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»Na, komm schon, Greer. Vielleicht freundet ihr euch ja an.«

Meine Antwort ist ein genervtes Blinzeln.

»Es ist schön, wenn man jemandem dabei hilft, sich einzuleben. Eine Möglichkeit, etwas zurückzugeben.«

Ich blinzele noch schneller, weil sie so tut, als würde ich das freiwillig machen.

»Eine halbe Stunde. Vierzig Minuten. Höchstens.«

Moms halbe Stunden dauern nie höchstens vierzig Minuten. Moms halbe Stunden können Stunden dauern. Besonders wenn sie ein Publikum hat.

Wir sind wegen eines ihrer Kunden hier. Mom arbeitet für die Firma Relocation Specialists und berät Menschen beim Wohnortswechsel. Große Unternehmen engagieren sie dafür, dass sie zugezogenen Mitarbeitern hilft, sich in der neuen Gegend einzuleben. Sie führt sie durch die Nachbarschaft, organisiert Schulbesuche und empfiehlt Kinderärzte, Handwerker oder Waxing Studios.

Sie liebt ihren Job. Er befriedigt ihren ständigen Drang, sich zu allem zu äußern, und rechtfertigt den exzessiven Luxus-SUV mit Babyrobben-Fell-Leder-Ausstattung, den sie geleast hat.

Manchmal, so wie jetzt, hat sie einen Kunden mit einem Kind in meinem Alter. Dann schleift sie mich zu dem Termin mit, als wäre ich ihre Junior-Partnerin. Alle Fragen zum Leben als Teenager in einer Vorstadt in Illinois soll ich ihnen dann beantworten. Sie haben aber nie Fragen.

Es ist immer dasselbe. Es ist sogar immer dasselbe Starbucks. Ich sitze neben Mom und versuche besonders freundlich auszusehen. Die oder der Neue starrt unterm Tisch auf ihr oder sein Handy. So weiß ich, dass sie – egal, wo sie auch herkommen – Freunde haben, die cooler sind als ich. Ist der Kunde eine Mutter, stellt sie mir die Art von Fragen, von denen sie meint, dass ihr schmollendes Kind sie stellen sollte. Wenn es nicht gerade schmollen würde. Sobald ich anfange zu antworten, unterbricht mich meine Mutter, um so zu antworten, wie ich ihrer Meinung nach antworten sollte. Für alle ist das total unangenehm, nur für Mom nicht. Kathryn Walsh ist nie etwas unangenehm.

Ob man es glaubt oder nicht: Meistens nutzt es mir rein gar nichts, ein sanftmütiger, leistungsstarker und überhaupt sehr umgänglicher Teenager zu sein. Besonders nicht bei meiner Mutter. Wenn ich mehr mit ihr streiten würde, so wie Maggie mit ihrer Mutter, oder wenn ich mich peinlich aufführen würde, so wie Tyler, dann würde sie mich nicht zu solchen Sachen zwingen. Dann wäre das zu anstrengend. Aber Kathryn Walsh strengt mich mehr an, als ich sie anstrenge, und hier bin ich also. Sie ist einfach so. Ich bin einfach nicht so.

Deswegen gehe ich mit ihr mit, um den desinteressierten Nachwuchs von Menschen zu treffen, die grausam/wichtig genug sind, mit ihrer Familie während der Schulzeit umzuziehen.

Deswegen helfe ich meinem Bruder Tyler bei den Mathehausaufgaben, obwohl er die Antworten online finden könnte.

Deswegen bin ich jedes Jahr brav beim Wiedersehenstreffen mit Leuten aus Moms Geburtsvorbereitungskurs dabei, das immer im Mai in genau diesem Etablissement stattfindet.

Diese Filiale von Starbucks befindet sich auf dem Weg des geringsten Widerstandes. Ich folge Mom nach drinnen.

Der Nachwuchs, den ich kennenlernen soll, ist genau wie ich in der zehnten Klasse an der Kennedy. Das ist ja schon mal was. Meine einzige Gemeinsamkeit mit den anderen Kindern bei den Treffen von Natürliche Entbindung und sanfte Geburt ist die Hebamme. Jackson Oates, wer immer er ist, wird das hier bestimmt genauso peinlich finden wie ich. Dann haben wir das auch schon mal gemeinsam.

