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11. Université Paris-Sud, 14. November 1990
ОглавлениеProfessor Eugène Fromentin saß ratlos vor seinem Schreibtisch. Gerade eben hatte diese Frau mit einem schier unaussprechlichen Namen angerufen. Ihr Englisch war schwer zu verstehen gewesen und zudem hatte sie ihn kaum zu Wort kommen lassen. Zuerst war ihm überhaupt nicht klar, worum es ihr überhaupt ging. Dann wurde deutlich, dass die Frau aus Berlin anrief, aus einem staatlichen Institut für Lebensmittelkontrolle, dessen Name ihm nichts sagte. Das wäre ja so weit noch in Ordnung gewesen, aber vollkommen merkwürdig war, dass sie ihm technische Unterstützung für LC-MS/MS Untersuchungen anbot.
Zuerst hatte er gedacht, sie käme von einer Firma, um ihm ein neues Massenspektrometer anzubieten. Allerdings konnte er sich nicht erinnern, danach gefragt zu haben. Selbst wenn, hätte er an der Universität oder in Paris dazu genug Möglichkeiten gehabt. Nachdem sie ihm glaubhaft machte, dass sie keine Firmenvertreterin war, versuchte er ihr begreiflich machen, dass das LC-MS/MS Gerät an seiner Fakultät durchaus funktionierte.
Da sie aber so stur darauf beharrte, ließ er sie weiterreden. Als der Name Sandrine Martin fiel, begann Eugène Fromentin allmählich zu verstehen. Über diesen Weg war Madame Anke, sie hatten sich darauf geeinigt, sich mit ihren Vornamen anzureden, also auf ihn gekommen. Ihr Institut wäre sehr an einer Zusammenarbeit mit Partnerinstituten in Frankreich interessiert. Sandrine Martin hätte doch einen interessanten Vortrag am LEAG gehalten und dabei auch die technischen Probleme mit dem LC-MS/MS Gerät an der Universität erwähnt.
„Ja, Eugène“, sagte Madame Anke: „Sandrine Martin musste doch nur deswegen das Thema ihrer Doktorarbeit wechseln. Es ist doch sehr schade, wenn der Grund dafür nur ein technisches Problem ist.“
Eugène Fromentin begann, sich seine Gedanken zu machen. Ob Mademoiselle Martin denn erwähnt hätte, wofür sie das LC-MS/MS Gerät benötigte?
„Es ging dabei hauptsächlich um den Nachweis des Pilzgiftes Patulin und wohl um Mykotoxine im Allgemeinen“, erwiderte Madame Anke und erzählte, dass an ihrem Institut drei solcher Geräte zur Verfügung ständen. Falls seine Fakultät also in dieser Hinsicht Hilfe bräuchte, würde sie das gerne vermitteln.
Der Dekan hatte begriffen, dass er in diesem Gespräch nicht viel mehr erfahren würde. Er bedankte sich höflich für das Angebot, auf das er gegebenenfalls gerne zurückkäme. Er wäre ja auch für eine Kooperation zwischen den Instituten innerhalb der EU und man könnte ja über gemeinsame Projekte gegebenenfalls nachdenken.
Offenbar schien Madame Anke nur auf dieses Stichwort gewartet zu haben. Sie bot an, jederzeit nach Paris zu kommen, wenn derartige Planungen anstünden.
Eugène Fromentin versprach, sich bei ihr zu melden und notierte sich ihre Telefonnummer und die Adresse des LEAG in Berlin.
Nachdem er aufgelegt hatte, begann er zu grübeln, was dieser Anruf bedeutete. Vor zwei Wochen hatte Sandrine Martin ein paar Tage Urlaub genommen. In dieser Zeit musste sie in Berlin gewesen sein. Aber woher kannte sie dieses Institut und warum hatten die Leute vom LEAG sie eingeladen? Sie musste dort etwas über ihre Arbeiten an Patulin erzählt haben und sicherlich auch über ihre Untersuchungen an Cidre und Calvados. Was führte Sandrine Martin im Schilde?
Er war sich sicher gewesen, diese Sachen wären endgültig begraben und vergessen. Der Generalrat Théodore Leroy hatte ihm unmissverständlich klargemacht, was auf ihn zukäme, wenn auch nur etwas von diesen Untersuchungen die Öffentlichkeit gelänge. Der Politiker Leroy konnte seine Drohungen in Form von Ratschlägen subtil verpacken. Aber Fromentin machte sich da keine Illusionen. Schließlich war da noch das Foto gewesen, dass sie ihm anonym zugeschickt hatten. Eine Sache war klar, wenn Leroy und seine Parteikameraden Wind davon bekämen, was Sandrine Martin beabsichtigte, dann würde nicht nur sie, sondern auch er erhebliche Probleme bekommen.
Mit zusammengekniffenen Lippen starrte er auf den Zettel mit der Telefonnummer und dem dazugehörigen Namen Anke Barkowski. Sie hatte ihn dreimal buchstabieren müssen, bevor er ihn richtig notieren konnte. Eigentlich wollte er den Papierfetzen gleich nach dem Gespräch wegwerfen, aber nun entschied er sich dafür, ihn zu behalten. Vielleicht musste er Madame Anke noch einmal anrufen, um mehr darüber zu erfahren, was Sandrine Martins Absicht war.
Sollte er seine Studentin mit dem, was er gerade erfahren hatte, konfrontieren? Von sich aus hatte sie ihm nichts davon erzählt und so zog er es vor, eigene Erkundigungen einzuziehen. Er wählte die Nummer von Pierre Duval, der das LC-MS/MS Gerät der Fakultät betreute. Duval versicherte ihm, dass Sandrine seit damals nicht wieder darum gebeten hatte, Proben auf dem Gerät zu messen. Er hätte das auf jeden Fall mitbekommen. Ohne seine Unterstützung konnte niemand einfach Messungen am LC-MS/MS durchführen.
Fromentin hatte sich danach wieder beruhigt. Eigentlich war bisher ja nichts weiter passiert. Vielleicht hatte Sandrine Martin eingesehen, dass sie nach ihrer Promotion nicht weiter an der Fakultät bleiben konnte und ihre Stellensuche über die Grenzen Frankreichs hinaus ausgedehnt. Dabei war sie vermutlich auf das LEAG in Berlin gestoßen und eine Einladung zu einem Vortrag bekommen. Dort hatte sie dann über alles berichtet, worüber sie bereits gearbeitet hatte.
Er nahm sich vor, Sandrine Martin zunächst nicht auf den Anruf aus dem LEAG anzusprechen. Allerdings musste er ein verstärktes Augenmerk auf seine Studentin richten, um unliebsamen Überraschungen vorzubeugen.