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3. Otto der Große 936–973 a) Konflikte und Konsolidierung
ОглавлениеDer Herrschaftsantritt Ottos, des ältesten Sohnes des verstorbenen Königs, wird von Widukind als ein glanzvolles Ereignis dargestellt. Demnach wurde Otto in Aachen, in der Pfalzkapelle Karls des Großen, von den Erzbischöfen von Mainz und Köln gesalbt und gekrönt, nachdem ihn die Großen des Reichs in einem weltlichen Akt vor der Kirche nach fränkischer Tradition zum König erhoben und ihm die Treue versprochen hatten. Beim anschließenden Festmahl versahen die Herzöge in feierlicher Weise die Hofdienste (s. Quelle).
Die Königskrönung Ottos I. in Aachen Widukind von Corvey, Sachsengeschichte II.1/II.2, Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, hrsg. von A. Bauer und R. Rau, Darmstadt 1971 (FSGA, A, Bd. 8), S. 85–89.
Und als Ort der allgemeinen Wahl nannte und bestimmte man die Pfalz zu Aachen … Und als man dorthin gekommen war, versammelten sich die Herzöge und die Ersten der Grafen mit der Schar der vornehmsten Ritter in dem Säulenhof, der mit der Basilika Karls des Großen verbunden ist, und sie setzten den neuen Herrscher auf einen hier aufgestellten Thronsessel; hier huldigten sie ihm, gelobten ihm Treue und versprachen ihm Hilfe gegen alle seine Feinde und machten ihn so nach ihrem Brauche zum König. Während dies die Herzöge und die übrige Beamtenschaft taten, erwartete der Erzbischof mit der gesamten Priesterschaft und dem ganzen Volk innen in der Basilika den Aufzug des neuen Königs …
Nachdem man das „Te deum laudamus“ gesungen und das Messopfer feierlich begangen hatte, stieg der König herab und ging in die Pfalz; hier trat er an die marmorne, mit königlicher Pracht geschmückte Tafel und setzte sich mit den Bischöfen und allem Volk; die Herzöge aber warteten auf. Der Herzog der Lothringer, Giselbert, zu dessen Machtbereich dieser Ort gehörte, ordnete die ganze Feier. Eberhard besorgte den Tisch, Hermann der Franke führte die Mundschenken, Arnulf sorgte für die ganze Ritterschaft und für die Wahl und Absteckung des Lagers.
Die ausführliche und einprägsame Darstellung stammt nicht von einem Augenzeugen und entspricht in vielen Details sicher nicht dem Geschehen von 936; vielleicht hat Widukind sich sogar an der Aachener Krönung Ottos II. im Jahr 961 orientiert. Gleichwohl wird ein solcher Krönungsakt den zeremoniellen Beginn der Königsherrschaft Ottos markiert haben, zumal auch seine Urkunden die Herrschaftsjahre des Königs vom 7. August 936 an zählen. Die Entscheidung für Ottos Nachfolge im Königtum dürfte aber schon früher gefallen sein; sie wird von der Forschung zumeist mit dem Jahr 929 verbunden, als Heinrich I. in einer „Hausordnung“ anlässlich der Mannbarkeit Ottos der Königin Mathilde das Witwengut zuwies. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt wurde Otto auch mit der angelsächsischen Königstochter Edgitha verheiratet, die weiteren königlichen Glanz und das religiöse Prestige eines Märtyrers, ihres zweihundert Jahre zuvor getöteten Vorfahren Oswald, in die liudolfingische Familie brachte. Otto wurde dadurch nicht nur über Herzöge und andere Herrrschaftsträger emporgehoben, sondern auch über seine Brüder, den zweitgeborenen Heinrich und den jüngsten, Brun, der für ein geistliches Amt vorgesehen und dem Bischof von Utrecht übergeben wurde.
