Читать книгу Der Sarekmann - Lennart Hagerfors - Страница 21
ОглавлениеEin essen im familienkreis, vermutlich Ende März. Papa, im nagelneuen Lambswoolpullover, spricht von dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, das auf den Tod von Ministerpräsident Palme folgte. Angelica, die gerade ihren korrekten Aufzug in Rock und Bluse mit einer weichen Kombination aus Baumwollsamt vertauscht hat, kritisiert Mama, weil diese sich nicht getraut hat, den Fleischtopf kräftig zu würzen. «Schwierigkeiten bringen die Menschen oft zusammen», sagt Papa und rülpst diskret hinter vorgehaltener Hand. «Schließlich gibt es doch so viele tolle Gewürze aus Indien», sagt Angelica und läßt das Besteck auf den Teller fallen.
Ein Wolkenschatten zieht über Mamas Gesicht.
Draußen ist strahlendes Wetter, und die Sonne fällt schräg durchs Küchenfenster. Ich bin erkältet. Aus dem linken Nasenloch kommt ein rosa, mit Blut gesprenkelter Popel, aus dem rechten ein gelber, etwas festerer. In der Küche, wo wir essen, ist das Licht quälend hell. Die Fensterscheiben wirken schmutzig, Mamas Falten messerscharf, und jede Bewegung der schlaffen Haut unter Papas Kinn läßt mich an Truthähne denken. Angelicas Make-up sieht aus wie eine braune Soßenschicht. Ich selbst fühle mich bleich, durchsichtig. Es ist fast schon Frühling.
Nach dem Essen machte ich den Abwasch, Mama trocknete ab. Im Wohnzimmer erzählte Angelica Papa von einem Prozeß mit dem Finanzamt, an dem sie beteiligt gewesen war. Nach einer Weile kam sie in die Küche und fragte, warum wir nicht miteinander redeten. «Doch, wir reden ein bißchen», sagte Mama. «Aber warum so leise? Habt ihr Geheimnisse?» Mama erklärte, sie habe mich gerade gefragt, ob ich irgendwelche Sachen hätte, die geändert werden müßten. Angelica: «Du sollst nicht seine Sachen ändern! Entweder muß er das selbst tun, oder er macht es wie ich und bringt sie zu einem Schneider!»
Nach dem Abwasch bedankte ich mich für das Essen und holte meine Jacke. Angelica versperrte mir in der Halle den Weg. Warum ich jetzt abhauen müßte? Warum nicht ausnahmsweise mal die ganze Familie versammelt sein könnte? Wir müßten einander besser kennenlernen.
«Kennst du Kelly?» fragte ich sie. Das brachte sie aus dem Konzept, und sie musterte mich besorgt. Mir fiel ein, wie sie als kleines Mädchen auf dem Schulhof ausgesehen hatte: traurig und bekümmert darüber, daß die Mitschüler ihr nicht gehorchen wollten. Mit gedämpfter Stimme erklärte sie, Kelly und sie (Kelly sei natürlich nur ein Spitzname) seien sich mehrmals im Café Opera begegnet, als sie mit Kollegen unterwegs war. Bei einer Gelegenheit habe er neben ihr gesessen, und sie hätten «über alles» gesprochen. «Er ist einer der begabtesten Männer, die ich getroffen habe. Er interessiert sich nicht nur für Geschäfte, Aktien, Immobilien, sondern ist einer der wenigen Menschen, die ich in der Geschäftswelt kenne, die sich auch für soziale Fragen interessieren.»
Ich versuchte an ihr vorbeizukommen, doch sie stellte sich mir brutal in den Weg. «Woher kennst du ihn?» Ihre Betonung des «woher» und «du» verrieten sowohl echtes Erstaunen als auch Abscheu. «Ich kenne ihn überhaupt nicht», antwortete ich, drängte mich an ihr vorbei und rannte die Treppen hinunter.
Manchmal frage ich mich, ob ich ihr unrecht tue.