Nachdem Mom Mrs Oates zur Begrüßung umarmt hat, stellen sie mir Jackson vor. Wie ein schmollender Schwachkopf sieht er jedenfalls nicht aus. Er macht eigentlich sogar einen nicht schmollenden, nicht schwachköpfigen Eindruck. Hellbraune Haare, dunkelbraune Augen und ein breites Lächeln, als wir uns begrüßen. Er streckt die Hand aus, um meine zu schütteln, als wäre die Familie aus den Fünfzigerjahren hierhergezogen. Ich habe jedoch gelernt, höflich zu sein, also drücke ich ihm fest die Hand. Das scheint ihm zu gefallen.

»Oh, wie gut! Deine Eltern haben dir wohl auch beigebracht, wie wichtig es ist, sich ordentlich die Hand zu geben.« Das sagt er in väterlichem Ton, mit einem kurzen Blick auf seine Mutter, die die Augen verdreht. »Ich habe dabei immer das Gefühl, einen deutschen Geschäftsabschluss zu tätigen«, ergänzt er mit normaler Stimme. Seine Hand ist warm. Nicht schwitzig. Nur warm, wie sich das für einen lebendigen Menschen gehört. Und ich habe den starken Verdacht, dass es bei denen, die immer unterm Tisch mit ihrem Handy spielen, nicht so ist.

»Wir treffen häufig neue Menschen«, sagt seine Mutter zur Entschuldigung.

»Ich werde zwanzig Apfelkuchen und einen BMW kaufen«, sagt er halb auf Deutsch, halb auf Englisch, und wider besseres Wissen bin ich bezaubert.

Das ist gar nicht so peinlich, wie ich dachte.

Das ist auf ganz andere Art peinlich.

Mom klärt schnell, was alle haben wollen, bestellt für uns (sie ist einfach so, einfach so) und zahlt. Da sie mich im Prinzip als ihre Assistentin betrachtet, sagt sie zu den anderen: »Wir suchen uns einen Tisch. Greer wartet auf die Getränke.« Mom und Mrs Oates steuern Moms Lieblings-Vierertisch an, direkt neben dem Ausgang. Jackson bleibt jedoch an meiner Seite und sieht dem Barista dabei zu, wie er die Milch schäumt.

Eigentlich ist das der Teil, wo der unbekannte Trottel sich neben seine Mutter setzt und so tut, als hätte ich persönlich dafür gesorgt, dass er hier sein muss. Doch Jackson steht neben mir, wartet auf die Getränke, als gehörten wir zusammen. Ich sehe wohl verwirrt aus. Er sagt: »Du hast nur zwei Hände?« Wie eine Idiotin schaue ich auf meine Hände, als müsste ich die Anzahl überprüfen.

»Ach so, ja, natürlich.«

»Hey, danke, dass du mitgekommen bist. Du würdest bestimmt lieber was anderes machen.«

Das dachte ich zuerst auch, aber das hier ist plötzlich doch interessanter, als mir die Fußnägel zu schneiden. »Kein Problem«, stottere ich. Eine Minute lang stehen wir schweigend nebeneinander und ich frage mich, ob ich in dieser Konstellation jetzt der gesprächsunfähige Trottel bin. Ich ergänze: »Dir ist schon klar, dass das hier der absolute Geheimtipp ist. Hier gehen die Einheimischen am liebsten hin, wenn sie untertauchen wollen.«

Er grinst ein wenig. »Starbucks?«

»Oh, dann hast du davon gehört?«

»Kathryn? Dein Kaffee ist fertig.«

Wir nehmen die Getränke von der Theke mit. Ich stelle den Caffè Latte für Mrs Oates und Moms Oh-das-klingt-irgendwie-französisch-das-nehme-ich auf dem Tisch ab. Dort haben sie schon den Informations-Ordner von Relocation Specialists ausgebreitet. Mom sammelt darin all ihre Profi-Tipps zu »dieser ganz besonders familienfreundlichen Gemeinschaft, nur fünfundvierzig Minuten von der Stadtmitte Chicagos entfernt«. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch diese Starbucks-Filiale im Ordner aufgeführt ist (der sich wiederum oft in diesem Starbucks befindet, das damit so etwas wie ein umgesiedeltes Wurmloch ist).

Jackson geht mit meinem Kakao und seinem Chai einfach weiter. »Die beiden Sessel sind frei. Passt dir das?«, sagt er über die Schulter.

Äh, ja?

Ich lasse Mom, Mrs Oates und den Ordner am Tisch zurück. Jackson und ich plumpsen in die Ledersessel voller Kaffeeflecken, die neben einem unangezündeten Kamin stehen. Jackson sieht aus wie jemand, der jeden Tag fremde Mädchen bei Starbucks trifft. Ich versuche auch so auszusehen.

