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4. Kultureller Aufschwung: Die „ottonische Renaissance“
ОглавлениеDie Stabilität der Herrschaftsordnung, die unter Heinrich I. erreicht und mit dem Ungarnsieg Ottos I. endgültig gesichert worden war, bot vor allem den geistlichen Gemeinschaften, Klöstern und Bischofskirchen, die äußeren Bedingungen, ihren liturgischen Verpflichtungen in geregelter Weise nachzukommen. Das zu gewährleisten, hatte schon Heinrich I. als vordringliche königliche Aufgabe verstanden; die Bestimmungen der Synoden von Erfurt und Dingolfing, die eine Intensivierung der adeligen Memorialsorge und geregelte Abgaben an die Kirchen vorsahen, dürften nur den Beginn eines kontinuierlichen Mittelzuflusses an Klöster und Bischofskirchen gebildet haben, der vor allem durch zunehmende königliche Schenkungen garantiert wurde. Der Herrschaftserfolg, der dem Königtum etwa Tribute aus dem Slawengebiet im Osten einbrachte, und nicht zuletzt die Erschließung neuer Silberadern im Harz, wo man allerdings auch vor Otto schon Erze gefördert hatte, verschafften dem Herrscher Mittel, die auch den Kirchen zugute kamen. Vor allem aber verfügte der König über Land und Herrschaftsrechte, mit denen Klöster und Bistümer des Reichs ausgestattet wurden.
Zum Wert von klassischer und christlicher Bildung für Brun von Köln Ruotger, Leben des hl. Bruno, Erzbischofs von Köln c.8, hrsg. von H. Kallfelz, Lebensbeschreibung einiger Bischöfe des 10.–12. Jahrhunderts, Darmstadt 1973 (FSGA, A, Bd. 22) S. 191.
Possen und Schauspiele, die in Komödien und Tragödien in verteilten Rollen vorgetragen werden und von denen manche sich zu endlosem schallendem Gelächter hinreißen lassen, las er immer ernst. Der Inhalt bedeutete ihm so gut wie nichts, das stilistisch Vorbildhafte war ihm das Wesentliche. … Wohin nämlich das königliche Hof- oder Kriegslager ihn zog, führte er stets seine Bibliothek wie die Bundeslade mit sich und hatte so zugleich den Gegenstand wie auch das Hilfsmittel seiner Studien bei sich, den Gegenstand in den heiligen, das Hilfsmittel in den heidnischen Büchern.
Die Intensivierung des liturgischen Lebens der Kirche war ein wesentlicher Motor des kulturellen Aufschwungs, der gelegentlich als „ottonische Renaissance“ bezeichnet wird. Wie schon bei den karolingischen Bildungsreformen steigerte die Förderung der lateinischen Liturgie nicht nur den Bedarf an liturgischen Büchern, die in klösterlichen Schreibstuben hergestellt werden mussten, sondern auch das Interesse an der Sprache, die an klassischen Texten geschult wurde. Der Osten des ehemaligen Frankenreichs fand dadurch allerdings nur Anschluss an eine Entwicklung, die im Westen schon früher eingesetzt hatte. Von dort oder aus Italien kamen wichtige Anregungen und vor allem Lehrer und Kirchenleute ins ottonische Reich. Am Hof Ottos des Großen schrieb der noch deutlich in spätantiken und karolingischen Bildungstraditionen Italiens stehende Liudprand von Cremona seine Antapodosis als umfassende Darstellung und Deutung der europäischen Zeitgeschichte. Ein Theologe und Literat ganz eigener Prägung war der im Kloster Lobbes aufgewachsene Rather († 974), der sich weder unter Protektion des italienischen Königs Hugo noch unter der Ottos I. als Bischof in Verona und Lüttich durchsetzten konnte, aber nachhaltige Wirkung als Lehrer des Königsbruders Brun erzielte. Als Leiter der Hofkapelle und Erzbischof von Köln bemühte Brun sich besonders um die Ausbildung des Klerikernachwuchses, wobei die praktischen Bedürfnisse von Liturgie, Diözesanverwaltung und Urkundenwesen im Mittelpunkt standen.
Hofkapelle Seit den Karolingern die Gemeinschaft der Kleriker, die den liturgischen Dienst am Königshof versahen. Der Name leitet sich vom Mantel (cappa) des hl. Martin her, der als Reliquie in der Hofkapelle bewahrt wurde. Mitglieder der Hofkapelle fertigten als Kanzler und Notare die königlichen Urkunden aus; der Erzkapellan war als Erzkanzler zugleich nomineller Leiter des Urkundenwesens. Seit 965 bekleidete der Erzbischof von Mainz diese Position; während der Italienzüge wurde eine eigene Erzkanzlerwürde für Italien vergeben, die seit Konrad II. vom Kölner Erzbischof behauptet wurde.
