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1. Die spätkarolingischen Voraussetzungen a) Adel und Königtum im spätkarolingischen Reich
ОглавлениеAls das ottonische Königtum unter der Herrschaft Ottos des Großen längst glanzvoll etabliert war, markierte der sächsische Mönch Widukind von Corvey († nach 973) eindeutig den Beginn dieser Erfolgsgeschichte: Danach hatte Konrad I. (911–918), der erste König des ostfränkischen Reichs, der nicht der karolingischen Familie entstammte, auf dem Sterbebett seinen bisherigen Gegner, den Sachsen Heinrich, zum König designiert (s. Quelle).
Widukind gibt diesem Ereignis eine Deutung, die noch deutsches Geschichtsbewusstsein und deutsche Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert bestimmt hat: Mit Heinrich I. trat nicht nur eine neue Herrscherfamilie auf den Plan, sondern ein ganzes Volk oder, wie man zumeist formuliert hat, ein „Stamm“: Die Sachsen lösten die Franken als politisch dominierendes Volk ab, das Reich König Heinrichs und seiner Nachfolger wird von Widukind deshalb auch als Reich der Sachsen und Franken beschrieben.
Die Erzählung vom Sterbebett König Konrads, die mit abweichenden Details auch in anderen Quellen aus dem Umfeld des ottonischen Königshauses begegnet, lässt erkennen, was für die Königserhebung Heinrichs I. entscheidend war: Der Ausgleich mit den Konradinern, mit der Familie des sterbenden Königs. Aus der Perspektive des weiteren Aufstiegs der neuen Königsfamilie wird verdeckt, dass dieser Ausgleich vielleicht schon einige Jahre früher unter weniger ehrenvollen Umständen stattgefunden hatte: Im Jahr 915 hatte eine militärische Konfrontation mit Konrad I. wohl nicht, wie es Widukind schildert, mit einem Sieg Heinrichs geendet; nach einer überzeugenden These von
Gerd Althoff hat Heinrich vielmehr nicht nur den König anerkannt, sondern dem auch durch einen rituellen Fußfall, die so genannte deditio (s. Kap. II,2,c), Ausdruck gegeben.
Die Übernahme der Königsherrschaft durch Heinrich I. Widukind von Corvey, Sachsengeschichte I,25; Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, hrsg. von A. Bauer und R. Rau, Darmstadt 1971 (FSGA, A, Bd. 8), S. 57.
Der König aber zog nach Bayern und stritt mit Arnulf, und als er hier, wie einige erzählten, verwundet worden war, kehrte er in seine Heimat zurück. Und da er sich krank fühlte in Verbindung damit, dass ihn sein anfängliches Glück verlassen hatte, rief er seinen Bruder, der ihn zu besuchen gekommen war, und sprach zu ihm also: „Ich fühle, Bruder, dass ich dieses Leben nicht länger behalten kann, da es Gott nach seinem Ratschluss so will und eine schwere Krankheit mich zwingt. Deshalb gehe mit dir zurate und sorge, was ja ganz vorzüglich deine Aufgabe ist, für das ganze Frankenreich, indem du auf meinen Rat, den deines Bruders, achtest. Wir können, Bruder, Truppen und Heere aufbieten und anführen, wir haben Burgen und Waffen nebst den königlichen Insignien und alles, was die königliche Würde erheischt; nur kein Glück und keine Eignung. Das Glück, mein Bruder, samt der herrlichsten Befähigung ist Heinrich zuteil geworden, die Entscheidung über das Gemeinwesen liegt in der Sachsen Hand. Nimm darum diese Abzeichen, die heilige Lanze, die goldenen Spangen nebst dem Mantel, das Schwert und die Krone der alten Könige, gehe zu Heinrich und mache Frieden mit ihm, damit du an ihm für immer einen Verbündeten hast …“
Der ethnische Akzent, den Widukind der Übernahme des Königtums durch Heinrich I. gibt, verdeckt ebenfalls Entscheidendes: Konrad und Heinrich waren sich nämlich nicht als Exponenten zweier Stämme gegenübergetreten, sondern als Vertreter zweier Adelsfamilien, die im spätkarolingischen Reich Karriere gemacht hatten und die dabei immer wieder miteinander in Konkurrenz getreten waren: Sie entstammten der Führungselite des karolingischen Großreichs, deren ursprünglich überregionaler Aktionsradius mit dem Begriff „Reichsadel“ angesprochen wird; sie wetteiferten um Nähe zum gleichen karolingischen König und kämpften um Herrschaftsrechte und Besitztümer in einem gemeinsamen politischen Raum, auch wenn die eine Familie ihren Schwerpunkt in Sachsen, die andere in Franken hatte.
