Читать книгу Der Sarekmann - Lennart Hagerfors - Страница 11
ОглавлениеJe älter ich werde, um so mehr habe ich den Segen der Wiederholung schätzen gelernt: sich abends ins Bett legen und die Gedanken um den Joghurt und den Kaffee kreisen lassen, die ich zum Frühstück zu mir nehmen werde, und um die wohlbekannten Haltestellen der Linie 54 und die fast gleich aussehenden Busse. Die Besonderheiten der einzelnen Fahrzeuge verstärkten auf paradoxe Art ihre Gleichartigkeit, genau wie die wechselnden Arbeitsschichten das Gefühl von Routine vertieften. Bestimmte freie Vormittage in der Woche formten sich deutlicher zur Routine als die mechanische Wiederholung der festen Arbeitszeit.
Ich erinnere mich an die Unterrichtsstunde, in der mir Usks spezielle Art zu husten auffiel. Er schien wie mit trockenem Staub gefüllt. Irgend etwas in seiner Kehle konnte sich nicht den in seiner Brust herumwirbelnden Partikelchen anpassen.
Es hat lang gedauert, bis ich anfing, auf seine Worte zu achten. Der Husten nahm meine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch. Erst gegen Mitte der Stunde begann ich seine eschatologischen Phantasien zu verstehen. Der Mensch nähert sich dem Punkt in der Geschichte, an dem der endgültige Kampf, sowohl der äußere wie der innere, auszufechten ist. Die materialistische Revolution steht vor ihrem Zusammenbruch, die Wissenschaft ist steril und hochmütig, die Politik ein Sumpf von Kompromissen und Korruption, die Kunst nihilistisch und arrogant, die Menschen sind gehetzt, oberflächlich. Wie die Schweine leben sie in Angst vor physischen Unannehmlichkeiten und stehen ebenso fremd vor den rätselhaften Tiefen der Seele wie das Vieh. Es fehlt nicht an Zeichen: höhere Mächte haben uns durch den Fortpflanzungstrieb eine Warnung erteilt: Aids. Gott hat recht in seinem Hohn: statt Leben zeugt der Mensch Krankheit und Tod. Säuglinge werden aus dem Erdenleben abberufen, kaum daß sie es begonnen haben. Völlig gesund wurden sie von der Aufforderung erreicht: kehre zurück – und in aller Stille haben sie aufgehört zu atmen. Halbwüchsige Mädchen, die Gebärenden der Zukunft, hungern sich selber zu Tode. Die Zeit von Wasser, Luft und Erde ist vorbei. Wir befinden uns im Zeitalter des Feuers. Alles wird verbraucht, ausgebeutet, vergiftet. Die beiden gesellschaftlichen Erscheinungsformen des Materialismus, der Kapitalismus und der Kommunismus, sind stahlglänzende, verheerende Bestien.
«Und kommt bloß nicht an und sagt», fuhr Usk fort und starrte mich mit einem Auge an, «es habe immer schon Untergangspropheten gegeben und das Leben sei trotzdem weitergegangen. Die Entwicklung unseres Planeten in den letzten hundert Jahren ist einmalig. Nichts hat mehr Bestand. Nicht einmal das Universum. Die dem Leben innewohnenden Heilkräfte sind außer Kraft gesetzt. In kindischem Übermut hat der Mensch eine Verantwortung übernommen, der er niemals gewachsen sein wird. Jetzt brauchen wir Einen Großen Plan, Eine Aggressive Demut, Eine Innere und Äußere Revolution, bei der jeder gezwungen ist, aufzustehen und sich selbst, seine Angehörigen und seinen Besitz zu opfern, um die Initiative an Den Großen Beweger zurückzugeben, in dessen Handfläche alles ruht.»
Gegen Ende der Rede wurden seine dünnen Lippen feucht, und die Nasenflügel bewegten sich wie ein Vogel in langsamem Flug.
Es lag eine Drohung in der Art, wie Usk die Worte hervorsang, in seinen trockenen Hustenanfällen und dem asymmetrischen Suchen seiner Augen nach einem Ziel. Trotzdem hätten mich seine schwülstigen Wortkaskaden wohl ziemlich kalt gelassen, hätte sich meiner nicht ein schleichender Verdacht bemächtigt. Die Worte hatten fraglos einen Adressaten. Sie waren nicht an die übrigen Schüler gerichtet – an die, die schon Gläubige waren. Ich war der Humus, in den Usk sorgfältig seine Worte pflanzte. Ich war es, der eingeführt, vorbereitet werden sollte. Mit seiner Rede verfolgte er ein konkretes Ziel. Etwas erwartete mich.