Und er hat Fragen – gute Fragen. Statt mit »Was gibt es für Leistungskurse?« anzufangen (denn das steht auf der Website) oder mit »Kann man auch Punkte sammeln, wenn man Memes macht?« (er gehört ja schließlich nicht zu den Freunden meines Bruders aus der siebten Klasse), fragt er ganz direkt: »Ist das die Sorte Schule, wo ständiges Kommen und Gehen herrscht oder wo es seit der zweiten Klasse keinen neuen Schüler mehr gab?«

»Ich weiß nicht genau, wie viele es jedes Jahr sind«, sage ich. Er beugt sich über die Armlehne zu mir herüber, als wäre ich die Hüterin wichtiger navigatorischer Hinweise. Was ich ja irgendwie auch bin. Ich versuche mich zu erinnern, wie viele neue Schüler letztes Jahr in meinen Kursen waren, frage mich, inwieweit ich sie als repräsentativ betrachten kann, leite eine Gesamtmenge daraus ab und dann wird mir klar, dass er keine Statistiken will. Seine Frage ist ganz anderer Art. Es ist eine richtige Frage. Er möchte wissen, was auf ihn zukommt, und er will das von mir wissen. Es ist Oktober, wir sind mitten im ersten Halbjahr – nicht gerade die beste Zeit, um in einer neuen Schule anzufangen. Alle haben schon längst festgelegt, wo sie sitzen und mit wem sie sich abgeben wollen.

»Oh. Du willst wissen, ob du untergehen oder auf Anhieb berühmt sein wirst.« Er nickt. »Ich weiß es nicht. Ich war noch nie die Neue …«

»Noch nie?!«

»Nein. Als wir umgezogen sind, konnten wir auf derselben Schule bleiben.«

»Erstaunlich.«

Ich halte eine Sekunde lang inne, bleibe an dem »erstaunlich« hängen. Er sagt nicht, dass ich erstaunlich bin. Immobilität ist erstaunlich. So wie bizarre Mutationen in der Natur erstaunlich sind. Aber aus irgendeinem Grund fühlt sich dieses »Erstaunlich« aus seinem Mund nett an. Ich schüttele es ab.

»Ja«, sage ich. »Die Tatsache, dass ich nie die Grenzen meiner Postleitzahl verlassen habe, gehört zu meinen größten Errungenschaften. Es sind nicht so viele neue Schüler, aber da es drei Mittelschulen gibt und nur eine Highschool, kenne ich ganz viele Leute auch nicht.« Er nickt, als hätte er auf diese Antwort gehofft. »Ich glaube nicht, dass man als neuer Schüler besonders auffällt. Außer man will auffallen.«

»Was ist mit der Mittagspause? Wenn ich mich nicht an jemanden dranhänge, finde ich dann überhaupt einen Platz?«

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jackson an seinem ersten Schultag nicht mindestens vierzig neue Freunde findet. Schließlich ist er charmant und super nett, aber ganz offensichtlich war er schon oft der Neue und ich nicht, insofern täusche ich mich vielleicht. »Das Beste ist bestimmt, sich nach der vierten Stunde an jemanden dranzuhängen, außer sie sind alle furchtbar. Für alle Fälle kannst du aber Folgendes machen: Vor dem großen Fenster in der Schulmensa ist eine lange Theke, von der aus man auf den Sportplatz gucken kann. Wenn man noch Hausaufgaben machen muss oder sein Handy aufladen will, setzt man sich da hin. Wenn man dort sitzt, sieht man nicht wie ein Loser aus. Alle werden nur denken, dass man Gedichte voller Wehmut schreibt oder so.« Was ich eigentlich hätte sagen sollen, ist: »Sei kein Idiot, du sitzt einfach neben mir!«, aber immerhin kann ich mir zugutehalten, dass ich ihn auf die Theke hingewiesen habe.

»Das klingt gut. Ich wollte als Nächstes fragen, wo ich Gedichte voller Wehmut schreiben kann.«

»Oh Mann. Tut mir ja leid, aber letztes Jahr haben sie die Gedichte-voller-Wehmut-AG gestrichen. Etatkürzungen.«

»Dann können wir ja gleich wieder zurück nach Cleveland ziehen.«

Ich weiß, dass er es nicht ernst meint. Aber dadurch wird mir noch einmal klar, dass das alles neu für ihn ist – gut, Starbucks natürlich nicht und nach Auskunft meiner Mutter auch Umziehen an sich nicht. Aber die Kennedy Highschool ist neu und sein Haus ist neu und alle Leute sind neu für ihn. Ich bin neu für ihn.