Reichsadel Wir verstehen darunter Herrschaftsträger, die für den karolingischen König verschiedene Herrschaftspositionen übernahmen und deren Aktionsraum ursprünglich das ganze fränkische Reich darstellte. Diese Reichsaristokratie nutzte die neuen Möglichkeiten, die sich durch die Expansion des fränkischen Reichs ergaben. Ein besonders wichtiges Aktionsfeld war Sachsen, das unter Karl dem Großen (768–814) in langen Kämpfen dem fränkischen Reich angegliedert worden war. In Sachsen waren wichtige Herrschaftspositionen zu besetzen, die z.T. von einer einheimischen Führungsschicht übernommen wurden, die schon früh von der karolingischen Herrschaft neue Aufstiegsmöglichkeiten erhofft hatte; manche wichtige Herrschaftsposition wurde aber auch von fränkischen oder thüringischen Großen übernommen, sodass wir nicht in jedem Fall mit Sicherheit sagen können, woher die führenden Familien Sachsens, die am Ende des 9. Jahrhunderts hervortreten, eigentlich stammen.
Als erster Herrschaftsträger aus der später Ottonen oder Liudolfinger genannten Familie begegnet in der Überlieferung Graf Liudolf, der im Jahr 845 mit einem Geleitbrief König Ludwigs des Deutschen nach Rom reist, um für eine auf seinem Familienbesitz in Gandersheim zu gründende religiöse Gemeinschaft Reliquien zu erwerben. Der Herrschaftsbereich des mehrere Jahrzehnte im Frankenreich östlich des Rheins regierenden Ludwig bot den weiteren Bezugsrahmen des Aufstiegs der Liudolfinger; einen engeren politischen Raum bildete das regnum Francorum et Saxonum, ein Gebiet, das Sachsen, Thüringen und das ostrheinische Franken umfasste und das seit etwa 865 Ludwigs Sohn Ludwig der Jüngere beherrschte, bis zum Tod des Vaters ohne Königstitel. Dieser ostfränkische Karolinger heiratete Liudolfs Tochter Liudgard; deren Brüder Otto und Brun spielten eine wichtige Rolle am Königshof und nahmen in Sachsen auch Herrschaftsaufgaben wahr. Als der ältere Brun im Jahr 880 an der Spitze eines sächsischen Aufgebotes gegen die Normannen fiel, rückte Otto mit dem späteren Beinamen „der Erlauchte“ an die erste Stelle. Dessen Tochter Oda heiratete wiederum einen Karolinger, Zwentibold, den sein Vater Arnolf als König in Lothringen eingesetzt hatte und der von der starken Stellung der Liudolfinger im sächsisch-niederrheinischen Grenzraum profitieren sollte. Für die Liudolfinger bedeutete das die Rückkehr in die besondere Nähe zum König, nachdem in der Anfangszeit Arnolfs von Kärnten zunächst die Konradiner hervorgetreten waren. Die nahmen dann unter Arnolfs unmündigem Nachfolger Ludwig dem Kind entscheidenden Einfluss auf die Regentschaft, sodass es nur folgerichtig war, dass nach dem schon mit 18 Jahren verstorbenen Karolinger 911 ein Konradiner als Konrad I. zum König erhoben wurde.
Was in der langfristigen Perspektive als epochaler Einschnitt erscheint: die Ablösung der karolingischen Herrscherfamilie, war in der aktuellen Situation tatsächlich nur eine Konsequenz der machtpolitischen Konstellationen und der politisch-sozialen Gruppenbindungen und Loyalitäten. Die zuvor schon dominierende Gruppe am Königshof hatte einen aus ihrer Mitte erhoben und dadurch den machtpolitischen Status quo bewahrt; schon in dieser Perspektive verbot sich eine Wendung zum einzigen handlungsfähigen Karolinger, dem westfränkischen König Karl dem Einfältigen (893/898–923). Der musste sich in seinem Herrschaftsbereich gegen verschiedene Große behaupten, nachdem er erst durch die Absprache mit dem 888 zum König erhobenen Robertiner Odo von Paris zum Königtum gelangt war.