Möglicherweise ist Otto schon zu dieser Zeit als König bezeichnet, vielleicht sogar gekrönt worden, doch bleiben entsprechende Hinweise einzelner Quellen unsicher. Wahrscheinlich ist aber schon 929/930 unter Mitwirkung der Großen die Entscheidung nicht nur über den Fortbestand des ottonischen Königtums gefallen, sondern auch darüber, dass nur ein Sohn dem Vater als König nachfolgen sollte. Diese Individualsukzession wurde etwa zur gleichen Zeit auch in Burgund und im westfränkischen Reich befolgt, in Abkehr von der karolingischen Praxis, die allen legitimen Königssöhnen einen Anteil an der Herrschaft gewährt hatte. Ob dahinter politische Einsichten und Konzepte standen, wissen wir nicht; die am Ausgang der Karolingerzeit erreichte und die neuen Herrschaftsordnungen tragende Rolle der Großen dürfte es wohl auch unmöglich gemacht haben, einzelne Herrschaftsbereiche nach den Bedürfnissen der Königsfamilien zuzuschneiden und gewachsene Loyalitäten und Bindungen aufzulösen.
Zumindest im ottonischen Reich wurde die Individualsukzession allerdings wohl auch deshalb selbstverständlich, weil vom Tod Ottos I. bis zum Tod des letzten Saliers 150 Jahre später nicht mehr zwischen mehreren Königssöhnen zu entscheiden war. Nur 936 war das anders, und daraus erwuchsen dem neuen König schon bald Probleme, denn es war offensichtlich noch unklar, welche Stellung im Herrschaftsgefüge der zweite Königssohn finden sollte. Auch mit anderen Herrschaftsträgern kam es schon bald zu Konflikten, die der neue König zum großen Teil selbst provozierte: Den Söhnen des verstorbenen Bayernherzogs Arnulf verweigerte er die ungeschmälerte Nachfolge ihres Vaters, vor allem die Übernahme der königlichen Rechte über die Kirche in ihrem Herzogtum. Der Königsmacher von 919, der Konradiner Eberhard, wurde von Otto brüskiert, nachdem er einen schwer durchschaubaren Konflikt mit Gefolgsleuten des Königsbruders Heinrich ausgetragen hatte. Seinem Halbbruder aus der später aufgelösten ersten Ehe Heinrichs I., Thankmar († 938), verweigerte Otto eine bedeutende Herrschaftsposition in Sachsen, und einen weiteren sächsischen Großen, Wichmann († 964), brüskierte der König, indem er bei der Vergabe eines militärischen Kommandos den jüngeren Bruder, Hermann Billung († 973), vorzog.
Hat Otto I. sich mit diesen konfliktträchtigen Maßnahmen am Beginn seiner Herrschaft demonstrativ vom konsensualen Herrschaftsstil des Vaters abgekehrt und einen größeren Herrschaftsanspruch in karolingischer Tradition angemeldet? Sollte das schon durch die Königsweihe in Aachen mit dem anschließenden Hofdienst der Herzöge demonstriert werden? Neben solchen Deutungen, die ein reflektiertes politisches Verhalten mit konzeptionellen und programmatischen Zügen voraussetzen, sind auch Erklärungen möglich, die Fragen der Rangordnung und der personalen Bindungen in den Vordergrund stellen: In die zahlreichen Konflikte waren ja vor allem solche Herrschaftsträger verwickelt, die unter Heinrich I. auf der ersten Stufe der Rangordnung gestanden hatten und die unter dem neuen Herrscher ihre besondere Stellung und ihre Nähe zum König zu verlieren drohten. Dieses Problem hat sich möglicherweise schon deshalb gestellt, weil der neue Herrscher nicht wie sein Vorgänger aus der Mitte der Großen gekommen war. Als Sohn des erfolgreichen Königs Heinrich und Gatte einer angelsächsischen Königstocher stand Otto vielmehr schon vor seinem Herrschaftsantritt über den Großen; er konnte gar nicht in das komplizierte Geflecht aus persönlichen Bindungen, Rangabstufungen und austarierten Ansprüchen eintreten, aus dem schon sein Vater heraus gewachsen war. Vielleicht suchte Otto I. schon deshalb seine Vertrauten und wichtigsten Gefolgsleute in einem anderen Kreis, der von vornherein an den Vorrang des Königs gewöhnt war und diesem auch aufgrund des Alters näher stand als die Generation des Vaters.