»Wie ist Cleveland denn so?«

»Wie überall sonst, denke ich.« Er zuckt mit den Schultern. »Wir haben nur ein paar Jahre da gewohnt.« Irgendetwas an ihm hat sich verändert, ein winziges bisschen. Er ist immer noch nett. Immer noch charmant. Aber auch ein winziges bisschen … traurig vielleicht. »Meine kleine Schwester wollte nicht umziehen. Wirklich überhaupt nicht umziehen.«

»Mochte sie Cleveland so sehr?«

»Nicht besonders. Aber sie hasst Umziehen.«

»Und du?«

»Ich bin daran gewöhnt«, sagt er mit einem Achselzucken. »Und Starbucks gibt es ja überall.«

»Was? NEIN! Aber das hier ist wenigstens das echte, stimmt’s?« Und schon sind wir wieder da, wo wir angefangen haben. Für einen kurzen Moment konnte ich einen kleinen Riss in seiner Selbstsicherheit aufblitzen sehen. Glaube ich jedenfalls. Das macht mich neugierig. Noch neugieriger. Ich wünschte, wir wären woanders. Ich wünschte, ich könnte ihm etwas zeigen, was er nicht schon tausendmal gesehen hat.

Wir holen unsere Stundenpläne raus, um sie zu vergleichen. Zum größten Teil belegen wir die gleichen Kurse, aber zu anderen Zeiten. Außerdem hat er Deutsch und ich Spanisch als Fremdsprache und er ist im Schnelllernerkurs Mathe 1 und ich in Mathe 2. Ich starre in meinen Becher, damit er nicht sieht, wie enttäuscht ich bin.

»Du bist wohl ziemlich gut in Mathe«, sagt er.

Ich trinke und pruste gleichzeitig. Nicht, weil ich eine Mathe-Göttin bin oder so. So gut, dass ich zu diesen Schülern gehöre, die schon Mathekurse an der Uni nehmen müssen, weil sie in der Schule unterfordert sind, bin ich nicht. Letztes Jahr hat Mom einem Kunden meine Dienste als Mathe-Nachhilfelehrerin angeboten. Sie hatten ein Kind in der Mittelschule, das Mathe liebte, aber einen kleinen »Schubs« brauchte. Sie würde mich nur zu gerne im Ordner unter akademischen Ressourcen aufführen – oder wenigstens als Babysitter oder so was, damit ich mal aus dem Haus komme. Es stellte sich heraus, dass das Nachhilfekind so eine Art Genie war und zweimal die Woche nach Chicago an die Uni fuhr, um Ergodentheorie zu studieren. Ich weiß noch nicht einmal, was das ist. Ich stehe nur an der Spitze der ganz normal schlauen Schüler.

Gut in Mathe zu sein – in jedem Fach, eigentlich –, macht so ziemlich meine gesamte Identität aus. Es ist komisch, sich mit jemandem zu unterhalten, der das nicht weiß.

In der Schule wissen die anderen über mich, dass ich gute Noten bekomme; dass ich Maggie Cleavers stillere, umgänglichere Freundin bin und dass ich Klamotten trage, die sogar für einen ausgewachsenen Bären dreimal zu groß wären. Das war’s. Ich mache keinen Sport, keinen Ärger, spiele nicht Theater. Ich bin nicht die Sorte Mädchen, mit dem man ausgehen will. Ich bin nur das kluge Mädchen. Das kluge Mädchen, das immer die Arme vor der Brust verschränkt.

Aber Jackson weiß das nicht. Er weiß nur, dass meine Mom versucht hat, meinen Kakao mit fettarmer Milch zu bestellen. Aus Jacksons Sicht könnte ich alles sein. Das kluge Mädchen plus. Für den neuen Schüler bin auch ich neu. Irgendwie macht es Spaß, sich vorzustellen, mal ganz anders sein zu können, auch wenn er mich sofort durchschauen wird, sobald er in der Schule ist.

»Wir haben also nicht einen einzigen Kurs gemeinsam? Komisch, denn ich bin davon ausgegangen, dass du mich am Montag als zertifizierte Relocation-Spezialistin zu Anfang jeder Stunde vorstellen wirst. Nicht gut …«, ergänzt er mit seiner deutschen Geschäftsmann-Stimme.

