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Im letzten Frühjahr hat mich Maggie zusammen mit Natalie, Tahlia und ein paar anderen Mädchen an einem Wochenende ins Kino geschleift. Meine Neigung, Ansammlungen von Teenagern zu vermeiden, hatte gegenüber dem Versprechen, Seth Rogen wäre irre komisch, den Kürzeren gezogen. Wer immer gesagt hatte, ihre Mutter würde uns abholen, hatte vergessen zu erwähnen, dass die Mutter bis halb sechs arbeiten musste. Also saßen wir nach der Mittagsvorstellung zwei zusätzliche Stunden mit einer Meute Mädchen im Einkaufszentrum fest. Maggie und ich fühlten uns wie der Inbegriff des Klischees. Als ich das zu Tahlias Freundin Kiki gesagt habe, meinte die daraufhin: »Oh, das wird Klicke ausgesprochen, auch wenn es mit ›q‹ geschrieben wird.« Dann fühlte ich mich noch schlechter, denn wenn ich schon Teil einer Clique war, dann sollte es wenigstens eine sein, in der alle wussten, was ein Klischee ist. Und wenn ich jetzt darüber nachdenke, war es auch Kiki, die davon ausgegangen ist, dass wir alle die restliche Zeit durchs Einkaufszentrum schlendern wollten. Quiqui wird nicht in meiner Quichee sein.

Mags und ich gingen den anderen eine Weile hinterher. Ich schaute mir ab und zu eine Hose an, denn bei Hosen fühle ich mich nicht wie eine Mutantin, und Maggie sagte mir, welche Marken Kinderarbeit in Anspruch nehmen (die meisten).

Der Nachmittag war langweilig, aber okay, bis Tahlia uns alle in einen Laden namens Dessous Du! führte, ein Unterwäschegeschäft für Leute unter fünfundzwanzig. Alles dort ist grell, gemustert, süß, voller Spitze und winzig. Wäre man kurzsichtig und würde einen Blick auf einen Tisch voller BHs werfen, könnte man glatt meinen, dass man an einem Tisch voller Cupcakes vorbeigeht. Die Atmosphäre in dem Laden lässt sich am besten mit »Sexy Schulmädchen feiern Pyjamaparty« beschreiben, und sollte dein Vater dir dort einen Gutschein besorgen, würde er den Rest des Tages von Sicherheitskräften verfolgt werden. Mich nerven solche Läden einfach nur noch, seit ich mich damit abgefunden habe, immer wieder dieselbe flächendeckende, praktische Unterbekleidung ohne Schnickschnack im Internet zu bestellen, damit ich nicht weiter über dieses Thema nachdenken muss. Der Laden ist nichts für mich. Die anderen Mädchen haben alle gegirrt und gegurrt und sogar Maggie hat einen Stapel Unterhosen durchgeguckt. Meine Brüste haben allein durch meine Anwesenheit dort ein Kilo zugelegt. Jeweils.

»Ich gehe in den Buchladen«, habe ich gesagt.

»Ich komme mit«, schloss Maggie sich an und warf ein paar Unterhosen mit MIAU auf dem Hintern einen wütenden Blick zu.

Aber gerade als wir schon fast aus der Tür waren, fiel mein Blick auf ein Plakat: ein Mädchen in einem süßen karierten BH mit passendem Slip. Und anstatt so dünn zu sein, dass man nicht nur ihre Knochen, sondern auch ihre inneren Organe unter der blassen Haut erkennen konnte, hatte dieses Model Kurven. Richtige Kurven. Als wäre sie aus Fleisch, und zwar aus ganz schön viel davon. Dessous Du!: BHs in großen Größen – unsere Kollektion ist jetzt noch größer!

Ein billiger Slogan, aber darunter stand in kleiner Schrift: Ausgewählte Modelle in 26AA bis 40G. Wenn es den süßen BH auch in großen Größen gab und die großen Größen auch groß genug für meinen großen Busen waren, dann bedeutete das, dass auch ich einen süßen, karierten BH haben könnte anstatt ein beiges Anstaltsmodell.

Ich wollte ihn nicht anprobieren, während die anderen Mädchen dabei waren. Aber gleich am nächsten Tag ließ ich mich von Mom ins Einkaufszentrum fahren. (Sie dachte, ich müsse ein Geburtstagsgeschenk für Maggie besorgen.) Ich war in dem Laden, sobald er aufmachte, während die Rentner noch ihre Morgenrunden drehten und die Kundinnen von Dessous Du! noch in ihren Spitzenhemdchen und den dazu passenden Schlafshorts schliefen.

»Wennde was brauchst, sag Bescheid«, murmelte die Dessous Du! Verkäuferin, ohne von den Mädchen-Tangas aufzuschauen, die sie gerade sortierte.

