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Am andern Morgen erschien Ulrich Thorwald gegen zehn Uhr wieder in Niederwerth, sah nach seinem Isländer, fütterte ihn mit Mohrrüben und striegelte ihn anschließend. Bertram hatte den jungen Mann gesehen und gesellte sich zu ihm. Sie schlenderten miteinander weiter.

Jetzt gab es nicht allzuviel Arbeit in der Landwirtschaft, man hatte Zeit. Bertram trug die Büchse am Riemen über der Schulter und das Glas um den Hals. Das war nichts Außergewöhnliches, zum Gut gehörte eine Jagd.

„Sie arbeiten mit Strafgefangenen?“ fragte Thorwald schließlich, als sie eine Weile geschwiegen hatten. „Kornelia erzählte mir davon.“

„Ja. Man bekommt keine Feldarbeiter mehr. Das, was man früher Tagelöhner nannte. Einiges von der Arbeit, die sie leisteten, kann man mit Maschinen machen, aber nicht alles. Deshalb.“ Bertram schwieg abwartend.

„Ist das nicht – ich meine, es kann recht gefährlich sein, oder? Im September, als ich Ihre Frau und Kornelia kennenlernte, war gerade einer bei Ihnen entflohen, erzählte sie mir.“

„Haben Sie es gelesen?“ fragte Bertram nun geradezu. Thorwald sah ihn an.

„Ja.“

„Es ist derselbe“, sagte Bertram mit einem Entschluß. Er hatte noch mit keinem Menschen davon gesprochen. „Der, der damals hier dem Fachmann durchbrannte, ist jetzt aus der Strafanstalt ausgebrochen. Wie, das ahne ich nicht. Vorgestern stand es in der Zeitung. Ich hoffe, meine Familie hat es, durch die Reise der beiden und Ihre Ankunft und das Durcheinander, das gestern herrschte, nicht gelesen. Ich möchte Sie auch bitten, Herr Thorwald, nicht darüber zu sprechen.“

„Wäre es nicht besser, sie wüßten es?“ fragte der andere vorsichtig.

Bertram zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht. Es kann so und so richtig oder verkehrt sein. Meine Überlegung ist die: Die Frauen kommen jetzt nicht viel ins Freie, sind also nicht unbedingt gefährdet. Mit dem Hofmeister habe ich gesprochen. Vielleicht wird er bald erwischt, und ich kann es hinterher erzählen. Ich möchte meine Frau jetzt nicht unnötig belasten ...“

Sie gingen nebeneinanderher, langsam, beide in Gedanken.

„Haben Sie deshalb ..., sind Sie deshalb bewaffnet?“ fragte der Jüngere ein wenig scheu nach langem Schweigen. Bertram lächelte verhalten.

„Man kann es so nennen. Natürlich nicht nach außen hin, nach außen lauere ich auf Rebhühner oder Enten. Es fällt deshalb nicht auf. Aber auch sonst ... Ich habe damals, als wir ihn festnahmen, keine Waffe gehabt. Er hatte eine. Diesmal hat er, soviel ich aus der Zeitung entnahm, keine. Nun, warten wir ab.“

„Meinen Sie, er ... ich meine, ob er hier in der Nähe ist?“ fragte Thorwald. Bertram hob wieder die Schultern.

„Wer kann das wissen? Vielleicht ist er schon in Hamburg, vielleicht sitzt er im Keller eines Hauses dicht neben der Strafanstalt. Er hat mich damals, als ich ihn stellte, beschworen, ihn laufenzulassen. Beschworen und dann bedroht. Nun, das Drohen gab den Ausschlag, damit hatte er bei mir verspielt. Durch Bitten hätte ich mich vielleicht erweichen lassen. So: Einmal straffällig geworden, nie wieder, an die eigenen Kinder denken, denen ähnliches passieren kann, und so weiter. Aber als er drohte, merkte ich, wes Geistes Kind er war. Und da gab es keine Gnade bei mir.“

„Sie sollten vorsichtig sein, Herr Werth“, sagte Thorwald leise. „Wenn er Sie bedroht hat ...“

„Wie – vorsichtig?“

„Nicht allein hier umhergehen, nicht ...“ Er brach ab, Bertram lachte.

„Ich bin ja bewaffnet, wie Sie es nennen.“

„Ja, aber ...“ Der Jüngere schwieg etwas verzagt.

„Was würden Sie denn tun, Herr Thorwald, wenn Ihnen etwas Ähnliches passierte? Sich hinter dem Ofen verkriechen? Na, sehen Sie.“

Thorwald lachte ein wenig geniert. Sie gingen weiter.

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