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Dünner Nebel lag über der Weite, als die junge Familie Werth im neuen Ponywagen das Dorf verließ. Es war noch früh, die Luft kalt, lebendig und ein klein wenig feucht. Der Wald zur Rechten, ein Stück von der Straße zurückliegend, fing schon an, sich zu färben, der Himmel schien klar oberhalb des Nebels. Pölze atmete tief.

„Komm, laß mich!“

Bertram gab ihr bereitwillig die Zügel. Und als sie die in den Händen spürte, straff zwischen Ring und kleinem Finger aus der Faust kommend, fühlte Pölze wieder einmal sekundenlang, daß sie glücklich war, randvoll, zersprengend glücklich. Solch einen Mann zu haben, dazu einen gesunden Sohn, ein weiteres Kind auf dem Wege, und mit all diesen Geliebtesten auf einer Reise zu sein im Ponywagen, der Heimat ihrer Kindheit entgegenfahrend – schöner konnte es wohl nie kommen im Leben. Sie seufzte tief auf.

„Das kam von Herzen“, sagte Bertram behaglich, während er sie von der Seite betrachtete, diese seine rotbackige junge Frau, „ich gäbe was drum zu wissen, wem dieser Seufzer galt.“

„Das wirst du nie erfahren“, erwiderte Pölze und sah geradeaus, „weißt du übrigens, ob sie autosicher sind? Dahinten ...“

Sie befanden sich noch auf der Bundesstraße, wollten erst nach etwa einem Kilometer rechts abbiegen und von da an Nebenstraßen benutzen. Schnack, der rechts ging, hatte den Kopf ein wenig gehoben und blähte die Nüstern. Er würde doch nicht ...

Nein, er machte keinen Rabatz. Der Autofahrer hatte auch rücksichtsvoll das Gas weggenommen, da er ein Gefährt auf der Straße sah, das anders war als die üblichen. Langsam fuhr er, zu ihnen herblickend, an ihnen vorbei. Die beiden nicht kleinen Ponys waren wirklich auffallend schön. Pölze sollte auf der weiteren Reise immer wieder erleben, daß jeder ihnen nachstarrte, jeder zweite ihnen zuwinkte und beinahe jeder vierte ihnen etwas nachrief. Kein Mensch ist mehr an Pferdewagen als Fortbewegungsmittel gewöhnt.

„Merkwürdig, daß wir so merkwürdig sein sollen“, sagte sie nachdenklich und beschrieb mit der Peitsche ein paar kleine Kreise in der Luft, „früher – ungefähr zweitausend Jahre lang – sind die Menschen mit Pferden gefahren oder geritten. Nun ist dies seit einer, seit zwei Generationen überholt, und schon hat man Seltenheitswert. So kurz ist das Gedächtnis der Menschheit.“

Die Abzweigung war gekommen, und Pölze lenkte nach rechts. Sie merkte selbst, wie sie sich entspannte: Dies waren die richtigen Wege für solch ein Gefährt. Ein wenig rumpelte es; Berti strampelte vergnügt mit den herabhängenden Beinchen. Am Waldrand angekommen, parierte Pölze durch, gab Bertram die Zügel hinüber und sprang vom Wagen. Sie hatte Brombeeren entdeckt.

„Da, die kannst du gleich essen und dich herrlich damit beschmieren“, sagte sie und füllte gleichzeitig Bertis vertrauensvoll hingereichte kleine Faust, „ganz, ganz frisch, ach, und so herrlich süß! Probier du auch mal eine Beere, großer Berti –“ Sie schob ihrem Mann eine besonders dicke Beere zwischen die Lippen.

„Und Pilze gibt’s auch.“

„Jetzt werden keine Pilze gesucht!“ rief Bertram in komischem Entsetzen. „Nein, Pölze, damit fängst nicht erst an!“ Er kannte seine junge Frau. „Wir wollen doch zum Rosenhof fahren und nicht jetzt loslaufen und uns von einem Pilz zum andern locken lassen. Wie hat der Wolf zu Rotkäppchen gesagt? ‚Aber geh nicht vom Weg ab ...‘“

„Unsinn, das hat die Mutter gesagt.“

„Woher denn, die Großmutter zum Jäger, und Jäger gehen mit Vorliebe vom Pfad der Tugend ab. Weißt du das nicht? Ihre Schutzpatronin ist die keusche Diana, aber sie selbst ...“

„Moment, das sind ja nette Geständnisse. Wo haben wir uns in Liebe gefunden, erinnerst du dich? Ich habe in Erinnerung: bei einer Treibjagd auf dem Rosenhof. Du warst selbst Teilnehmer und mußt es also wissen.“

„Ich? Wie kommst du denn darauf?“

Pölze war wieder aufgesprungen und hatte ihm die Zügel abgenommen. Schnick und Schnack fielen in Trab. In der Ferne tauchte ein Dach auf. Bertram, froh ob der Ablenkung, deutete darauf.

„Dort werden wir Rast finden, für eine halbe oder eine ganze Stunde. Der Wirt hat einen eingefriedeten Grasgarten hinter dem Haus. Hast du keinen Appetit auf heiße Milch?“

„O ja.“ Sie hielten, Pölze hob Berti heraus und ließ ihn laufen, während sie mit Bertram zusammen die Ponys ausspannte. Und dann saßen sie in der Sonne vorm Haus, in altmodischen Korbsesseln, die immerzu quietschten und stöhnten, wenn man sich ein bißchen bewegte, aßen selbstgeernteten Honig auf dunklem Brot und tranken Milch dazu, und dann rauchte Bertram, was er sehr selten tat, eine Zigarre.

Es war ein Ferienidyll von bemerkenswerter Vollkommenheit.

„Auf der ganzen Welt“, meinte er nach langem Schweigen, „gibt es zur Zeit einen einzigen Menschen, den ich beneide, und das ist Bertram Werth. Übrigens, da fällt mir ein, ich habe vergessen, Jupp zu sagen ...“ Er erhob sich und ging ins Haus. Pölze blinzelte und schloß dann die Augen. Sie schlief ein, schnell wie ein Kind, und wachte aus tiefster Versunkenheit erst auf, als Bertram sie sachte an der Schulter rüttelte.

„Wach auf, Pölze, ich würde dich gern schlafen lassen, aber ... kannst du nicht aufwachen?“

„Ja, ja.“ Es klang traurig und widerwillig, als wollte sie nicht aus dem Traum gerüttelt werden, dem Traum, den sie, wachend oder schlafend, so hatte träumen dürfen: Bertram einmal ganz allein für sich zu haben. Nachgeholte Hochzeitsreise – ach ja. Es war, als ahnte sie, was kam.

Nein, sie ahnte es nicht, jedenfalls nicht bewußt. Keiner hatte das geahnt.

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