Erst habe ich nicht kapiert, wo die großen Größen sein sollten, aber unter den ausgestellten BHs im hinteren Teil des Ladens waren Schubladen mit zusätzlicher Unterwäsche, BH neben BH wie seidige Matroschkas. Körbchen von A bis B bis C und D und E bis hin zu J! Und da war er, der BH de résistance: rosa- und orange- und cremefarbenes Karo mit passenden Boxershorts in (fast, vielleicht?) meiner Größe. Ich nahm noch einen spitzenbesetzten Bralette in Zartlila mit, den man über den Kopf ziehen musste, weil mich das Mädchen auf dem Plakat und der karierte BH so optimistisch gestimmt hatten, dass ich wie von Sinnen war.

Ich ging mit den Teilen in die Umkleidekabine. Dort hing ein Schild, auf dem stand: Bei Dessous Du! findest DU die ideale Passform! Auf einer Zeichnung darunter nahm eine freundliche Verkäuferin mit einer eleganten Intellektuellenbrille Maß bei einer freudestrahlenden Kundin, die den Körperumfang einer Zahnbürste hatte. Nein, danke.

Ich probierte den Bralette zuerst an, weil er so bequem aussah.

Wenn bequem bedeutet, dass man ein kratziges Unterhemd trägt, das aus alten Laken und Dornen besteht und nur halb über deine Brust geht. Okay, es war einen Versuch wert, macht nichts.

Ich nahm den Karo-BH in die Hand. Hinten waren nur zwei Haken (meiner hat vier) und die Träger sahen aus wie dünne rosa Schleifen, die man einem Baby um den Kopf binden würde, um zu zeigen, dass es ein Mädchen ist. Aber die Körbchen waren wie zwei Rührschüsseln. So als würde man die Segel von einem Piratenschiff nehmen und daraus einen Bikini machen.

Ich öffnete den Verschluss und schob meine Arme durch die Träger. Zum Glück gefiel mir das Karomuster so gut, denn davon gab es eine Menge – genug, um den größten Teil von Donna und Doria zu bedecken ohne überquellende Reste an der Seite. Er passte! Sozusagen.

Zumindest bis ich mich bückte, um den zartlila Bralette aufzuheben, der auf den Boden gefallen war, und beide Brüste aus den Körbchen rutschten. Ich richtete mich auf und stopfte sie wieder rein. Also kein BH, in dem ich einen Handstand machen konnte. Aber das war sowieso nicht mein Ding. Er war weder bequem noch billig noch verlieh er optimalen Halt. Aber er war etwas, das eine Fünfzehnjährige und keine Oma tragen würde, und das war genug.

Ich lehnte mich ein wenig nach vorne. Sie blieben drin.

Noch ein bisschen weiter. Noch immer drin!

Ich lehnte mich so weit nach vorne wie nötig, um jemandem Geld auszuhändigen. Plutsch! Doria entkam. »Was geht hier draußen vor?«, fragte sie.

Wenn ich vollkommen stillhielt und ganz gerade stand, dann hatte Dessous Du! also recht – der übergroße BH passte über meinen übergroßen Busen. Aber die dünnen Träger schnitten schon jetzt in meine Schultern ein und selbst beim kleinsten Hüpfer sprangen D & D durch die Gegend wie eine Matratze auf dem Dach eines VW-Busses.

Im Grunde wurde hier einfach eine größere Version des süßen BHs hergestellt, ohne dabei die physikalischen Gesetze zu beachten, die eine Brust wie meine mit sich bringt. Das ist wie einen Schneemann nicht aus drei, sondern aus dreißig Schneekugeln zu bauen und zu erwarten, dass er genauso stabil ist wie ein durchschnittlicher Schneemann. Oder wie die Matratze auf dem VW-Bus mit einem Freundschaftsarmband zu befestigen.

Ich starrte mein kariertes Selbst im Spiegel an.

Dieser BH hob, hielt und half gar nicht und Donna und Doria hingen beunruhigend nah an meinem Bauchnabel. Du, Dessous, das war nix.

Aber zum ersten Mal seit meinen D-Körbchen-Tagen trug ich etwas Hübsches.

»Alles gefunden?«, fragte die Verkäuferin, die aufgehört hatte, Unterwäsche auszuzeichnen, und stattdessen mit ihrem Handy spielte.

Ich kaufte den nutzlosen karierten BH und die dazu passenden Boxershorts. Keine Ahnung, warum. Sie liegen hinten in meiner Schlafanzugschublade, die Preisschilder hängen noch dran und dort werden sie für immer bleiben.

Meine Augen sind hier oben

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