Als die Männer weg sind, setze ich mich neben Mom. Sie hockt vor ihrem Laptop und liest Bewertungen über Feng-Shui-Anbieter, die sie in den Ordner packen will.
Sie schaut von ihrem Computer auf. »Ich muss einen Feng-Shui-Fachmann finden, aber das sind alles weiße Frauen mittleren Alters.« Das sagt sie so, als wäre sie selbst nicht eine weiße Frau mittleren Alters.
Über ihre Schulter gucke ich mir die Tabs an. Alle Anbieter haben Namen wie Die Reichtümer der vier Winde oder Wege zum Frieden und Das Chi’-cago Zentrum. »Ich will die Empfehlungen im Ordner diverser gestalten, weißt du?«
»Was ist das für ein Bewertungsportal?«
»Nachbarsleute.«
»Sind nicht alle auf Nachbarsleute weiße Frauen mittleren Alters?« Gewöhnlich beklagt sich Mom über die Nachbarschafts-App, weil sie sie als Konkurrenz betrachtet, aber vielleicht wildert sie auch nur in den Informationen der Schwarmintelligenz.
Sie seufzt. »Deswegen verwende ich sie auch nicht gerne«, sagt sie und verwendet sie weiter. Sie klickt auf ein Foto von einer Frau mit einem langen grauen Zopf und einem Vogel auf der Schulter: Pamela Holly Desrosiers.
»Ich überlege, in der Volleyballmannschaft mitzuspielen«, fange ich an.
Sie schaut nicht vom Bildschirm auf. »Volleyball? Kannst du denn Volleyball spielen?«
»Wir haben es im Sportunterricht gespielt und ich war ziemlich gut.«
Sie nickt und schreibt etwas in ihr Notizbuch. »Das tut dir bestimmt gut. Du solltest mehr unternehmen.« Ich weiß, dass Mom enttäuscht darüber ist, dass ich nicht mehr »unternehme«. Sie ist ein »unternehmerischer« Mensch.
»Ich hätte jeden Tag nach der Schule Training.«
»Vielleicht sollten wir hier bei uns mal einen von denen ausprobieren«, sagt sie und schaut sich um. Die Fünf-kleine-Häuser-Bewertung, die Pamela Holly Desrosiers erhalten hat, muss sie inspiriert haben. Was Pam wohl zu dem Haufen Zeug von Tyler sagen würde, über den man jedes Mal klettern muss, um überhaupt ins Haus zu kommen? Für unseren Energiefluss ist das bestimmt nicht von Vorteil.
Ich versuche das Gespräch auf den BH zurückzubringen. »Also, wegen Volleyball und allem brauche ich einen neuen Sport-BH.«
»Okay. Dann gehen wir dieses Wochenende zu Master’s.« Master’s ist ein großes Sport- und Freizeitgeschäft an der Autobahn. Man kann da alles vom Golf-T-Shirt und No-Show-Socken bis hin zu Jurten und Jagdgewehren kaufen. Es ist Tylers Lieblingsort.
»Eigentlich …«, fange ich an.
»Oh! Der hier sieht chinesisch aus!« Sie schreibt seinen Namen in ihr Notizbuch und ist dabei genauso aufgeregt, wie wenn sie Ballerinas von Tory Burch in Größe 39 im Ausverkauf findet. Ein gutes Angebot für Designerschuhe = der Anschein kultureller Kompetenz. Ich bin froh, dass Richard Lin nicht hier ist, um diesem Gespräch zu lauschen.
»Eigentlich«, fange ich noch einmal an, »habe ich schon einen im Internet gefunden. Er hat wirklich gute Bewertungen.«
»Solltest du ihn nicht vorher anprobieren?«
»Ich habe die bei Master’s angehabt. Keiner passt richtig. Aber der im Internet ist extra für Frauen mit, ähm, also die mehr Stütze brauchen.« Über dieses Thema reden auch Mom und ich nicht wirklich.
