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12. Berlin-Dahlem, im Frühjahr 1991

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Die ersten Wochen und Monate am LEAG waren wie im Flug vergangen. Bernadette machte ihre Arbeit großen Spaß, sie war umgänglich und Leo freute sich über die Gewissenhaftigkeit, mit der sie ihren Aufgaben nachging. Inzwischen waren auch einige der bestellten Laborgeräte eingetroffen und sie konnten die ersten Mutationstests durchführen.

Malus hatte zuerst gezögert, aber dann Leos Vorschlag zugestimmt, Sandrine Martin für drei Monate als Gastwissenschaftlerin am LEAG zu beschäftigen. Die Vorstellung, mit innovativen Methoden beim Institutspräsidenten Hampel aufzufallen, schmeichelte ihm. Sie überwog seine Abneigung gegen die Person Sandrine Martin. Diese Frau war ihm schon von ihrer Erscheinung her als unangepasst und von ihrem Reden als eigensinnig in Erinnerung geblieben. Das waren genau die Eigenschaften, die Bernhard Malus an anderen Menschen hasste. Aber es ging ja nur um eine begrenzte Zeit, in der die Französin am LEAG tätig sein würde.

Auch Leo Schneider vermittelte ihm mehr denn je den Eindruck, als wollte er nicht bei allem mitziehen, was er als sein Vorgesetzter für richtig hielt. Schneider und seine Assistentin passten sich nicht an, im Gegenteil, sie sonderten sich ab. Kürzlich hatte sich die Kollberg bei ihren Kolleginnen über anzügliche Bemerkungen von Ferdinand Prause beklagt. Die klatschsüchtige Bärbel Rudolf musste das gleich überall herumerzählen und Prause stritt alles so vehement ab, dass es nicht leicht fiel, ihm seine Unschuldsbeteuerungen zu glauben.

Aber letztendlich waren das doch Kinkerlitzchen. Bernhard Malus verstand nicht, wieso diese Leute sich das Leben so schwer machten. Sie brauchten sich doch nur an die Gegebenheiten anpassen, davon ging ihnen doch nichts ab! Früher waren solche Damen mehr darum bestrebt, ihrem Chef zu gefallen und sahen geflissentlich darüber hinweg, wenn der vielleicht mal über die Stränge schlug. Heute riefen sie gleich nach der Gewerkschaft, der Gleichstellungsbeauftragten oder drohten sogar mit Strafanzeigen.

Bernhard Malus lockerte seine Krawatte, was er nur dann tat, wenn er allein war. In letzter Zeit hatte er öfter das Gefühl, in der Gegenwart von anderen zu wenig Luft zu bekommen. Sein Blick fiel auf den Terminkalender, der neben dem Foto seiner Frau auf dem Schreibtisch stand. Morgen war der wöchentliche Termin mit dem Abteilungsleiter. Bei dem Gedanken brach ihm der Schweiß aus und er tupfte sich die Stirn mit einem Taschenbuch ab. Er durfte sich in seiner Fachgruppe keine Schwachheiten leisten. Auch Leo Schneider und Bernadette Kollberg waren nur auf Zeit angestellt. Dabei sollte es auch bleiben. Sie erfüllten ihren Zweck, blieben aber nur vorübergehende Erscheinungen, wenn man das aus der Sicht eines Beamten sah, der eine lebenslange Laufbahn mit Aussicht auf regelmäßige Beförderungen vor sich hatte.

Er war auf die Loyalität seiner Untergebenen angewiesen und hatte keine Zweifel, was Anke Barkowski und Ferdinand Prause betraf. Deshalb kümmerten ihn die Vorwürfe der Kollberg gegen Prause nicht, selbst wenn sie der Wahrheit entsprachen. In der Vergangenheit gab es genug Situationen, in denen er die Loyalität von Prause und der Barkowski auf die Probe gestellt hatte. Die Letzte davon war Lindangutachten gewesen. Ihm war auch nicht entgangen, wie unwillig Schneider reagierte, als auch er mit unterschreiben musste. Das nächste Mal würde er sich vielleicht weigern, aber Malus wusste, wie man in solchen Fällen vorzugehen hatte.

