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ОглавлениеUnd wenn er nicht gestorben ist, so hält er dort noch übermorgen“, sagte Onkel Hipp, der links neben dem Ponywagen herfuhr, zum Fenster hinaus. „Koko, du bist, glaube ich, schlimmer als Svea und Pölze zusammen; sprich, schlimmer als Pech und Schwefel. Armer Rosenhof, was für eine Laus wird dir da in den Pelz gesetzt!“ Dabei lachten seine Augen hinter der Brille vor Entzücken. Nichts fand Onkel Hipp schöner als verliebte Jugend.
Pölze saß ganz still und ließ die Ponys traben. Sie sah ringsum, wie alles bekannter wurde. Jetzt grüßte schon jeder Kirchturm, der in näherer oder weiterer Entfernung auftauchte, wie ein alter Vertrauter zu ihr herüber. Hier hatte sie einmal ein Turnier mitgeritten – überall gab es ja in dieser Gegend jene kleinen, ländlichen Turniere, bei denen man sich die Sporen verdient –, dort einen Geländeritt.
Jetzt kam das Dorf, in dem einmal eine Stutenschau stattfand, zu der sie mit Svea ritt, mit sieben Pferden – keine einfache Angelegenheit. Sie bekamen dann zwei erste und vier zweite Preise. Onkel Hipps Zucht galt schon etwas in der Umgebung. Hoffnungsschimmer war damals dabei, die Stute, die am Tage des Waffenstillstandes geboren wurde und die Onkel Hipp nicht verkaufte, gerade weil sie so hieß und ihm damals, in allerdunkelster Zeit, einen Schimmel von Hoffnung schenkte ...
Würden Berti und seine Geschwister auch solche Erinnerungen sammeln, unvergeßliche Kleinigkeiten mitunter, aber dennoch – oder gerade deshalb – so kostbare? Sie sah ihren kleinen Sohn an, er saß jetzt neben ihr auf Tante Ulles Schoß, zutraulich an sie geschmiegt, und nagte an einem Stück Kuchen, das sie ihm gegeben hatte. Und jetzt –
Nein, es war nicht die Zeit, sich solchen Überlegungen hinzugeben, wahrhaftig! Jetzt schrie es „hurra“ und „hoch“ am Straßenrand, und Volker und Thomas stürzten hervor. Sie hatten auf der Lauer gelegen und kletterten in den fahrenden Wagen.
„Nein, seid ihr so weit gelaufen?“ wunderte sich Pölze, die die Sache genau durchschaute: Onkel Hipp hatte sie mit dem Auto bis hierher mitgenommen und hier ausgesetzt, damit sie den Ponywagen überfallen konnten. Sein verschmitztes Gesicht verriet genug.
Pölze hatte die Jungen fast ein Jahr nicht gesehen. Volker war sehr gewachsen, mager, mit den herausstehenden Gelenken, die Jungen in diesem Alter haben, während Arme und Beine dünn bleiben. Er war zehn, hatte seines Vaters schmalen Kopf und seine gescheiten Augen. Früher blond, dunkelte er jetzt stark nach.
Thomas dagegen hatte noch den richtigen Blondschopf des Kleinkindes, während seine Zahnlücken, wenig verschönend, aber irgendwie rührend, darauf hinwiesen, daß jetzt der Ernst des Lebens, sprich: die Schule, auch für ihn heranrückte. Das hübscheste an ihm war seine harte, runde Kinderstirn, die Pölze immer geliebt hatte.
Die beiden hockten sich sofort auf das Bänkchen gegenüber den beiden Frauen im „Fond“ und fragten Pölze aus; nach dem entsprungenen Strafgefangenen und seiner Flucht, ob er geschossen oder ob Onkel Bertram ihn im Handgemenge dingfest gemacht habe.
Volker befand sich gerade im Karl-May-Alter und las, gutmütiger Bruder, der er war, oft stundenlang dem Kleinen vor. So beherrschte er alle gängigen Ausdrücke, die sich in seinem Mund altklug und putzig ausnahmen.
„Warum habt ihr Svea nicht mitgebracht?“ fragte Pölze schließlich, als der Redestrom der beiden nachzulassen begann. „Vater hat gesagt, sie wollten endlich mal ungestört sein“, berichtete Volker. Und Thomas setzte hinzu: ‚„Zum Hagelwetter noch eins!‘ hat er geschrien. Aber wir dürfen nie so was sagen. Kinder werden immer unterdrückt!“