Читать книгу Der Sarekmann - Lennart Hagerfors - Страница 22

Оглавление

Nachdem kelly mich verlassen hatte, überfiel mich mit ohrenbetäubender Stärke die Einsamkeit. Ich bekam Angst, ich fühlte mich ausgeliefert. Als ich den Blick über die Gipfel im Norden und Süden schweifen ließ, dann über den See Pietsaure im Westen und über das sumpfige, von Gestrüpp überwucherte Gelände weiter oben, entlang dem Gletscherfluß im Osten, überkam mich eine Unruhe, die das Atmen schwermachte. Zwar war es unangenehm gewesen, Kelly zur Gesellschaft zu haben, aber paradoxerweise schien es sicherer, eine konkrete Bedrohung vor sich zu haben, als sie nicht zu sehen, nicht einmal zu wissen, ob es etwas zu fürchten gab. Mir fehlte ganz einfach die Angst vor Kelly.

Etwas bewegte sich schräg hinter mir. Ich drehte mich rasch um, konnte aber nicht sehen, was es war. Nach einer Weile begann es wieder, und ich entdeckte einige Rentiere, die nach unten zum See unterwegs waren. Mir fiel ein, daß es im Sarek auch einen lebenskräftigen Bärenstamm gab.

Plötzlich hatte ich nichts zu tun. Geistesabwesend machte ich einen Abstecher zum See, kehrte aber bald um, da es zu feucht war, um dort in Turnschuhen herumzulaufen. (Nach dem Bad hatte ich den Füßen eine Erholung von der klebrigen Feuchtigkeit der Gummistiefel gegönnt.) Kaum war ich am Zelt angelangt, meinte ich wieder eine Bewegung wahrzunehmen, diesmal in dem Sumpfgelände weiter oben am Gletscherfluß. Bald entdeckte ich auch etwas, das sich im Weidengestrüpp bewegte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich erkannte, was es war. Es war ein Mann, der auf dem Weg zu mir war.

Als er so nah war, daß ich seine Kleidung und Gesichtszüge erkennen konnte, kam mir in den Sinn, was für erstaunlich grobe Konturen der Mensch hat. Die Nuancen von Verhalten, Kleidung und Wortwahl scheinen ihre soziale Bedeutung verloren zu haben. Entweder sind sich die Individuen zum Verwechseln ähnlich, oder sie signalisieren ihre Abweichung mit so starken Mitteln, daß man versucht ist, bereits nach dem ersten Blick die Schablone eines Lebensschicksals zu entwerfen: eine dickliche Familie auf Urlaub, in identischen Trainingsanzügen vor ihrem Wohnwagen Kaffee trinkend; zwei ausgemergelte, schwarz gekleidete Punker in ausgelatschten Nagelstiefeln durch eine U-Bahn-Station marschierend; Direktoren in uniformen Anzügen auf einer Direktionskonferenz. Warum werden soziale Rollen und Antirollen so überdeutlich? Die meisten Menschen schämen sich offenbar dafür, daß sie tatsächlich einzigartig sind. Es ist nur allzu einfach, sich hinter einer Karikatur zu verstecken. In diesem Punkt weiß ich wirklich, wovon ich rede.

Der Mensch jedoch, der auf mich zukam, war jenseits aller Kategorien, überdeutlich auch er, aber auf eine ganz eigene Weise. Er war fett und klobig, stolperte vorgebeugt dahin, die Schritte verteilten sich ziemlich beliebig unter ihm. Sein Körper war schwammig, am Hals war zuviel loses Fleisch, das über den Kragen hing. Auf der unförmigen Nase balancierte eine verschmutzte Brille, deren einer Bügel mit Klebeband geflickt war. Der Mann war in den Schultern schmal und dick um die Taille. Er trug schwarze Gummistiefel. Im übrigen war er mit grauen Gabardinehosen und einem ausgebleichten Anorak bekleidet, der an seinem Körper aussah wie zum Trocknen über einen Busch geworfen. Der Rucksack war ein älteres Modell und hing ihm tief am Rücken. Außen hatte er mit einer Schnur einen Ring Fleischwurst daran befestigt. Auf dem Kopf trug er eine Schirmmütze mit dem Aufdruck «Örebro Tapetmagasinet». Er war verschwitzt; ein säuerlicher Geruch wehte herüber.

Der Mann blieb ein paar Schritte von mir entfernt stehen, nickte und lächelte verlegen. Dann sagte er: «Hast du hier vielleicht irgendwo eine Packung Hot-dogs-Würste gesehen?»

Ich mußte mehrmals nachfragen, bis ich begriff, daß er eine Packung Würste suchte, die er genau an der Stelle verloren zu haben glaubte, an der wir standen. Der Ort eigne sich ja als Rastplatz, und er habe hier früher am Tag zu Mittag gegessen, erzählte er. Ich half ihm suchen und fand tatsächlich ein Dutzend eingeschweißte Würste, die neben einer provisorischen Feuerstelle lagen. Als ich sie ihm reichte, bedankte er sich, als hätte ich ihm ein Familienkleinod zurückgegeben. «Ich lasse dich probieren, das verspreche ich», sagte er und blinzelte mir zu. Ich sagte, ich hätte gerade gegessen, doch wies er den Einwand ab. «Nur ein Häppchen, sie sind köstlich, über offenem Feuer gegrillt.»

Ich musterte ihn, während er im Gestrüpp herumstolperte und trockene Zweige sammelte. Sein Alter war schwer zu schätzen. Er konnte alles mögliche zwischen vierzig und sechzig sein. Als er keuchend mit einem Armvoll Reisig zum Feuermachen zurückkehrte, stellte er sich vor. «Ich heiße eigentlich Bertil, aber alle sagen Speck zu mir. Als ich klein war, hat man mich gehänselt, weil ich so dick und lieb war. Man nannte mich abwechselnd Speck und Jesus. Mit der Zeit blieb es dann bei Speck. Das muß taugen. » Er lachte auf. Das einzige, was an ihm nicht komisch war, war die Stimme mit ihrem Klang. Er sprach mit einem tiefen, tragenden Baß, und der unförmige Körper bildete einen hervorragenden Klangkörper.

Ich glaube, es war die Stimme, die es einem so leichtmachte, ihm zuzuhören. Sie war es, die bewirkte, daß er sich in seinem Körper «zu Hause» zu fühlen schien, sie war es, die all die sonderbaren Attribute, mit denen er sich umgab, zusammenhielt und ihnen eine Art Sinn gab.

Der Sarekmann

Подняться наверх