Читать книгу Der Sarekmann - Lennart Hagerfors - Страница 7

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Mit gewalt musste ich den rucksack ins Schlafwagenabteil bugsieren. Ich stellte ihn auf den Boden, ohne auch nur den Versuch zu machen, ihn mit ausgestreckten Armen auf die Gepäckablage zu stemmen.

Bis zur Abfahrt des Zuges war es fast noch eine halbe Stunde. Ich setzte mich auf das untere Bett, das für mich reserviert war, und brach in Gelächter aus. Der Schritt von der Schwermut zur Ausgelassenheit ist manchmal genauso klein wie der vom Pathetischen zum Lächerlichen.

Ich wusch mich im Waschbecken und betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Ich erkannte mich kaum wieder. Das Gesicht sah kantiger und gröber aus, als habe es sich chamäleonartig meiner robusten Kleidung und der schweren Ausrüstung angepaßt.

Ich schob das Fenster herunter und ließ die kühle Luft ins Abteil strömen. Schritte auf dem Bahnsteig, Stimmen, kleine Elektroautos, die herbeigebraust kamen und mit ihren klappernden Wagen im Schlepptau in irgendeinem dunklen Winkel verschwanden. Allmählich trafen die Reisenden ein. Wie sie mit ihrem Gepäck in den Händen angewandert kamen, war es schwer, sich vorzustellen, daß sie gewöhnlich ein triviales Leben führten. Sie schienen allesamt aus einer Art öffentlicher Anonymität zu kommen: mit Hotels, Konferenzen, wichtigen Verabredungen, Geschäftsessen. Es fiel schwer, sich einen von ihnen unterm Weihnachtsbaum zu denken.

Meine Reisegefährten waren jedoch anders. Es waren große Männer in den mittleren Jahren, mit blonden Bärten und schütterem Haar. Der eine trug eine riesige, knallrote Damentasche, die an einer Ecke aufgeplatzt war, und einen kleineren, aber sehr viel älteren Koffer, der von einer Schnur zusammengehalten wurde. Ihr weiteres Gepäck bestand aus Plastiktüten und einer dicken Holzplanke, die sie auf den Boden legten. Sobald sie eingestiegen waren, wurde das Gedränge im Abteil geradezu komisch. Sie kamen und gingen, verstauten das Gepäck und verteilten es wieder um, lachten mit dröhnenden Bässen, rissen Bierdosen auf und aßen ihre mitgebrachten Kebabs. Ihre Kinder und Frauen, die ihnen zum Abschied winken wollten, drängten sich ins Abteil, um es zu begutachten. «Da liegt einer», sagte eine der Ehefrauen, als sie mich zusammengekauert in einer Ecke meines Bettes entdeckte. Die Kinder probierten die Wasserhähne aus, bewarfen sich lachend und kreischend mit den Kissen und wurden schließlich von ihren Vätern umarmt und hinausgeschoben, die dann mit ihren breiten Hintern die Fenster blockierten, bis der Zug mit einem Ruck anfuhr. Die beiden Männer sprachen sich mit Mackan und Gösta an, und sie aßen und tranken in einem fort, bis sie schnarchend einschliefen.

Ich holte meinen Computer aus dem Rucksack. Das war nicht einfach, denn einer der Männer hatte den Rucksack auf eine Ablage gehoben. Meine gute Laune trübte sich ein wenig, als ich das Gerät aufs Bett stellte und mich auf den Bauch legte, um mich ein bißchen zu zerstreuen. Er wog an die drei Kilo. Wozu diese überflüssige Last herumschleppen? Die Ausrüstung war doch schon schwer genug. Neben mir, im Schein der Leselampe, gewahrte ich ein Paar Turnschuhe und ein Paar Stiefel, die die beiden Männer auf die Planke gestellt hatten. Da fiel mir siedendheiß ein: Meine Stiefel standen noch zu Hause in der Diele! Ich hatte die Turnschuhe angezogen und vergessen, die Stiefel einzupacken. Den verflixten Computer hingegen hatte ich nicht vergessen.

«Stiefel vergessen» tippte ich ein, um meinen Schnitzer zu bestätigen und festzuschreiben. Ich wollte noch etwas hinzufügen, beispielsweise, daß ich in Gällivare oder sonstwo ein neues Paar kaufen könnte, aber ich verlor die Lust.

