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Erlaubt mir, ein wenig abzuschweifen. Ich möchte etwas sagen über die – Oper. Der Exkurs handelt von meiner Stimme (was ist persönlicher als die eigene Stimme?) und von der Oper als Kunstform (was ist künstlicher als eine Operninszenierung?).

Als ich achtzehn war, trat ich einem der weniger bekannten Kirchenchöre Stockholms bei. Papa freute sich sehr darüber. Ich hatte ein «Interesse» entwickelt. Mein etwas heiserer, gewöhnlicher Tenor paßte sich treu dem traditionellen und frommen Repertoire an. Bestimmt hätte ich diesen Zeitvertreib weiter gepflegt, hätte ich nicht ein Jahr darauf die Stockholmer Oper besucht, wo man La Traviata gab. Dabei erkannte ich, daß die menschliche Stimme in der Lage war, sich auf etwas sehr viel Gefährlicheres und Prätentiöseres einzulassen. Ich lernte, daß die Verkünstelung, die bis zum Äußersten vorangetriebene Technik, überwältigende Schönheit zu erzeugen vermag. Ich lernte ganz einfach, daß es möglich war, eine Vorstellung zu genießen. Ich entdeckte einen Schalter in meinem Bewußtsein, mit dessen Hilfe ich zwischen den Stimmungslagen schwülstig/tragisch, banal/genuin, Gefühlsduselei/Gefühlsstärke wechseln konnte. Genau im Moment des Umkippens jagten mir Schauer den Rücken hinunter. Die verschiedenen Stimmungslagen bedingten einander.

Diese Entdeckung wurde mir vermutlich durch das Verhalten des Publikums an jenem Abend möglich. Zunächst erregte ein arroganter junger Mann, vermutlich ein Geschäftsmann, meine Aufmerksamkeit, der kurz vor Beginn der Vorstellung seine Begleiterin – eine zwitschernde Blondine mit vollen, feuchten Lippen – über die Mitwirkenden informierte. In theatralischem Flüsterton berichtete er, der Bariton, Vater Germont, sei der beste Sänger der Aufführung, doch er sei ein Trinker und kaum imstande, Noten zu lesen. Die Sopranistin verachte den Tenor wegen dessen Mangel an Musikalität und Bühnenpräsenz. Der Dirigent, im übrigen ein fähiger Maestro, leide an einer Phobie: er fürchte, es werde ihm nicht gelingen, dem Orchester den richtigen Einsatz zu geben. Der kleine Ansatz beim Heben des Taktstocks mache ihm angst.

Ich begriff plötzlich, daß es «Stimmen» waren, denen ich lauschen würde, daß das Orchester aus einer Reihe von Instrumenten bestand, bearbeitet von Leuten, die in den Stockholmer Vororten oder vielleicht in der Südstadt wohnten. Der Dirigent, der ihr Zusammenspiel eingeübt hatte, saß jetzt möglicherweise auf dem Klo, völlig außer sich, die Hosen heruntergelassen.

Natürlich gab er dem Orchester den richtigen Einsatz. Aber ich meinte eine deutliche Unsicherheit in den ersten spröden Tönen der Geigen zu vernehmen. Der Tenor schrie eher, als daß er sang. Die Stimme des Baritons kam aus dem Bauch, und die Sopranistin warf sich in der Schlußszene mutig auf den Boden und starb. Neben mir saß ein Mann in den mittleren Jahren, im dunklen Anzug und mit südeuropäischem Aussehen, und summte fast während der ganzen Vorstellung eine eintönige Melodie. Sie klang folkloristisch und ließ an den Nahen Osten, Griechenland oder die Türkei denken. Schräg hinter mir saß ein dicker Onkel und verzehrte geräuschvoll Äpfel und Nüsse, und bei den Liebesduetten stöhnte der arrogante Nachbar an meiner anderen Seite in halb liegender Stellung auf seinem Stuhl. Zuerst dachte ich, er leide unter dem Gesang, bis ich entdeckte, daß die Hand der Blondine sich unter seinem Hemd bewegte. Es sah aus, als krieche ihm ein kleines Haustier auf dem Bauch herum.

Meine gesamte Aufmerksamkeit wurde geschärft. Eine unbändige Munterkeit überkam mich. Alles erhielt eine gesteigerte Intensität. Ich selbst pendelte zwischen Abscheu und Ergriffenheit. Es war, als steuere die Aufführung auf einen Zusammenbruch zu und als sei eine große Freiheit möglich. Mich überkam eine große Lust, selbst zu singen.

Die Oper ist eine schändlich prätentiöse Kunstform mit einem Publikum, das oft aus enthusiastischen Tanten und mäkeligen Onkels besteht. Schamlos beschlagnahmen sie Musik, Dramatik, Poesie, Epik und Tanz, alles im Kolossalformat. Das Bühnenbild besteht meist aus grotesken Ablegern der bildenden Kunst. Kurz gesagt, es ist eine schmutzige Kunstart.

Ich begann, Gesangsunterricht zu nehmen. Mein Lehrer behauptete, in mir stecke eine große Stimme. Er klopfte an meine Brust, legte seinen Kopf daran und hörte sich einige Tonleitern an. Er boxte mich in die Bauchmuskulatur, maß meine Schädelform und spähte in meinen Rachen. «Dort unten sehe ich den großen Klang», sagte er, packte mich an den Schultern und schüttelte mich, so daß seine eigene mächtige Haarmähne wogte. «Honig und Tränen! Vertrauen Sie mir!»

Aber ich vertraute ihm nicht. Und das tat auch kein anderer. Als ich bei ihm aufhörte, war ich sein letzter Schüler. Seine Worte über den großen Klang kann ich jedoch nicht vergessen.

Dies alles hat Bedeutung. Der Traum, einmal in eine Oper eintreten, mich der Verstellung und Lüge anheimgeben zu dürfen, hat mich niemals verlassen.

Der Sarekmann

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