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Verliebte Leute – in diesem Augenblick hörte man im Hof ein schrilles Wiehern, und Kornelia stürzte ans Fenster. Gleich darauf verließ sie das Zimmer schnell wie die Kugel das Rohr.

„Das wird wohl der Froschkönig sein“, sagte Pölze, „ich habe mich schon gewundert, daß wir ihn nicht zufällig unterwegs trafen.“

Er war es. Kornelia brachte ihn nach einer Viertelstunde glücklich, atemlos und ein wenig zerrauft ins Zimmer. Sie wußte nun auch seinen richtigen Namen: Ulrich Thorwald, und stellte ihn der Familie als „Pölzes und mein Reisebekannter“ vor. Er war mit seinem Isländer auf einer größeren Tour, wie er erzählte, und wollte bescheiden anfragen, ob er ihn hier vielleicht für eine Nacht unterstellen könnte.

„Meine Übernachtungen richten sich natürlich immer danach, ob ich ihn unterbringe oder nicht“, erklärte er. „Mit Koffer und Auto zu reisen ist wesentlich einfacher. Aber nicht so schön.“

Bertram sagte es ihm freundlich zu, Thorwald bedankte sich und ging gleich daran, sich ein Zimmer für die Nacht im Dorfgasthaus zu besorgen.

„Zum Nachtessen sind Sie aber bei uns“, sagte Pölze noch. Er strahlte sie an. Kornelia ging mit ihm, sein Pferd auf die Koppel zu den anderen Isländern zu bringen.

„Das ist doch ein abgekartetes Spiel“, sagte Frau Kayser, den beiden nachschauend, und Pölze lachte:

„Natürlich. Aber warum nicht? Die beiden – er führt mit einem Freund zusammen ‚Klein-Island‘, das Ponytrekking, das immer in den Zeitschriften annonciert, und hat uns alles gezeigt. Ich habe mich schon gewundert, daß wir ihn heute nicht unterwegs trafen.“

„Und Kornelia?“ fragte Frau Kayser. Ihr Ton klang so unheilvoll, daß alle lachten.

„Ist natürlich verliebt bis über ihre hübschen kleinen Ohren“, gab Jupp trocken von sich. „Der Mann ist jung, sieht gut aus, hat Manieren und reitet. Bitte. Wann, geliebte Schwester, sollte sie sich wohl verlieben, wenn nicht jetzt mit ihren holden siebzehn Jahren? Gibt es ein schöneres Alter?“

„Sie ist viel zu jung. Ihr wißt nicht, was für ein Kind sie noch ist“, jammerte die Mutter, erntete damit aber nichts als einen großen Lacherfolg.

„Kennst du das Lied ‚Ihren Schäfer zu erwarten ...‘?“ fragte Pölze lustig. „Da küßt die Mutter die Tochter wach, die, in Erwartung eines Rendezvous, im Garten eingeschlafen ist. Eigentlich recht unglaubhaft, denn da schläft man nicht ein, sondern ist hellwach. Egal, sie war es, und die Tochter, ihrem Schlummer sanft entrissen, ruft:

‚O Damöth,

Warum kommst du heut so spät?‘

Womit sie sich also verrät. Die Mutter, zornig, betrogen zu sein, droht der Tochter, sie ins Kloster einzusperren, wo sie für immer zu bleiben habe.

‚Kloster ist nicht mein Verlangen‘, singt darauf das kleine Herzchen, ‚bist ja selbst nicht reingegangen ...‘“

„Ach, bei uns damals war das ganz anders“, sagte Frau Kayser ärgerlich, „das ist kein Vergleich. Bei uns ...“

„Na? Wie war es denn da?“ fragte Pölze listig.

„Da traft ihr euch hinterm Strohfeim, und ich mußte Schmiere stehen, damit es die Eltern nicht merkten“, grinste Jupp. Frau Kayser wollte wütend widersprechen, sah jedoch die lachenden Gesichter ihrer Brüder und machte eine resignierende Handbewegung.

„Aber es war anders“, beharrte sie.