Ich ging aufs Klo, um zu pinkeln. Im Spiegel sah mein Gesicht nur noch käsig aus. Es war, als hätten die beiden Männer im Abteil jegliche Energie und Lebenslust beschlagnahmt und mit in den Schlaf genommen. Ich fühlte mich einsam und traurig.

Im Gang stellte ich mich ans Fenster und schaute hinaus in die Sommernacht. Aber es war weder Tag noch Nacht. Eher sah es aus wie Abenddämmerung oder Morgengrauen. In den Talmulden, etwa einen Meter über dem Boden, hingen dünne Nebelschwaden. In einer Gruppe von Gehöften leuchtete eine Lampe in einem Fenster, eine Reihenhaussiedlung war mit Straßenbeleuchtung ausgestattet, und an den Bahnübergängen bimmelten altmodisch die Signale.

Ein Mann trat aus einem Abteil und steckte sich eine Zigarette an. Er nickte mir zu und schaute zum Fenster hinaus. Nach einer Weile fragte er mich, ob ich eine Fjällwanderung vorhätte. Er selbst war unterwegs zum Tierpark von Padjelanta und begann, über die Ausrüstung zu reden. Lachend erzählte er, welche Schwierigkeiten ihm die Wahl des Schuhwerks bereitet habe. Es hieß, sich zwischen Wanderschuhen und Gummistiefeln zu entscheiden.

In ersteren würden die Füße von außen naß, in letzteren von innen. Da er sich nicht habe entscheiden können, habe er beide mitgenommen, doch auf dem Weg zum Zug sei ihm klargeworden, daß es zu schwer würde, ein zusätzliches Paar zu tragen. Daher habe er wählen müssen und sich für die Wanderschuhe entschieden. Nun müsse er die Gummistiefel loswerden.

Er verstummte, steckte sich die nächste Zigarette an und setzte sich auf einen der Klappsitze. Hemd und Hose war anzusehen, daß er eine richtige Fjällwanderung vorhatte. Die Haare waren dunkel und kurz geschnitten, und der Ansatz einer Glatze war zu sehen. Sein Aussehen war so alltäglich, daß es schwerfällt, sich daran zu erinnern.

Nach minutenlangem Schweigen, während dessen nichts anderes zu hören war als das Rattern des Zuges auf den Schienen und ein Husten im Nachbarabteil, fragte ich ihn nach der Größe der Stiefel. «Dreiundvierzig», antwortete er zerstreut. Ich dachte an die sonderbare Planke, die in meinem Abteil am Boden lag. Warum nahm jemand auf eine Bahnfahrt von Stockholm nach Norrland eine Planke mit? Einer der beiden Männer in meinem Abteil, vielleicht auch beide, mußten aus unerfindlichen Gründen in eins der waldreichsten Gebiete Europas eine Planke mitschleppen.

Er war schon bei seiner dritten Zigarette, als ich mich aufraffte und ihm erzählte, daß ich meine Stiefel zu Hause vergessen hätte, und ihn fragte, ob ich ihm seine abkaufen könne. Zuerst blickte er mich erstaunt an, dann strahlte er und sagte: «Aber klar. Da haben wir ja beide Glück.»

Er verschwand in sein Abteil und kam mit einem Paar nagelneuer Gummistiefel zurück. Für fünfzig Kronen waren sie mein.

Ich konnte nicht einschlafen. Es war schon nach zwölf, und im Abteil war es feucht und stickig. Ich muß dennoch eingenickt sein, denn ich erwachte davon, daß der Zug mit einem Ruck zum Stehen kam. Draußen war es absolut still, weswegen ich vermutete, daß wir nicht an einem Bahnhof hielten. Mackan und Gösta schnarchten und wälzten sich stöhnend herum. Aus einem anderen Abteil war jetzt deutlich ein trockener Husten zu vernehmen. Ich holte den Computer hervor und schrieb: «Es ist schwer zu schlafen. Jemand hustet.» Dann klappte ich den Deckel zu, legte mich auf den Rücken und lauschte mit offenem Mund. Es wurde ganz still. Das Husten hörte auf. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, und ich beschloß, das Gerät trotz allem mit auf die Fjällwanderung zu nehmen.

Gegen Morgen fiel ich in einen tiefen Schlaf. Als der Schaffner mich um sieben Uhr weckte, waren Mackan und Gösta mitsamt ihrem sperrigen Gepäck verschwunden. Das einzige, was sie vergessen hatten, war die Planke. Sie lag verlassen auf dem Boden des Abteils.

Der Sarekmann

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