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Gegen was würde ich wüten, wenn ich ein Mensch wäre, der wütet? Donna und Doria.

Und wer sind Donna und Doria? Das sind meine Brüste.

Mein Busen.

Hupen.

Möpse.

Holz vor der Hütte.

Melonen.

Boobs.

Oberweite.

Hanni & Nanni.

Wunderäpfel.

Die Zwei.

Wenn man bedenkt, wie es sich mit mir und Mathe verhält: Wenn meine Brüste Mathe wären, dann wäre ich nicht einfach besser als alle anderen in meiner Klasse. Ich wäre eine dieser abnorm begabten Schülerinnen, die ihre Brüste mit zur Uni bringen müssen, weil sie für die Schule zu groß sind. Nur dafür, dass ich ein Tanktop trage, würden sie mir lauter Einsen geben.

Ich würde mit ihnen zwar keinen Weltrekord erzielen, aber um es einfach mal mathematisch auszudrücken: Sie sind signifikant größer als der Mittelwert, der Median, der Modalwert.

Nicht alle bekommen das gleich mit, da ich seit der neunten Klasse Oberteile in XXL trage. Und zwar XXL für Männer. Denn nicht mal XXL-Damen haben solche Hupen.

Würde ich solche Oberteile tragen wie meine Freundinnen, würden sie wie beim unglaublichen Hulk einfach zerplatzen.

Meine Mom findet, dass mich die schlabberige Kleidung fett aussehen lässt. Nicht fett. »Füllig«. Das ist Moms Wort für fett. (Sie würde nie »fett« sagen, doch sie kennt wahrscheinlich das optimale Verhältnis von Körpergröße und Gewicht.)

Sie selbst hat durchschnittliche Brüste. Wahrscheinlich Körbchengröße D. Ich habe diese Dinger demnach wohl von einer vollbusigen Dame aus Dads Familie geerbt.

Das sagen die anderen dazu:

Genau. Nichts. Wir reden nicht über sie. Nicht meine Mom. Noch nicht einmal Maggie. Maggie weiß, dass ich nicht begeistert bin. Aber wenn ich ihr sagen würde, wie es mir wirklich mit ihnen geht, wäre sie enttäuscht. Sie würde versuchen, mich dazu zu überreden, mich stolz im Bustier vor unsere Mitschüler zu stellen und einen Vortrag über Belästigung zu halten, oder sie würde beschließen, dass ich mit knapp sechzehn Jahren genau im richtigen Alter für körperverändernde Reduktionsplastik bin, und Fachärzte für plastische Chirurgie befragen, wie viel Brustgewebe entfernt werden kann. Weder für das eine noch für das andere bin ich bereit. Ich würde gerne erst einmal mit der Schule fertig werden.

Ich bin nicht die Einzige, die nicht über ihren Körper reden will. Klar, über Kleinigkeiten wird gesprochen. Jemand, der besonders groß ist, sagt vielleicht: »Die Hosenbeine sind immer zu kurz.« Wir weisen uns auch gegenseitig auf den einen oder anderen Pickel hin. Aber wenn etwas intimer oder besonders eigenartig wird, dann reden wir nicht mehr darüber.

Ein Beispiel. Während der jährlichen Aufklärungswoche zum Thema Essstörungen im Februar kommt eine Krankenschwester. Sie sagt uns, dass wir auf Essstörungen achten sollen. Sie tut so, als wäre das ganz einfach zu erkennen. Als würde eine Schülerin in der Schulmensa stehen und verkünden: »Von nun an esse ich nur noch Radiererkrümel. Und wenn die Verlockungen zu groß werden, dann benutze ich nur noch die kleinen Bleistifte von IKEA, die gar keinen Radiergummi haben.« Daraufhin bilden wir einen Kreis des Vertrauens um die Schülerin und sie isst ein Sandwich.

Aber so ist es nicht. Die meisten Menschen behalten ihre Probleme für sich.

Im Herbst unseres ersten Schuljahres auf der Highschool hatten wir Schwimmen. Ich war da schon befangen wegen meines Körpers. Aber wenigstens werden bei allem, was Aufklärung, Badeanzüge oder Schlafsäcke angeht (so wie beim Lernen durch Engagement-Projekt am Schnell-versteck-dein-Gras-Wochenende), die Geschlechter getrennt. Einige der Mädchen besaßen nur Triangelbikinis. Nicht gerade praktisch, wenn man Schmetterlingsschwimmen lernt. Deswegen mussten wir die Badeanzüge der Kennedy-Schwimmmannschaft von 1975 tragen. Der Kennedy-Badeanzug ist ein dunkelroter Einteiler, der so hochgeschnitten ist, dass er im Prinzip als Rollkragen durchgeht, und so ausgeleiert, dass er bis zu den Knien hängt. Damals passte ich noch in eine 36, solange ich nicht zu tief einatmete.

Wir zogen uns um, rannten durch die Duschen, stellten uns in einer Reihe an der Wand auf und froren uns den Hintern ab, während Ms Reinhold die Baderegeln durchging.

Ich versuchte meinen Blick von Nella Woster abzuwenden. Aber ich kam einfach nicht dahinter, wie sie den gleichen hässlichen, alten Badeanzug wie wir anderen tragen und dabei trotzdem so aussehen konnte, als würde sie in einer Rum-Werbung auftreten. Jede ihrer Kurven war vollkommen. Mit ihr shoppen zu gehen, muss die Hölle sein. Ich wette, sie kann sich nie entscheiden, weil einfach alles an ihr gut aussieht. »Ich nehme wohl alles.« »Du kannst alles umsonst haben, wenn du unsere Marke auf Instagram bewirbst.«

Das war ungefähr auch der Moment, in dem Jessa Timms, totale Sportskanone und möglicherweise Bodybuilderin, an mir vorbeiging, stehen blieb, auf meine Brust guckte und sagte: »Mannomann, Greer! Hast du einen Vorbau! Und ich dachte, du wärst einfach kräftig.«

Mein Gesicht nahm dieselbe Farbe an wie der Badeanzug. Ich ließ die Schultern so sehr hängen, dass ich fast den Boden berührte. Niemand lachte, alle keuchten nur irgendwie, als könnten sie nicht fassen, was Jessa da gesagt hatte. Es gibt Regeln, Jessa! Wir kommentieren die Körper anderer Leute nicht in ihrem Beisein! Aber für den Rest der Stunde fiel mir auf, dass die Mädchen mich auscheckten, sich versicherten. Ja, sie hat recht. Greer hat ganz schön viel Holz vor der Hütte. Dabei hatten meine Brüste damals nicht im Entferntesten die Größe, die sie jetzt haben.

Ich habe noch nie ein längeres Gespräch über die Zwei geführt als an diesem Tag beim Schwimmen. Aber ich wette, andere Leute reden oft über sie.

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