Читать книгу Der Sarekmann - Lennart Hagerfors - Страница 4

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Ich bin der sarekmann. Heute, an diesem messerscharfen Spätsommertag im Jahr der Unwirklichkeit 1986, habe ich zum erstenmal entdeckt, daß man mich in der Druckerschwärze der Tagespresse den Sarekmann getauft hat. Ich bin ein Phantom, ein entfernter Verwandter des Phantombilds von Olof Palmes Mörder in den Zeitungen und auf den Plakaten der Polizeifahndung, ja, ich bin ein Phänomen, ähnlich dem radioaktiven Niederschlag in der schwedischen Fjällwelt: ich existiere, habe aber kein Gesicht, es gibt mich, doch man kann mich nicht anfassen.

Ich will erzählen, wie ich zu diesem öffentlichen Gespenst geworden bin, in jenem Jahr, als sich alles in einen endlosen Sumpf verwandelte, in dem wir von Grasbüschel zu Grasbüschel sprangen, um nicht hilflos im Bodenlosen zu versinken.

Der Raum, in dem ich mich befinde, mißt 3 × 4 × 2,5 Meter. Die Klimaanlage rauscht leise, und ich höre den fernen Verkehrslärm von der Straße tief unter mir. Die Luft ist sehr trokken. Ich bin in Untersuchungshaft, unter dem Verdacht, im Sarekfjäll einen Menschen ermordet zu haben. In den einleitenden Verhören wurde ich beschuldigt, Fakten zu vertuschen und frei zu erfinden, und außerdem unterschlage ich angeblich Informationen über eine, wie es heißt, «fundamentalistische, religiös-ökologische Organisation namens Arche, deren Programm terroristische Anschläge nicht ausschließt».

Mein Dasein müßte sich wohl eigentlich im Zustand der Auflösung befinden. So ist es aber nicht. Dieses Stadium liegt hinter mir. Unter der Obhut der staatlichen Polizeibehörden habe ich paradoxerweise wieder festen Boden unter die Füße bekommen. Eingesperrt in diesem kleinen Raum, kann ich wieder anfangen, die handfeste Wirklichkeit um mich herzu begreifen: Bett, Tisch, Stuhl. Jeden Tag übe ich mich darin, die Namen der Dinge zu buchstabieren.

Zugleich muß ich mich aber auch in diesen Sommer zurückschreiben, als ich durch eine Wirklichkeit hetzte, in der sich bei jedem Schritt unter mir eine Falltür auftat. Ich muß diese Geschichte selber schreiben, mein eigenes Kartenblatt vorlegen, da sich der von der Presse begonnene Bericht über den Sarekmann schon im Augenblick seiner Entstehung aus einer erfundenen in eine öffentliche Geschichte verwandelt. Ich will nicht zulassen, daß sie die Erzählung ganz und gar an sich reißen, sie nach ihrem Gutdünken ausdeuten, sie mit einem Ende und einem Sinn ausstatten, den sie überhaupt nicht hat. Ich will nicht, daß ihre zusammengeschusterte Erklärung des Hergangs, ihr «Verständnis», die Erzählung in eine versöhnliche Synthese zwingt, sie mit einem nicht vorhandenen Sinn versieht.

Ich selbst habe keine Wahrheit anzubieten. Ich habe keine Wahrheit, kein Ganzes gefunden. Alles, was ich fand, war ich selbst inmitten einer Erzählung.

Der Sarekmann

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