Er sitzt in diesem klumpigen, abgewetzten Sessel, in dem vor ihm Tausende andere Menschen gesessen haben, der aber aussieht, als wäre er nur für ihn gemacht; als hätten alle, die es sich in dem Sessel bequem gemacht haben, hier nur geschlafen, sich gestreckt und gelümmelt, damit er sich Jackson anpasst. Ein Knie liegt halb auf der Lehne, sein Kopf ist in die Hände gestützt – er sieht aus, als wäre jede Faser seines Körpers vollkommen entspannt. Als würde er dort hingehören. Als würde er überall hingehören, egal, wo er auch hingeht.

Er ist klug und lustig und scheint sich einfach wohl in seiner Haut zu fühlen, was ich für mich nicht behaupten kann. Ich habe mich geirrt, als ich dachte, unsere einzige Gemeinsamkeit wäre, dass er das hier genauso peinlich finden wird wie ich. Damit war ich wohl allein.

Und aus irgendeinem Grund führt das dazu, dass ich mich öffne. Bis eben saß ich mit angezogenen Knien auf meinem Sessel, beide Hände um meinen Becher gelegt. Nun lasse ich ein Bein los und dann das andere und lege sie über die Armlehne. Ich lehne mich zurück, nur ein bisschen, und richte mein Sweatshirt, damit es immer noch weit über meinen Körper schlackert. Ich höre mich sagen: »Du machst das schon. Aber dein Deutschkurs ist im selben Flur wie mein Mathekurs, erste Stunde, falls du also Panik bekommst, ruf nach mir. ›Greer! Ich weiß nicht, wo ich bin!‹« Auf seinem Gesicht breitet sich ein großes, echtes Lächeln aus. »Greer! Helpen me por favor!« Ich spreche so laut, dass Mom neugierig rüberschaut. Nicht genervt, neugierig. Jetzt lacht Jackson laut auf. »Du musst es aber auf Englisch sagen«, ergänze ich. »Mein deutscher Wortschatz besteht aus Gesundheit

***

Als es Zeit ist zu gehen, sagt Mom: »Oh, Jackson! Schreib dir doch Greers Nummer auf. Vielleicht hast du ja noch weitere Fragen, was die Schule angeht.« Ich hasse und liebe sie dafür.

Mom rattert meine Telefonnummer runter und ich frage mich, ob Jackson nur so tut, als ob er sie eintippt.

Aber noch bevor sie zum Ende kommt, reicht er mir sein Handy. »Tipp du sie lieber ein.« Er hat mich schon als neuen Kontakt hinzugefügt: Greer Walsh. Und er hat Greer richtig geschrieben. Das hat auf Anhieb noch nie jemand geschafft.

Ich gebe die Nummer zweimal neu ein, nur um sicherzugehen, dass ich mich nicht vertippt habe. Aber ich schätze mal, dass er sie sowieso nur benutzen wird, wenn er aus Versehen mit dem Hintern auf seinem Handy landet. Ich gebe ihm das Smartphone zurück, er drückt auf ein paar Tasten und dann ertönt ein wunderbares Ping! aus meiner Tasche. »Jetzt hast du meine auch.« Er lächelt und mein ganzer Körper läuft rot an. Ich bin froh, dass er nur mein Gesicht sehen kann.

Auf dem Weg nach draußen sagt Mom: »Deine Tochter hätte auch mitkommen sollen.«

Die Stimmung ändert sich schlagartig. Jackson und seine Mutter schauen einander an, als hätte Mom gerade gesagt, es gäbe Leber-Sardellen-Brötchen als Willkommensgeschenk.

»Wir haben …«, beginnt Mrs Oates, »sie, äh, hat beschlossen, lieber mit dem iPad im Auto zu bleiben.« Sie sieht verlegen aus. Teilnahmsvoll zuckt Mom zusammen. »Wenn sie jemanden nicht kennt, ist sie ein bisschen ängstlich.«

In dem Wissen, dass das Kind trotzdem mit umziehen muss, ist es sogar für Mom schwer, darauf etwas zu erwidern. Ich kann mich nicht erinnern, dass Drittklässler besonders mitfühlend sind, also viel Glück am Montag in der Schule, Oates-Mädchen.

»Eigentlich war das genauso geplant«, sagt Jackson schließlich. »Wir heben uns Quinlan immer auf, bis die Leute sich entschieden haben, uns zu mögen. Ich meine, wenn sie sich dafür entscheiden.« Er hebt die Schultern und wirft mir einen trotteligen Blick zu.

»Natürlich mögen wir euch«, sagt Mom mit einem kleinen Lachen. Dabei guckt sie mich die ganze Zeit an.

Und das tun wir. Das tun wir wirklich.

Meine Augen sind hier oben

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