Zum Glück für Sandrine und Leo wusste Bernhard Malus nichts von ihrer Absicht, die Cidre und Calvadosproben am LEAG weiter zu untersuchen. Außerdem kannte Malus die Vorgeschichte nicht. Leo hatte ein unverfängliches Thema für die Zusammenarbeit mit Sandrine Martin formuliert, das keinen Hinweis auf das Patulinprojekt enthielt.

Sandrine schrieb Leo in unregelmäßigen Abständen Briefe, in denen sie ihn über die Entwicklung an ihrem Fachbereich berichtete. In ihrem letzten Brief stand, der Dekan hätte sie darauf angesprochen, ob sie sich in Berlin am LEAG beworben hätte. Sie hatte ihn gefragt, wie er darauf gekommen wäre. Als er meinte, so etwas würde sich eben schnell herumsprechen, war sie beunruhigt. Sie hatte ihn daraufhin gebeten, ihr bei der Vermittlung einer geeigneten Stelle in Frankreich zu helfen. Schließlich sei die Stelle am LEAG nur für einen kurzen Aufenthalt als Gastwissenschaftlerin und danach stände sie wieder vor dem Nichts. Aber Fromentin war ausgewichen. Er wollte ihr in dieser Hinsicht keine Hoffnung machen und meinte nur, der Markt für Lebensmittelchemiker wäre zurzeit allgemein schlecht. Zwar versprach er, sich umzuhören, aber Sandrine merkte an seinem Verhalten, dass es ihm damit nicht ernst war. Wahrscheinlich war sie durch die Geschichte um den Calvados auf einer schwarzen Liste von Personen gelandet, die man tunlichst nicht einstellte, wenn man Ärger vermeiden wollte.

Nachdem Leo ihren Brief gelesen hatte, rief er sie gleich an. Sandrine fragte vorwurfsvoll, ob er es gewesen war, der sich bei Fromentin über sie erkundigt hatte. Als Leo das entsetzt abstritt, blieb sie trotzdem reserviert und er bekam das Gefühl, sie würde ihm nicht recht glauben.

Für Leo war klar, dass Bernhard Malus den Dekan kontaktiert haben musste. Es war die einzige logische Erklärung. Mit dem Antrag, Sandrine als Gastwissenschaftlerin einzustellen, hatte Malus alle Informationen über sie bekommen, einschließlich der Kontaktadresse zur Universität in Paris.

Inzwischen waren acht Monate vergangen, seitdem Sandrine in Berlin gewesen war. Bei ihrer Abschlussprüfung am 20. Mai hatte Fromentin ihr keine Schwierigkeiten bereitet. Als Gesamtnote bekam sie von der Prüfungskommission jedoch nur ein Gut. Damit war ihre Chance auf null gesunken, an einer anderen Universität in Frankreich eine Stelle zu bekommen. Sandrine war überzeugt, dass ihre Note durch Fromentins Einflussnahme zustande gekommen war. Sie kannte die anderen Mitglieder der Prüfungskommission und wusste, dass diese ihr sicherlich eine Weiterbeschäftigung an dieser oder einer anderen Universität gegönnt hätten. Aber der Dekan als Leiter der Prüfungskommission hatte seinen Willen durchgesetzt.

Sandrine konnte sich denken, warum er das getan hatte. Fromentin war ihr gegenüber misstrauisch und wollte verhindern, dass sie an einer anderen Universität in Frankreich ihre Arbeiten zu Patulin wieder aufnahm. Fromentin, als ihr Doktorvater und ehemaliger Chef, wäre dann erneut damit konfrontiert gewesen. Leroy und seine Komplizen schienen Fromentin völlig in der Hand zu haben, wenn er alles tat, um das zu verhindern. Wie sie es auch immer sah, Berlin und Leo Schneider waren ihre einzige Chance, weiter in ihrem Beruf arbeiten zu können. Sie war fest entschlossen, diese auch zu nutzen.

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