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So fuhr sie, die Peitsche kampfbereit in der Rechten, durch die schnell einfallende Dunkelheit, immerzu nach hinten lauschend. Übrigens wenn sie sich hatte einreden wollen, sie bildete sich die Hufschläge hinter sich nur ein, dann war das jetzt vorbei. Klack, klack, klack – sie hörte sie jetzt sehr deutlich, sehr nahe, nicht immer, aber oft. „Vorwärts. Schnick und Schnack! Lauft, was ihr könnt, vielleicht begegnen wir doch jemandem, der uns hilft.“

Die Ponys liefen. Sie liefen sehr sicher, schienen im Dunkeln gut sehen zu können. Pölze wagte nicht, anzuhalten und die Wagenlaternen zu entzünden, was längst hätte geschehen müssen. Berti schien eingeschlafen zu sein. Während des Kutschierens zog sie ihre Jacke aus – an ein anderes Kleidungsstück reichte sie von ihrem Sitz aus nicht – und legte sie um ihn. Es war jetzt kühl, kalt. Ja sogar empfindlich kalt. Und immer noch keine Lichter eines Dorfes vor ihr!

Bestimmt fuhr sie falsch, nun schon eine ganze Weile. Während sie das dachte, wurde ihr bei aller Kälte heiß vor Schreck. Die einzige Chance, die ihr blieb, war ja, so bald wie möglich in die Nähe von Menschen zu kommen. Wenn sie aber auf diesem vermaledeiten Waldweg weit um alle Ortschaften herumfuhr, die halbe, die ganze Nacht hindurch vielleicht?

Jetzt fühlte sie doch, wie die Angst und das Entsetzen sie überwältigen wollten. So ein Strafgefangener ist ja auch kein herzig-freundlicher Mitmensch, an dessen gute Seiten man appellieren könnte. Sie befand sich in wirklicher Gefahr, sie und ihre Kinder.

Mit einem plötzlichen Entschluß parierte sie durch.

„Haaaaalt! Oho, steh!“ befahl sie halblaut, die Zügel anziehend. Die Isländer gehorchten. Pölze wandte sich um. Lieber der Gefahr ins Auge sehen, als weiter so im Dunklen vor sich hin hasten und jetzt – und jetzt – gewärtigen, daß einem einer über den Kopf haute ...

„Kommen Sie ran! Was wollen Sie von mir?“ fragt sie halblaut, drohend. Jetzt, da die Isländer standen, hörte sie den Aufschlag des Reiters ganz genau hinter sich näher kommen. Er trabte, sie konnte es genau unterscheiden. Galopp ist ein Dreiklang, und für Schritt war es zu schnell.

„Also? Was haben Sie hier zu suchen?“ Berti schien dadurch aufgewacht zu sein, daß sie anhielt. Wie heißt es doch im Sprichwort? „Wenn die Mühle stillsteht, wacht der Müller auf.“

„Papa?“ sagte er. Es klang fragend. Pölze schnürte es den Hals ab. „Ja, wenn dein Papi hier wäre, kleiner Berti ... Aber auch deine Mutter ist dir Schutz und Schirm, glaub mir das. Sie läßt dir nichts tun, darauf kannst du dich verlassen. Deine Mutter hat keine Angst.“

Ohne weiter zu denken, sprang sie vom Wagen und erwartete den Reiter. Sie sah ihn jetzt ganz gut, ihre Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, und es war keine pechschwarze Nacht. Wahrscheinlich würde auch der Mond bald kommen. Pölze hatte die Zügel fest um den Griff der Bremse gewickelt und ging dem Heranreitenden die letzten Schritte entgegen, faßte schnell in den Zügel.

„So. Was wollen Sie von mir?“

„Pölze, du?“

Kornelias Stimme! Pölze hatte einmal einen Film gesehen, da wurde die Szenerie von einem wildschießenden MG zu einem still im Bett schlafenden Kind überblendet. Sie hatte dies längst vergessen und dachte jetzt sekundenlang wieder daran. So war ihr zumute. Kornelia! Kornelia war der Reiter!

„Menschenskind, was machst du denn hier?“ war das erste, was sie herausbrachte, und Kornelia lachte: „Wir haben sie bis auf Kronos! Den aber finden die Männer bestimmt noch, außer der Gefangene hat ihn genommen. Und wie ich dich gefunden habe? Tina hat mich geführt. Dort, wo du falsch abgebogen bist, blieb sie stehen und jaulte, bis ich diesen Weg ritt. Großartig, nicht? Ja, Tina soll leben, sonst ritte ich, wahrscheinlich sonstwo und hätte dich nie eingeholt. Übrigens, wo ist sie jetzt? Tina! Tina!“

Das zweitemal rief sie laut. Beide horchten.

