Читать книгу Geschichten vom Pferdehof - Lise Gast - Страница 14
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ОглавлениеEs dauerte noch ziemlich lange, bis sie die ersten Lichter sahen, eine Zeit, die Pölze im andern Fall sicher schwer zugesetzt hätte. Sie hatte sich mehr aufgeregt, als je ein Mensch erfahren würde, schämte sich darüber und tat forsch und vergnügt. Endlich, endlich das Dorf! Sie fanden den Gasthof sofort, und die Wirtin begrüßte sie voller Erleichterung. Bertram hatte schon zweimal angerufen und sich erkundigt, ob sie gesund eingetrudelt seien. Um neun wollte er es nochmals versuchen. Jetzt war es acht. Schnell die Pferde in den Stall, und hinein in die warme Gaststube!
Berti hatte nichts davon gemerkt, als er aus seinem Sitz gehoben wurde, er schlief, ins große Bett gelegt, sofort weiter. Pölze und Kornelia konnten unbesorgt hinuntergehen und auf Bertrams Anruf warten, während sie etwas aßen. Ach, es schmeckte so wundervoll zu zweit nach dieser abenteuerlichen Fahrt!
Und es tat so gut, so gut, mit Bertram zu sprechen, wenn auch über so viele Kilometer hinweg!
„Macht euch keine Sorgen um uns hier“, sagte er, „wir werden den Ausreißer bald haben. Fahrt morgen weiter. – Ach, bin ich froh, daß Koko bei dir ist! Ich komme dann direkt zum Rosenhof. Grüßt inzwischen.“
In der Nacht ging es Pölze schlecht. Sie war erst schnell und tief eingeschlafen, wachte aber gegen eins in der Nacht auf, weil sie entsetzlich geträumt hatte. Es ging um Bertram, und sie vermochte nicht, verwirrt und aufgeregt, Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden, wie das nachts manchmal eben so ist. Sie hatte geträumt, daß jemand ihn verfolgte und mit einem schweren Gegenstand über den Kopf schlug. Er stand einen Augenblick noch still, mit einem sonderbar verwunderten Ausdruck in den Augen, dann drehte er sich auf eine merkwürdige Art und fiel zu Boden. Pölze versuchte, zu ihm zu gelangen, aber es ging nicht. Als sie wach wurde, war sie naß von Schweiß und weinte.
Sie versuchte, sich zu beruhigen, stand auf, trank einen Schluck Wasser, kroch wieder ins Bett. Aber an Einschlafen war nicht zu denken, es schüttelte sie, und sie merkte, daß sie Fieber hatte. Als ihr immer elender wurde, weckte sie Kornelia.
„Warte, das haben wir gleich!“ sagte diese sofort auf eine gute und nüchterne Art, die sehr an die ihrer Mutter erinnerte, bereit zu helfen. Sie kramte im Gepäck und förderte eine Wärmflasche zutage, die Pölze für Berti eingepackt hatte, füllte sie am Kran mit heißem Wasser und brachte sie Pölze.
„So, auf den Bauch damit. Du hast schlimm geträumt, da muß man das Blut vom Gehirn abziehen, das hilft.“
„Denkst du wirklich? Ich meine, bist du sicher, es war nur geträumt?“ murmelte Pölze, die es nur zu gern glauben würde. Kornelia lachte.
„Natürlich! Was denn sonst? Du hast gestern auf dem Wagen gefroren, weil du deine Jacke über Berti gelegt hast, wie sich das für eine treusorgende Mutter gehört. Aber erkältet hat sich diese Treusorgende eben. Und wegen Bertram hast du Sorgen, das beides wirkt zusammen. Weiter nichts als Fieberträume.“
„Aber – aber Bertram ...! Sie sind doch immer noch auf der Suche nach dem Gefangenen!“
„Woher weißt du denn das? Vielleicht haben sie ihn ja schon längst.“ Kornelia wühlte sich gerne wieder ins Bett, rückte zu Pölze heran und suchte nach deren Hand. „Wahrscheinlich sogar. Er ist auf Nummer Sicher und unter Dach, was man ihm wünschen sollte – draußen ist es kalt, und er würde frieren wie ein junger Hund. Also. Und Bertram hat mit Jupp einen auf den Schreck getrunken und schläft jetzt süß, so süß und gut, wie du jetzt auch gleich schlafen wirst. Und morgen ist dann bestimmt das Fieber weg, du bist gesund, und wir fahren auf den Rosenhof. Na, die werden staunen, wenn wir einziehen!“
„Aber – aber wenn –“
„Weißt du, was meine Mutter immer sagte, wenn es uns nachts schlechtging und wir fürchterliche Dinge geträumt haben? Wir Kaysers sind nämlich groß im Träumen, mußt du wissen. Da meinte sie: ‚Früh sieht man, daß es ein Handtuch ist. Nachts dachte man, es wäre ein Gespenst.‘“
Pölze mußte lachen.
„Vielleicht“, sagte sie. Sollte sie Kornelia wissen lassen, was sie von Träumen hielt? In Schweden jedenfalls gab es einen alten Aberglauben, der besagte, daß das, was man zum ersten Male unter einem fremden Dach träumte, unter dem man noch nie zuvor geschlafen hat, in Erfüllung geht. Eine der wenigen Erinnerungen, die sie noch an ihre Mutter hatte, war die: Mutter verabschiedete sich von jedem ihrer Hausgäste, die das erstemal bei ihr übernachteten, mit dem freundlich herzlichen Wunsch: „Träumen Sie was Schönes! Denn was Sie jetzt träumen, geht in Erfüllung!“
Sie sagte nichts davon. Kornelia war schon wieder halb eingeschlafen, dann aber wurde sie noch mal ganz wach.
„Weißt du, was ich geträumt hab’?“ fragte sie, als sie merkte, daß auch Pölze noch nicht schlief. „Wir sind weitergefahren – ich geritten, du gefahren –, und da haben wir zwei Reiter getroffen. Die nahmen uns mit, nicht als Gefangene, sondern sie luden uns ein, zu sich. Und sie hatten ein wunderschönes, riesiges Schloß mit einem weiten Hof, der stand voller Isländer ...“
„Ein Wunschtraum“, sagte Pölze und mußte ein wenig lächeln.
„Und?“ Solch ein Traum war ja nun sehr einfach zu erklären. „War ein Märchenprinz dabei?“
„Ja“, bestätigte Kornelia sofort, „ein sehr schöner, sehr netter. Der wollte mich auf sein Pferd nehmen, wie es im Märchen immer heißt, aber da hast du mich gestört und nach mir gerufen, und ich mußte aufstehen.“
„Du Armes“, Pölze lachte, „versuche, wieder einzuschlafen und an dieser Stelle weiterzuträumen. Aufs Pferd gehoben zu werden, von einem Märchenprinzen ...“
„Ich will es versuchen, kann aber nicht garantieren, daß es auch klappt“, murmelte Kornelia, schon halb von den Federbetten erstickt, die es hier in dem ländlichen Gasthof auf altmodische Weise und nach dem Motto „viel hilft viel“ für Gäste gab. Daheim schlief man unter dünnen Decken; solche Gebirge auf sich zu haben, das schuf natürlich Alpträume. Jedenfalls ...
„Nachts dachte man, es wäre ein Gespenst“, sagte sich Pölze, „Koko hat recht, es ist sicher nur ...“, und dann schlief auch sie wieder, und sie schlief sich, wie es ihrer Natur entsprach, gleich wieder gesund.