»In Ordnung. Willst du ihn mir zeigen?«, sagt sie und schiebt mir den Laptop hin.
Ich rufe die Website auf und finde die Seite mit dem Stabilisator. Mir ist dabei bewusst, wie schrecklich die Seite aussieht, und ich überlege kurz, ob ich nicht einfach zu Master’s gehen, mir irgendeinen BH kaufen und auf das Beste hoffen soll. Aber dann denke ich an die Bewertungen und sie klingen für mich echt, so als hätten richtige Mädchen und Frauen sie geschrieben. Keine Schmerzen mehr, kein Gehüpfe, kein Mono-Busen … Ich drehe den Computer wieder zu Mom hin und beobachte ihr Gesicht.
Sie schürzt die Lippen, als würde sie sich auf Facebook einen Fahrradunfall anschauen, einen mit Eiter und Hautlappen. Sie klickt sich durch ein paar Ansichten und sagt: »Nun, er sieht auf jeden Fall anders aus.« Sie scrollt runter, liest ein paar Bewertungen und ihr Gesichtsausdruck wird interessierter. Und dann schnellen ihre Augenbrauen nach oben.
»Ich weiß, er ist ein bisschen teuer.«
»Ein bisschen? Ich habe meinen bei Target für zwanzig Dollar bekommen.« Moms Sport-BH ist total hübsch, wie ein rosa-grünes Stirnband.
»Die Bewertungen sagen, dass es sich lohnt.«
»Mensch. Wie viel besser als ein normaler kann der schon sein?« Erst dann wird ihr klar, was sie da gerade gesagt hat. »Ich meine, äh, als, äh, ein üblicher BH.«
Plötzlich und völlig unerwartet füllen sich meine Augen mit Tränen und mein Gesicht wird ganz heiß. Es ist nicht nur, weil sie »normaler« gesagt hat, also ein BH für »normale« Brüste, die zu einem »normalen« Körper gehören. Es ist auch, weil ich mir auf einmal blöd vorkomme, so viel Hoffnung in einen doofen Sport-BH zu stecken. Als würde so ein bizarres Ding dabei helfen, dass mein Körper aussieht und sich anfühlt wie bei anderen Mädchen. Als würde ich deswegen Volleyball spielen und richtig gut darin sein können. Als würde ich dann aufrecht stehen, ohne dass jemand – geschweige denn ich – einen zweiten Gedanken an meine Brust verschwendet. Und wenn ich den Flur runterlaufen muss, weil ich zu lange mit Jackson geredet habe, und deswegen spät dran bin, würde es sich plötzlich nicht mehr anfühlen, als wären meine Brustwarzen wund gescheuert und als würde die Haut über meinen Rippen zerplatzen. Und falls jemand mich je nett finden würde, müsste ich keine Angst davor haben, dass mein Busen ihn zur Witzfigur macht und uns dann beide in Verlegenheit bringt.
Aber es ist blöd zu denken, dass ich all das haben könnte – dass ich mir ein normales Leben erkaufen könnte –, von einer Website, die noch nicht einmal Grammatik beherrscht: FRAGE SIE UNSERE KUNDINNEN.
Ich kann nicht weiter mit meiner Mom sprechen, weil ich sonst wirklich anfange zu weinen. Ich kann den Laptop nicht zumachen, weil ich sonst auch weine. Richtig weine. Ich gucke zum Bücherregal rüber, wo Brummbär fehlt, und wische mir mit dem Handrücken über die Augen.
Aber was immer sie auch ist, Kathryn Walsh ist nicht dumm und guckt jetzt mich an und nicht die Feng-Shui-Liste.
»Möchtest du den wirklich ausprobieren?«, fragt sie.
Ich kann noch immer nichts sagen, aber ich nicke.
Und Mom sagt: »Dann hol mal meine Handtasche aus der Küche.«
Und endlich ist der Stabilisator auf dem Weg zu mir, versandkostenfrei.