Читать книгу Geschichten vom Pferdehof - Lise Gast - Страница 16
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ОглавлениеDer Ausreißer ist geschnappt, alles in Ordnung! – Jawohl, er hatte den Kronos genommen, und das wurde ihm zum Verhängnis. Ein Mann zu Pferde fällt eben heutzutage auf. Dem Pferd geht es übrigens prima, soll ich ausrichten, und Bertram käme so, daß er heute abend auf dem Rosenhof ist, nicht eher. Er will zunächst noch einiges regeln.“
„Gut, gut.“ Pölze war mit allem zufrieden, sie wußte ja nun, daß keine Gefahr mehr bestand. Dankbar und erleichtert kletterte sie auf ihren Wagen, und dann ließ sie die Peitsche schwirren. „Nun lauft, meine Gäule, ab geht die Post!“
„So ließe ich mich als ein Pferd nicht nennen“, unkte Kornelia und trieb ihren Isländer neben den anrollenden Wagen. „Gaul ist beleidigend für ein flottes Wagenpferd!“
Sie hatten gestern mehr als die Hälfte des Weges geschafft und konnten sich eigentlich Zeit nehmen. Aber die Ponys liefen eilig und eifrig, und jeder fährt lieber schnell als langsam. Pölze jedenfalls genoß das flotte Tempo, sie saß, angelehnt und bequem, und hielt die Zügel in der Linken.
„Hallihallo, wir fahren,
wir fahren in die Welt!“
sang sie halblaut. Kornelia ritt mit ihrem Isländer bald neben, bald vor dem Wagen. Es war köstlich, zumal das Wetter sich heute strahlend zeigte. „Ach, es ist eine Lust zu leben!“ dachte Pölze
„Guck, ein Reiter!“ rief Kornelia in diesem Augenblick.
„Der Märchenprinz!“ lachte Pölze. „Genau wie im Traum! Trägt er eine goldene Rüstung und einen weißbebuschten Helm?“
„Du glaubst es wohl nicht. Dort reitet aber wirklich einer“, erwiderte Kornelia und deutete mit dem Knauf ihrer Gerte, „nein, zwei sind es. Im Traum waren es übrigens auch zwei, wenn du dich vielleicht an meine goldenen Worte zu erinnern beliebst. Zwei, und einer davon ...“
„...nahm dich mit auf sein Schloß“, ergänzte Pölze.
„So war es“, bestätigte Kornelia ärgerlich, „wie es weiterging, habe ich, dank deiner Jammerei, nicht mehr träumen können, sonst wüßte ich es noch.“
„Jammerei! Herzlichen Dank. Hab du mal solches Fieber!“ brummte Pölze. „Es ging mir sehr schlecht, und ich war dem Tode nahe, habe es nur aus Rücksicht auf dich gut verborgen.“
„Aha. Siehst du, jetzt kommen sie, der Traum wird also wirklich wahr!“ bemerkte Kornelia aufgeregt, keinen Blick von den beiden Reitern lassend. „Im gestreckten Galopp, ein Glück, daß wir im Zeitalter der Stoppelfelder leben! Jetzt – hopp! Ach je, den hat’s geschmissen!“
Zwischen dem Stoppelfeld, das die beiden überquert hatten, und der geschnittenen Wiese mußte sich ein Graben befinden. Der eine Reiter hatte ihn gesehen und war gesprungen, der andere aber mußte ihn übersehen haben. Sein Pferd versuchte im letzten Augenblick, noch darüberzugehen, streckte sich in der Luft, aber es reichte nicht mehr. Mit den Vorderbeinen erwischte es noch den jenseitigen Grabenrand, mit der Hinterhand kam es nicht nach. Es mühte sich verzweifelt, Fuß zu fassen, und dabei räumte der Reiter den Sattel. Es war kein heroischer Sturz, sondern einer, der so komisch wirkte, daß sowohl Kornelia als auch Pölze vor Lachen herausplatzten, zumal man sofort sah, daß weder Reiter noch Pferd Schaden genommen hatten. Das Pferd stand augenblicklich wieder, und der Reiter krabbelte aus dem Graben, in den er rückwärts köpflings hineingesaust war, was ja immer ein überaus erheiternder Anblick ist.
Die Pferde dieser beiden jungen Männer waren übrigens auch Isländer. Diese Rasse, jetzt in Deutschland schon bekannter als vor zwanzig Jahren, da sie ganz neu importiert wurde, ist noch immer ein Grund für junge Reiter, einander anzusprechen, so, wie es Autofahrer desselben, ein wenig unüblichen Typs halten, die sich allerdings nur im Fahren grüßen.
Hier war der Sturz noch ein Anlaß mehr. Kornelia ließ ihr Pferd über den Straßenrand hinübersetzen und faßte den reiterlosen Isländer am Zügel. Gerade kam dessen Herr wieder auf die Beine. Er sah lustig aus: das Haar vom Grabenwasser angeklatscht, so daß er einer Robbe ähnelte, das Gesicht braun vom Moorwasser. Auch der Anzug klatschte und klebte.
„Sie sehen hervorragend aus“, grunzte Kornelia, „nein, zu schade, daß kein Spiegel greifbar ist! Oder hast du einen mit, Pölze?“ rief sie der Kameradin zu.