Nach dem Vorbild Kölns entstanden Domschulen in Magdeburg, Würzburg und an anderen Orten; daneben behielten wichtige Klöster wie Fulda, St. Gallen, St. Emmeram/Regensburg oder Corvey ihren Platz als Zentren literarischer Bildung. Auch in den geistlichen Frauengemeinschaften der ottonischen Familie in Quedlinburg, Gandersheim oder Essen spielte die biblisch und liturgisch geprägte Bildung eine wichtige Rolle. Davon zeugt nicht nur das einzigartige Werk der Hrotsvit von Gandersheim († nach 973), die neben einem Versepos über die Taten Ottos des Großen, das der Konvent dem Kaiser als neuartige Gabe überreichen konnte, und einer Darstellung der Gandersheimer Frühgeschichte auch moralisierende Dramen nach antiken Vorbildernverfasste. In Quedlinburg entstanden in verschiedenen Zeitabschnitten annalistische Aufzeichnungen, und wohl in Nordhausen widmete man den Königen Otto II. und Heinrich II. Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde, die den Herrschern jeweils die Förderung des religiösen Lebens und besonders ihrer Gemeinschaft als Grundbedingung des ottonischen Aufstiegs nahe brachten.
Das neue Interesse an den zeitgeschichtlichen Ereignissen war durch den ottonischen Herrschaftserfolg angeregt, aber es stand nicht in seinem Dienst. Mit der Sachsengeschichte des Widukind von Corvey, der Fortsetzung der Weltchronik des Regino von Prüm († 915), die wohl der spätere Magdeburger Erzbischof Adalbert verfasste, Liudprands Antapodosis oder Hrotsvits Otto-Epos entstanden Werke, die aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln und mit jeweils eigenen Absichten den Aufstieg des ottonischen Königtums darstellen, ohne sich zu einer Hofhistoriographie zu fügen, der man vornehmlich propagandistische und herrschaftslegitimierende Interessen unterstellen könnte. Der König förderte die aufblühenden Bildungszentren gezielt und nahm Anteil an deren Entwicklung. Das machte den ottonischen Hof etwa für den berühmtesten Gelehrten der Zeit interessant, Gerbert von Aurillac (geb. um 950, 999 Papst Silvester II., † 1003), der vor Otto II. eine Disputation mit Othrich († 981), dem Leiter der Magdeburger Domschule, führte. Der Herrscher und seine Interessen waren aber nicht der einzige Antrieb des kulturellen Aufschwungs. Die Schulen der Bischofskirchen und Klös ter wetteiferten miteinander, wobei der Königshof häufig persönliche Verbindungen und Austausch vermittelte.
Die Kommunikation der am Hof zusammenkommenden Bischöfe, Äbte und Gelehrten förderte auch die ottonische Kunst, die als abgrenzbare Epoche bis zum Ende des 11. Jahrhunderts reicht. Herausragende Bischöfe wie Egbert von Trier (977–993), Willigis von Mainz (975–1011) und Bernward von Hildesheim (993–1022) wetteiferten im Kirchbau und zogen Buchmaler, Goldschmiede oder Bronzegießer an sich, um die Liturgie ihrer Kirchen immer prachtvoller auszustatten. In Trier war mit dem namentlich nicht bekannten Gregormeister ein Buchmaler tätig, der die Malschulen auf der Reichenau, in Köln und noch Jahrzehnte später in Echternach entscheidend beeinflusste. Hofkünstler oder eine Hofschule gab es nicht; auch der Herrscher war auf die Leistungen der verschiedenen klösterlichen oder bischöflichen Zentren angewiesen, wenn er Prachthandschriften oder liturgische Gegenstände benötigte, um sie an andere Kirchen zu verschenken. Die in Austausch und Konkurrenz verschiedener Zentren sich entwickelnde ottonische Kunst griff auf spätantike und karolingische Traditionen zurück und verarbeitete aktuelle byzantinische Anregungen, ohne dass sich der Anteil der verschiedenen Einflüsse jeweils genau abgrenzen ließe. Unverkennbar ist die eigene Leistung der Epoche: Erstmals wurden etwa Zyklen von Miniaturen zusammengestellt, die in Evangeliaren und Perikopenbüchern (s. a. Liturgische Bücher) fortlaufend das Leben Jesu illustrierten.
Die Hochzeit Ottos II. mit Theophanu 972 hatte das Interesse an byzantinischer Kultur zweifellos noch verstärkt, doch wurden kulturelle Einflüsse auch schon vorher und nachher auf verschiedenen Wegen vermittelt, vor allem durch den Kontakt mit der byzantinischen Welt Süditaliens. Prachtvolle Zeugnisse byzantinischer Kunst sind sicher nicht ausschließlich mit dem Brautschatz der Kaiserin in den Westen gekommen, dessen Kostbarkeiten die Zeitgenossen beeindruckten, aber nicht zur bloßen Nachahmung anregten.
Liturgische Bücher Evangeliare enthalten die fortlaufenden Texte der vier Evangelien. Perikopenbücher (Evangelistare) bieten die jeweils im Gottesdienst vorgelesenen Abschnitte entsprechend der Reihenfolge der liturgischen Feste. Besonders prachtvolle Evangeliare und Perikopenbücher wurden auf der Reichenau für Otto III. und Heinrich II. hergestellt. Sakramentare enthalten die Gebetstexte und rituellen Anweisungen für den Priester, der die hl. Messe feiert. Aufwändig geschmückte Sakramentare sind etwa in Fulda angefertigt worden; berühmt ist auch das in Regensburg entstandene „Sakramentar Heinrichs II.“.