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5. Berlin-Friedenau, 1. September 1990
ОглавлениеAls Leo diese Geschichte von Christine gehört hatte, war er doch ziemlich erstaunt. Sie fragte ihn, ob das mit dem Patulin überhaupt möglich wäre, oder ob es nicht nur ein Vorwand gewesen war, um über Sandrine Martins wahren Auftrag, der Betriebsspionage, hinwegzutäuschen. Leo hatte danach über das Thema Patulin recherchiert, aber das wenige, was er über Sandrine Martin fand, war eine Arbeit über den Nachweis von Aflatoxinen in Lebensmitteln. Es gab nichts, was auf ein Projekt hinwies, über das sie in der Normandie geforscht hatte. Auch aus den Bekanntmachungen ihrer Fakultät gab es keinen Hinweis zu einem Forschungsprojekt über Patulin.
Den Samstag verbrachten sie in Christines Wohnung in der Albestraße. Nach dem Mittagessen begann Leo zu erzählen, was er über Sandrine Martin und über Patulin herausgefunden hatte. Am Nachmittag war der Himmel dunkel geworden, es fing an zu regnen und sie hatten es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht.
„Auf jeden Fall ist Sandrine Martin Expertin, was Pilzgifte betrifft. Sie hat bereits über Aflatoxine, das sind Schimmelpilzgifte, gearbeitet.“
„Die sind doch auch krebserzeugend, oder?“, rief Christine aus der Küche. Sie war kurz aufgestanden, um etwas zum Knabbern zu holen.
„Aber wie! Es gibt immer wieder Berichte, dass Pistazien, Erdnüsse und Paranüsse besonders häufig mit Aflatoxinen belastet sind.“
„Und der Apfelsaft?“ Christine war mit eine Schale Nüssen und zwei Gläsern Apfelsaft zurückgekommen und setzte sich wieder zu Leo auf das Sofa.
„Da habe ich auch ein bisschen nachgeforscht. Bisweilen findet man auch hierzulande Patulin im Apfelsaft, aber das ist eher die Ausnahme und die Grenzwerte werden angeblich nicht überschritten. Mit zunehmendem Alter des Saftes nimmt übrigens der Gehalt an Patulin wieder ab.“
„Na toll!“ Christine lachte und trank einen Schluck. „Also den Saft möglichst lange stehenlassen, bevor man ihn trinkt!“
Jetzt mussten sie beide lachen und stupsten sich dabei an.
„Aber vielleicht ist an der Geschichte doch mehr dran“, meinte Leo nachdenklich. „Besonders, wenn auch der Cidre damit verseucht ist. An Cidre denkt doch niemand, wenn es um Patulin geht.“
„Und der Calva?“ Christines Gesicht war auf einmal dicht vor ihm und sie blickte ihm tief in die Augen.
„Wer weiß?“ Leo gab ihr einen Kuss.
„Das mit dem Patulin wäre doch ein gutes Projekt, um dein neues Labor am LEAG einzuweihen!“ Christine hatte sich inzwischen neben ihm ausgestreckt und zog ihn sanft zu sich herunter.
„Offiziell kann ich denen aber damit nicht kommen“, antwortete Leo, nachdem er sie wieder und diesmal länger geküsst hatte. „Die warten doch im LEAG nicht darauf, dass ich ihnen irgendwelche Projekte anschleppe.“
Christine schlang einen Arm um seine Schultern und nestelte ihm mit dem anderen sein Hemd aus der Hose.
„So etwas muss man bestimmt extra beantragen!“, fügte Leo hinzu.
„Schon genehmigt“, meinte Christine und zog sich ihren Pullover über den Kopf.
„Quatsch, ich meinte doch das mit dem Patulin …“
Christine lachte nur und sagte: „Ist mir schon klar, aber ich meine jetzt etwas ganz Anderes …“
Ihre Lippen verschmolzen zu einem langen Kuss und beide waren für einen Moment damit beschäftigt, sich ihrer restlichen Kleidungsstücke zu entledigen.
Sie lagen beide auf Christines Sofa. Leo schmiegte sich an Christines warmen, einladenden Körper. Er begehrte sie mit einer Leidenschaft, die er vom Anfang ihrer Beziehung kannte. Er nahm sie, die dazu bereit war, ungestüm und zärtlich zugleich und fühlte die Wellen der Erregung in sich auf und abschwellen. Es war, als wäre es das letzte Mal, an dem sie sich so vorbehaltlos lieben konnten. Auch Christine schien von diesem Gefühl gefangen zu sein. Ihr Atem ging stoßweise und sie antwortete auf sein Begehren in der gleichen Weise, wie sie ihm entgegenkam. Ihre Körper verschmolzen miteinander in dem Moment des Höhepunktes, der sie beide gleichzeitig überraschte.
Von irgendwo her kam Leo der Gedanke, als wäre es zugleich ein Abschied. Ein Fenster war offen gewesen, durch das sie das Licht ihrer gegenseitigen Erfüllung sehen konnten. Aber mit den Wellen der langsam verebbenden Erregung würde sich auch dieses Fenster für immer schließen. Er hielt Christine, die lächelnd neben ihm lag, fest im Arm und vergaß diesen Gedanken im gleichen Moment, als er ihr in die Augen sah.
Die Zeit war für eine Weile stehengeblieben, und als Leo seine Augen wieder öffnete, lag er allein auf dem Sofa. Er warf einen Blick aus dem Fenster. Der Himmel war voller grauer Wolken und es regnete noch stärker. Christine war aufgestanden. Nach einer Weile hörte Leo aus der Küche das Zischeln der Espressokanne und der Duft des Kaffees verbreitete sich in der kleinen Wohnung. Gleich darauf kam Christine mit zwei Espressotassen zurück.
„Spontane Einfälle sind doch die besten.“ Leo zog sich an, während Christine den Kaffee auf den Tisch stellte.
„Eben“, sagte sie und lachte.
In der Zeit, als Christine in der Küche war, hatte Leo wieder daran gedacht, was Christine von Sandrine Martin erzählt hatte.
„Hattest du, nachdem du bei ihr an der Uni warst, noch einmal Kontakt mit Sandrine Martin?“
„Nein, nie wieder. Sie hatte ja kein Interesse gezeigt, mir noch mehr darüber zu erzählen.“
„Ich dachte nur, wir könnten sie ja zu einem Vortrag im LEAG einladen, um dort für das Thema Pilzgifte in Nahrungsmitteln Interesse zu wecken.“
Christine trank ihren Espresso und machte ein skeptisches Gesicht: „Nachdem, wie sie damals reagiert hat, habe ich nicht den Eindruck, dass sie mit jemandem darüber reden will. Aber wer weiß, vielleicht doch mit einem Kollegen vom Fach?“
Sie sah Leo verschmitzt an. „Ich habe noch ihre Kontaktadresse an der Université Paris-Sud und du kannst doch mal versuchen, sie dort zu erwischen.“