„Wozu? Brauchst du einen?“ fragte Pölze zurück und begann, in ihrem Reisesack zu kramen. Kornelia winkte lachend ab.
„Aber wo! Ich meine nur, er müßte sich bewundern können, so etwas sieht man nicht alle Tage. Sie müssen sich umziehen, Sie erkälten sich sonst“, fuhr sie dann fort, zu dem Gestürzten gewandt, und sie bemühte sich, ihr Lachen zu verkneifen. Er sah ziemlich kläglich zu ihr auf.
„Ja, ich glaube, ich muß. Wenn ich einmal Eindruck schinden will, geht es bestimmt daneben“, sagte er. „Ich wollte so richtig schneidig angaloppiert kommen ...“ Er versuchte, Teile seines Anzugs auszudrücken, was natürlich ein hoffnungsloses Unternehmen war. „Wir sahen Ihr Gespann und vor allem Sie, die Vorreiterin ...“ Dabei machte er ein bewunderndes Gesicht, das, naß und schmutzig, in der Wirkung etwas danebenging. In Kornelias Augen tanzten schon wieder tausend Lachteufel.
„Haben Sie weit nach Hause? Ich meine, zum Umziehen?“ fragte sie.
„Nicht sehr weit. Dort drüben ...“, er deutete hinüber, „liegt unser trautes Heim. Mit vielen anderen Isländern übrigens ...“ Er sah sie listig an. Sie biß sofort auf den Angelhaken.
„Wie vielen?“ fragte sie.
„Im ganzen, Hug, wieviel haben wir zur Zeit?“
„Dreißig!“ antwortete der andere.
„Dreißig Isländer?“ fragten Kornelia und Pölze wie aus einem Mund.
„Nicht alles Isländer. Es sind auch Haflinger, Bosnier und Norweger dabei.“
„Zucht?“
„Auch. Vor allem aber ...“
„Verleihstall. Wir sind ‚Klein Island‘, wenn Ihnen das ein Begriff ist.“
„Ah –“ Pölze und Kornelia öffneten beide zugleich den Mund zu diesem anerkennenden Ah, worauf nun wieder die zwei jungen Männer das Lachen bekamen. Sie unterdrückten es. Aber man sah, wie gut es ihnen tat, ein Begriff zu sein.
Pölze und Kornelia hatten natürlich in einschlägigen Zeitschriften Annoncen gefunden: „Ponytrekking durch Deutschland, Unterkunft, Gepäckbeförderung, fröhliche Abende mit Weinproben, Frühstück und Versicherung inklusive –“ Billig war das Ganze nicht. Aber heutzutage saß ja das Geld allen Leuten locker, und Reiten war große Mode. Leider, dachte Pölze oft. Früher waren es einzelne Verschworene, die ritten, oft heimlich, um den Spott der andern nicht herauszufordern oder das beliebte: „Die hat’s nötig, auch noch zu reiten!“ Jetzt gab es kaum eine Familie mehr, wo nicht Sohn oder Tochter, Nichte oder Enkel ritt und natürlich schon soundso viele Turniere gewonnen hatte. So viele Turniere gab es gar nicht in der Bundesrepublik, wie da gewonnen wurden, genau wie jener Araber im letzten Krieg, der so feurig war, daß ihn immer nur der Kommandeur und derjenige reiten konnte, der davon erzählte. Dieser Araber hatte, wie so manche Legende, ein ewiges Leben. Hier aber, so dachten Pölze und Kornelia genau parallel, waren die Angaben der jungen Männer ja schnell nachzuprüfen und konnten somit eigentlich keine reinen Angebereien sein. Hier hatten Lügen sehr kurze Beine.
„Wollen Sie uns denn nicht das Vergnügen gönnen und unsere Pferde ansehen?“ fragte der Nasse, der inzwischen ein wenig zu tief in Kornelias schwarze Augen gesehen zu haben schien, lockend und werbend. Sie lachte.
„Warum nicht, Herr Froschkönig?“ Froschkönig statt Märchenprinz – so geht es einem, dachte sie. Aber sei es drum, wenn man dabei dreißig Isländer kennenlernt ...
„Pölze, wollen wir? Zeit haben wir ja, wenn Bertram sowieso erst heute abend auf dem Rosenhof sein will.“
„Schön, wir wollen!“ entschied Pölze sogleich. Und Kornelia setzte hinzu: „Aber nur, damit Sie zum Umziehen kommen. Wohin?“
„Hier herüber!“
Der zweite Reiter wies mit der Gerte auf einen Übergang über den Straßengraben. Hier führte ein halbbreiter Feldweg, richtig urig, Spuren rechts und links und in der Mitte eine Grasnarbe, geradewegs nach Norden, also rechtwinklig von ihrer eigenen Richtung ab.
„Weit?“ fragte Pölze noch.
„Höchstens drei Kilometer.“
„Also los!“
Kornelia war schon angetrabt, die Ponys folgten. Rechts und links des Wagens ritten die jungen Männer, der Jägersmann – er war in grünen Loden gekleidet – und der Froschkönig. Kornelia hatte ihn bereits so getauft. Und Pölze unterhielt sich mit den beiden, während Kornelia vorn ritt. Berti hatte die Fahrerei, deren Zweck er nicht einsah, satt und strampelte und wollte aus seinem Sitz heraus. Schon deshalb war es geraten, eine Pause einzulegen, dachte Pölze zufrieden.