„Gott sei Dank. Wenn es sich immer in der gleichen Art wiederholte, wäre es ja stinklangweilig“, sagte Bertram behaglich. „Die ewigen Variationen über das Thema Liebe sind es doch, die das Leben reich machen. Möchtest du eine einzige Erinnerung von damals, als du dich mit deinem Mann hinterm Strohfeim trafst, missen? Na also.“

Ulrich Thorwald erwies sich als netter, angenehm bescheidener junger Mann. Er saß bei Tisch zwischen Pölze und Frau Kayser, Kornelia gegenüber, und ließ sich freundlich ins Gespräch ziehen. Ja, er studierte, dieses Wintersemester wahrscheinlich in Bonn, ja, er habe bisher – „Bisher?“ dachte Pölze – bei seinem Freund gewohnt, der „Klein-Island“ führte. Ja, er stünde ziemlich dicht vor dem Examen. Nein, die Reiterei habe er nur als Ferienhobby betrieben, es sei ja schließlich kein Beruf für einen ausgewachsenen Mann, Kinder, Jugendliche und dickbebauchte Alte auf Isländer zu heben oder ihre Zimmer aufzuräumen. Sein Freund habe sich jetzt eine weibliche Hilfskraft zugelegt, und so hätten sie sich getrennt.

Kornelia bekam Tütenohren, die jedes Wort aufzufangen sich bemühten, während sie mit artig gesenkten Augen ihre Suppe löffelte. Pölze fragte weiter, dies und das, sie fand es praktisch, daß Frau Kayser gleich mithörte. Später saßen sie am Kamin, und Bertram hatte die Ziehharmonika geholt. Er war der einzige der Geschwister, der ein wenig von der Muse der Musik geküßt war; sie horchten ihm alle gern zu, und wenn er ein bekanntes Lied spielte, wurde auch mitgesungen. Man trennte sich nicht allzu spät, Landbewohner sind keine Nachtunken. Frau Kayser nahm Thorwald im Auto mit bis zum Gasthof. Er fragte noch zuletzt, einige Hemmungen rackartig überwindend, ob Kornelia morgen nach der Schule ein wenig mit ihm reiten dürfe. Natürlich, gern. Danke, danke. Dann also – gute Nacht. Mutter und Tochter fuhren weiter, beide schweigend. Nach einer Weile fand Frau Kayser dieses Schweigen gar zu beredt.

„Ein netter Kerl, dieser Thorwald“, sagte sie, um Kornelia eine Freude zu machen, „nett und gescheit.“

„Ja“, antwortete Kornelia. Das war nicht eben viel.

„Und sein Pferd?“ fragte Frau Kayser also. Jetzt wurde Kornelia gesprächig.

„Wallach, Rotschimmel, ziemlich massig. Bin ihn schon geritten. Achtjährig. Ich weiß nicht, ob er ihm gehört oder ihm und dem Freund zusammen. Als wir die beiden kennenlernten, machten sie noch gemeinsame Sache. Jetzt scheinen sie sich ja zerstritten zu haben. Die Unterkunft der lsländer dort gefiel mir übrigens gar nicht sehr ...“ Sie erzählte weiter. Viel von den Pferden, vom Reitersmann nichts.

„Nun, so hält man es wohl mit siebzehn Jahren“, dachte Frau Kaiser und versuchte, sich damit zu bescheiden. Aber daß die andern so über sie gelacht hatten, als sie Kornelias Verliebtheit sahen, fand sie auch jetzt noch empörend. Welche Sorge hatte eine Mutter heutzutage. „Na wartet, wenn es euch erst mit euren Kindern so geht!“

Aber zwei ihrer Brüder hatten ja noch keine, und Bertram und Pölze nur Söhne. Mit Söhnen ist es ganz anders, viel leichter – das heißt, wenn sie an Martin dachte ...

Mit diesen Überlegungen ging Frau Kayser zu Bett, überzeugt davon, nicht eine Minute schlafen zu können. Jedoch nach zwei Minuten bereits hatte das Sandmännchen – oder war es Morpheus persönlich – sie überwältigt. Sie war eine Landfrau, und deren Tag ist lang und anstrengend.

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