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2. Primus inter pares: Heinrich I. und die ostfränkischen Großen
ОглавлениеDie jeweils unterschiedliche Entwicklung im Süden und Norden des ostfränkischen Reichs hatte auf der einen Seite eine stärkere politische Integration zwischen Franken und Sachsen zur Folge, die besonders in der von den Konradinern getragenen Königserhebung des Liudolfingers Heinrich wirksam wurde. Auf der anderen Seite war unklar, wie sich dieses Königtum mit den neuen Herzogsgewalten im Süden arrangieren sollte. Es war nicht undenkbar, dass auch die neuen Herzöge nach der Königswürde strebten: Darauf deutet eine zeitgenössische bayerische Notiz hin, nach der die Bayern ihren Herzog Arnulf († 937) zum König erhoben haben. Nach dem Bericht Widukinds hätte Heinrich diesen und den schwäbischen Herzog Burchard († 926) mit militärischem Druck zur Anerkennung seines Königtums bewogen; demgegenüber hat die neuere Forschung einige Anhaltspunkte dafür gefunden, dass Heinrich den süddeutschen Herzögen weitgehende Verfügungsgewalt über die königlichen Rechte in ihren Herrschaftsbereichen überlassen hat. Arnulf und Burchard konnten nicht nur über königlichen Besitz und Pfalzen, sondern auch über die Reichskirche verfügen und wie die karolingischen Könige Bischöfe einsetzen; Heinrich erscheint vor allem in den Anfangsjahren seiner Herrschaft als Primus inter pares, dessen Prärogative allein darin bestand, dass die Herzöge und der Konradiner Eberhard († 939), der den zweiten Rang in der Herrschaftsordnung (secundus a rege) bekleidete, darauf verzichteten, sich zum König erheben zu lassen.
Nach der Deutung von Hagen Keller und Gerd Althoff hat Heinrich den Verzicht auf Überordnung im Stil des karolingischen Königtums durch die demonstrative Zurückweisung der Königssalbung zum Ausdruck gebracht; vielleicht haben aber schon die Unklarheit der Situation und der relativ lange Prozess des Ausgleichs mit den Her zögen eine solche liturgische Zeremonie verhindert. Dass die neue Herrschaftsordnung nicht auf königliche Befehlsgewalt, sondern auf Ausgleich und Konsens gegründet wurde, dokumentieren Memorialbücher, in denen die Namen des Königs und seiner Familie gemeinsam mit den Namen von Herrschaftsträgern unterschiedlichen Ranges verzeichnet worden sind. Die gemeinsame liturgische Fürbitte für lebende und verstorbene Angehörige und Getreue war Teil umfassender sozialer Verbindung: Amicitiae und pacta, Freundschaftsbündnisse und gegenseitige Übereinkommen, in denen sich der König mit den Großen des Reichs verband, erscheinen deshalb als ein zentrales Element der Herrschaftsordnung unter Heinrich I.
Aus dem Memorialbuch des Inselklosters Reichenau (1) Heinricus rex, (2) Mahthild reg. et omnes debitores eorum, (3) Otto rex, (4) Heinricus, (5) Prun, (6) Kisilpret, (7) Kerprig, (8) Hadauui, (9) Sigfrid, (10) Kotechind, (11) Ekkihart, (12) Dancmar, (13) Sigipret, (14) Meginuuarch, (15) Egino … (31) Sigipret, (32) Ekkipret, (33) Piso (aus: Althoff, Amicitiae und Pacta, S. 111). Eine Gruppe von 33 Namen mit König Heinrich I. und Königin Mathilde an der Spitze, die wohl um 929/930 in das Memorialbuch der Reichenau eingetragen wurden. Wahrscheinlich wurden nicht nur Familienangehörige, sondern auch andere Große aus der Nähe des Königs gemeinsam mit diesem in die liturgische Fürbitte des Klosters aufgenommen. Der Königssohn Otto ist schon als König (rex) tituliert (s. Kap. I.3.a).
Die Intensivierung nicht nur des liturgischen Gedenkens, sondern des kirchlichreligiösen Lebens überhaupt diente auch als ein wesentliches Mittel der Vorbereitung auf die überragende militärische Herausforderung, der sich der neue König zu stellen hatte: Seit dem Ende des 9. Jahrhunderts waren die Ungarn aus dem Karpatenbecken durch Mittel- und Südeuropa gezogen und hatten vor allem die reichen Klöster in Schwaben, aber auch Teile Bayerns, Frankens und Sachsens mehrfach geplündert und verheert, ohne dass man den schnellen und variantenreich vorgetragenen Attacken der Reiter und ihrer durchschlagskräftigen Fernwaffe, dem Reflexbogen, hätte erfolgreich Widerstand leisten können. Heinrich I. nützte die Gelegenheit, als ein ungarischer Anführer in seine Hände fiel, um einen siebenjährigen Waffenstillstand gegen entsprechende Tributzahlungen auszuhandeln.