„Da“, sagte Pölze dann leise. Man hörte ziemlich entfernt die Hündin jappen und dann anschlagen, aufgeregt, wild.

„Die jagt! So klingt das, wenn ein Hund hetzt! Ich denke, sie ist sicher?“

„Tina jagt nie!“ rief Kornelia außer sich. „Nie! Das wäre was, wenn Tina jagte, wo bei uns so viel Wald ist. Die Förster würden sie mir ja sofort abknallen. Nein ...“

„Aber hörst du denn nicht ...“

Wieder lauschten sie beide.

„Ich muß hin. Ich muß zu ihr“, sagte Kornelia.

Pölze sah in der Dämmerung, wie blaß sie aussah. „Hast du eine Taschenlampe? Für alle Fälle, es wird ja jeden Augenblick dunkler, und im Wald erst recht.“

„Ja, hier.“ Pölze hatte eine aus dem Wagen geholt und gab sie der Jüngeren. „Ich warte hier. Von Zeit zu Zeit rufe ich, oder ich pfeife, damit du mich findest ...“ Kornelia mußte ja quer durch den Wald reiten. Sie nickte, und weg war sie.

Pölze wartete. Die Erleichterung, daß es Kornelia war und kein entsprungener Häftling, legte sich wie eine schwere Müdigkeit über sie. Sie setzte sich in den Wagen und stützte die Stirn in die Hand. Eine Weile, sie wußte nicht, wie lange, war sie wie abwesend, wie in einem Dämmerschlaf. Gleich darauf hörte sie brechende Zweige, Stampfen, Keuchen, und Kornelia war wieder da.

„Hast du sie?“ rief Pölze.

„Ja, hier ist sie. Du, wir müssen ihr viel abbitten, denk nur –“

Kornelia konnte kaum sprechen, so atemlos war sie. „Sie hat ein Reh gefunden, ja, aber weißt du, wie. Nicht gehetzt, ich sagte ja, sie hetzt nicht! Es hing in einer Schlinge! Daß es immer noch diese verfluchten Wilddiebe gibt, die Schlingen legen! Am Waldrand, dort –“, sie deutete mit der Gerte, „– hatte einer eine Drahtschlinge gelegt, und das Reh hing mit dem Hals drin. Das hatte Tina gefunden. Ich kam noch zurecht, habe es befreien können. So eine Gemeinheit! Nicht nur, daß sie die Rehe umbringen aus lauter Habsucht, sie tun es auch noch auf so schreckliche Art. Ich könnte solche Leute durchprügeln!“

„Das hätten sie weiß Gott auch verdient“, sagte Pölze grimmig.

„Und du hast die Schlinge aufbekommen?“ Ihre Stimme klang tief und empört, sie war nicht umsonst die Frau eines Waidmannes. Nichts haßt ein Jäger so sehr wie das Quälen der Kreatur.

„Ja, ich habe doch so ein Taschenmesser mit zehnerlei dran, mit Schere und Zange, Korkenzieher und dem allen. Manuel hat es mir zu Weihnachten geschenkt“, erzählte Kornelia. „Da hab’ ich den Draht durchknipsen können. Es war fast unverletzt, das Reh, und sprang sofort ab. Ach Pölze, wie gut, daß Tina es fand. Und wir dachten, sie hetzt.“

Sie war abgesprungen und liebkoste die Hündin zärtlich. Auch Pölze war sehr froh.

„So, jetzt fahre ich mit dir“, sagte Kornelia und band ihren Isländer an den Wagen, „gottlob, nun kommen wir endlich zur Ruhe. Nie im Leben dachte ich, als ich hinter dir ritt, daß du mich hören könntest und etwa annähmst, ich wäre der Leibhaftige!“

„Das nicht. Aber der Gefangene, das dachte ich doch. Das lag doch wahrhaftig nahe! Wer reitet denn sonst nachts durch die Gegend. Na, Hauptsache –“

„Hauptsache, du hast mir keine übergehauen, sondern dich höflich erkundigt, wer da kommt“, lachte Kornelia. Sie waren beide so froh und glücklich und erleichtert wie noch nie im Leben – glaubten sie. Kornelia kuschelte sich an Pölze, die hatte die Zügel wieder losgemacht und trieb ihre beiden PS an. Ach, wie wunderschön war es doch, endlich wieder beisammen und aller Gefahr entronnen zu sein.

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