Читать книгу Der Sarekmann - Lennart Hagerfors - Страница 18
ОглавлениеIch weiss wirklich nicht, warum ich noch einmal an Usks Unterricht teilnahm. Ich habe jedoch eine vage Erinnerung, daß die Stunde außerhalb der planmäßigen Veranstaltungen stattfand, daß es sich um eine besondere Zusammenkunft handelte.
Alle waren da, außer Eva. Usk war aufgeregt, und seine Unruhe steckte uns alle an. Diesmal verzichtete er auf einleitende Rituale, er sagte, er wolle direkt zur Sache kommen und mit einer praktischen Illustration beginnen. Er legte ein Hackbrett und ein Messer vor sich auf den Tisch, während er amüsiert unsere Reaktionen beobachtete. «Dies ist die Bühne», sagte er und ließ die überraschenden Requisiten eine Weile auf uns wirken, Dann bückte er sich und nahm etwas aus seiner Aktenmappe. Es war unmöglich auszumachen, was es war. Ein kleines braunes Büschel lugte zwischen Daumen und Zeigefinger hervor. Ohne weiteren Kommentar hob er das Messer und trennte mit einem raschen Schnitt den herausragenden Teil ab. Danach wischte er sich die Hände ab und ließ uns zusehen, wie sich unter den haarigen Teilen auf dem Hackbrett ein dunkler Fleck ausbreitete. Ein Mädchen schrie «Nein!» – dann sahen wir alle, was geschehen war: Usk hatte einer Maus den Kopf abgeschnitten.
«Ich habe eine Maus getötet», sagte er und fuhr fort: «Ihre Zeit auf Erden ist um. Keiner von euch konnte die Augen schließen oder den Blick abwenden. Ihr habt den Tod erblickt, den Tod, der uns ständig umgibt. Unsere Natur, unsere nordische Kultur und unsere Gesellschaft sterben allmählich ab. Die Ausbreitung der technokratischen Großunternehmen, die Übernahme der individuellen Verantwortung durch den Staat, der Materialismus mit seiner Verachtung der geistigen Reife und fester moralischer Werte, all das hat jetzt seinen Höhepunkt erreicht und zerstört unser Leben. Nun bricht eine neue Zeit an. Wir tragen die Verantwortung. Noch ist nicht alles verloren. Die Welt verblutet, aber wir sind eine kleine Schar, die mit wahnsinniger Kraft für eine reinere Zukunft kämpft. Wir haben den Mut, die Moral, die Kraft, wir haben den Glauben an eine höhere Ordnung, wir haben Respekt vor der Erde, dem Vaterland…»
So ging es noch eine ganze Weile weiter. Zuerst war es sehr unangenehm, aber man gewöhnte sich überraschend schnell an die hochtrabende Rhetorik. Die Worte und der Rhythmus, in dem sie vorgetragen wurden, besaßen eine innere Mechanik. Mir fiel auch ein, daß ich in Zeitungen und an Arbeitsplätzen auf ähnliche Vorstellungen gestoßen war. Ich kannte mindestens zwei seriöse Angestellte bei den Stockholmer Verkehrsbetrieben, die ähnliche Gedankengänge formuliert hatten, während die Kollegen über Automodelle, industrielle Luftverschmutzung, Dallas und Steuerhinterziehung diskutierten.
Trotzdem empfand ich eine leichte Übelkeit, als ich mich rasch davonmachte. Usk holte mich ein. Ohne etwas zu sagen, begleitete er mich, wir gingen die Kungstensgatan entlang, auf Sveavägen zu, wo wir in die Kungsgatan einbogen. Sein Schweigen erschien mir wie ein Auftakt.
Die Stelle, an der Olof Palme ermordet worden war, hatte man mit Gittern abgesperrt. Eine ständig wachsende Schar von Menschen stand davor, schweigend und beunruhigt. Einige weinten. Viele warfen Blumen über die Einzäunung.
«Es ist gut, daß sie trauern», flüsterte Usk. «Das reinigt. Jemand mußte für die Zukunft geopfert werden.» In seinem Gesicht war keine Spur von Trauer.
Kurz bevor wir uns auf dem Bahnsteig in der U-Bahn trennten, hatte ich eine Eingebung. «Jetzt bin ich bereit, Kelly zu treffen. Ich muß nur Zeit und Ort wissen.» Usk blickte weg. «Im Moment geht es nicht», antwortete er. «Kelly befindet sich vorübergehend im Ausland.»
Ich erinnere mich, daß ich mich leer und traurig fühlte. Ich trauerte nicht um Palme. Er war ein allzu manipulierender Politiker gewesen, als daß ich ihn hätte bewundern können. Das einzige, was ich an ihm schätzte, war die bedeutende Erweiterung des politischen «Raums» seit seinem Amtsantritt als Ministerpräsident.
Das Gefühl von Verlust hatte mit mir selbst zu tun. Der Abstand zwischen Politik, Ideologie, Mythologie einerseits und dem Alltagstrott, «meinem Leben» andererseits, wuchs mit jedem Tag.