In dieser Zeit gelang es dem König, für die Abwehr der Ungarn reichsweite Unterstützung zu finden: Auf Synoden in Erfurt (Juni 932) und Dingolfing (Juli 932) wurden Maßnahmen zur Förderung der vielfach geschädigten Kirchen beschlossen, um nicht zuletzt die Hilfe Gottes für den Kampf gegen die Heiden anzurufen. Zugleich ließ der König Burgen anlegen, was man allerdings wohl schon in früheren Jahren ebenfalls getan hatte, und traf Vorsorge, um die regionale Bevölkerung an die Benützung und Instandhaltung der neuen Befestigungen zu gewöhnen. Ob dabei auch in großem Stil Wehrbauern angesiedelt wurden, wie man eine Nachricht Widukinds gedeutet hat, ist umstritten; vielleicht wurden auch nur die örtlichen Grundherren zur Abstellung bestimmter militärischer Kontingente verpflichtet. Militärische Expeditionen gegen die Elbslawen dienten nicht nur dazu, die eigene Kampfkraft zu erproben und zu üben, sondern den Ungarn auch das Aufmarschgebiet im Vorfeld Sachsens zu verlegen und die Unterstützung, die sie mehrfach von den Slawen erhalten hatten, zu unterbinden. Nach mehrjähriger Vorbereitung fühlte Heinrich sich stark genug, den vereinbarten Tribut zu verweigern; ein ungarisches Heer, das daraufhin in Sachsen einfiel, wurde im Jahr 933 bei Riade an der Unstrut vernichtend geschlagen. Als siegwirkende Reliquie führte der König die hl. Lanze mit, die er einige Jahre zuvor vom burgundischen König erhalten hatte und die wohl als Lanze des römischen Soldaten Longinus angesehen wurde, der nach der Legende die Seite des gekreuzigten Christus durchstoßen hatte.
Schon vor diesem spektakulären Sieg, der durch ein nicht erhaltenes Wandgemälde in der Merseburger Pfalz verherrlicht wurde, hatte Heinrich seine Herrschaftsstellung ausbauen können. Im Jahr 921 war er mit dem westfränkischen König Karl dem Einfältigen auf dem Rhein zusammengetroffen und hatte mit diesem ein Freundschaftsbündnis abgeschlossen. Das hinderte Heinrich allerdings nicht daran, auch mit dem kapetingischen Gegenspieler des Karolingers Verbindungen einzugehen und der Gefangennahme seines Verbündeten tatenlos zuzusehen. Der lothringische Herzog Giselbert († 939), der zunächst zwischen den westfränkischen Parteien laviert hatte und im eigenen Herrschaftsbereich unter Druck geraten war, suchte Rückhalt beim ostfränkischen König und wurde schließlich durch die Heirat mit der Königstochter Gerberga an die liudolfingische Familie gebunden. Schon 926 konnte Heinrich über das schwäbische Herzogtum verfügen, weil Herzog Burchard bei einer militärischen Unternehmung zur Unterstützung seines Schwiegersohnes, des Königs von Burgund, gefallen war. Zum neuen Herzog bestimmte der König den Konradiner Hermann († 949), der als Landfremder mit der Witwe seines Vorgängers verheiratet und dadurch in das bestehende Herrschaftsgefüge in Schwaben eingebunden wurde.
Ein Treffen an der Maas vereinigte im Jahr 935 drei Könige, neben Heinrich I. den Burgunder Rudolf II. (912–937) und den gleichnamigen westfränkischen König Rudolf I. (923–936), in einem Freundschaftspakt, in den auch nachgeordnete Herrschaftsträger einbezogen wurden. Nochmals erscheint die amicitia als ein zentrales Moment nicht nur des Verhältnisses unter den königlichen Nachfolgern der Karolinger, sondern auch des Ausgleichs und Aufbaus der inneren Herrschaftsordnung. Trotzdem ist nicht zu verkennen, dass Heinrich I. bei seinem Tod im Jahr 936 weit über die Anfänge als Primus inter pares hinausgewachsen war – nicht nur wegen seiner militärischen Erfolge, sondern auch, weil ein handlungsfähiger Thronfolger seinem Königtum Zukunft und den Großen Kontinuität und Wahrung des offensichtlich viele Ansprüche zufrieden stellenden Status quo versprach.