Die Konflikte mit der etablierten Führungsschicht, in die auch der Königsbruder Heinrich einbezogen wurde, überstand Otto weniger durch Geschick und militärische Stärke als durch zufällige Wendungen, vor allem den überraschenden Tod des Konradiners Eberhard und des Herzogs von Lothringen, Giselbert, beim handstreichartigen Überfall zweier konradinischer Gefolgsleute des Königs (939). Die Aussöhnung mit Heinrich scheiterte zunächst, weil dieser sich als Nachfolger im lothringischen Herzogtum nicht durchsetzen konnte und sein Heil in einer erneuten, schnell niedergeschlagenen Rebellion gegen den Bruder suchte. Im Jahr 948 wurde dann mit dem Herzogtum Bayern eine Herrschaftsposition gefunden, die dem Anspruch Heinrichs auf Teilhabe an der Königsherrschaft genügte und ihn zu einem der wichtigsten Gefolgsleute Ottos werden ließ. Das war der Abschluss einer Konsolidierungsphase, die den König seit 942/43 nicht nur unangefochten ließ, sondern ihm auch ermöglichte, die königliche Prärogative stärker als sein Vater gegenüber den süddeutschen Herzogtümern geltend zu machen. Auch in Schwaben war ein Mitglied der engsten Königsfamilie, der Königssohn Liudolf, als Herzog eingesetzt worden; die beiden landfremden ottonischen Herzöge wurden mit Frauen aus den etablierten Herzogsfamilien verheiratet, während ein enger Gefolgsmann Ottos, Konrad der Rote, als Herzog in Lothringen eingesetzt und mit der Königstochter Liudgard verheiratet wurde.
Schwaben und Bayern blieben allerdings weiterhin Fernzonen königlicher Herrschaft; präsent war der König vor allem in Sachsen sowie am Niederrhein und im Rhein-Main-Gebiet, wo altes karolingisches Königsgut dem umherziehenden Herrscher und seinem Gefolge Unterkunft und Verpflegung bot. Von diesem beschränkten Bereich unmittelbarer Präsenz und Effizienz königlicher Herrschaft aus wirkte Otto aber zugleich über die Grenzen des ostfränkischen Königtums hinaus: Durch verwandtschaftliche Bindungen zum jungen westfränkischen Karolinger Ludwig IV., der die Schwester Ottos und Witwe des lothringischen Herzogs Giselbert, Gerberga, geheiratet hatte, und zum Robertiner Hugo dem Großen, dem mächtigsten Magnaten im Westfrankenreich, der mit Ottos Schwester Hadwig verheiratet war, wurde der ostfränkische König zum Vermittler in verschiedenen Konflikten des westfränkischen Reichs; im Jahr 948 wurde sogar ein Streit um das Erzbistum Reims auf einer ostfränkischen Synode in Ingelheim entschieden.
An den Kämpfen verschiedener italienischer Großer um die Vorherrschaft südlich der Alpen hatten in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts vor allem die bayerischen und schwäbischen Nachbarn Anteil genommen; jetzt wurde auch Otto I. damit konfrontiert, als Markgraf Berengar II. von Ivrea († 966) sich kurzzeitig an seinen Hof flüchtete und sich in ein Gefolgschaftsverhältnis zum König begab. Als Berengar dann nach dem italienischen Königtum griff und die Witwe seines Gegners, des italienischen Königs Lothar († 950), gefangen setzte, zog Otto über die Alpen und heiratete 951 die inzwischen der Gefangenschaft entkommene Königin Adelheid. Die zeitgenössischen Quellen stilisieren das als Brautfahrt des seit dem Tod Edgithas im Jahr 946 verwitweten Königs; vielleicht war Otto dazu aber auch durch selbstständige Aktionen seines Sohnes, des Schwabenherzogs Liudolf, provoziert worden. Adelheid war dem König allerdings keine Unbekannte: Sie stammte aus dem burgundischen Königshaus, mit dem die Ottonen seit Heinrich I. eng verbunden waren, ihr Bruder, der burgundische König Konrad (937–993), war unter Ottos Schutz aufgewachsen.
Es mögen also verschiedene Verbindungen und Motive gewesen sein, die Otto zum Eingreifen in Italien bewogen. Auch sein weiteres Vorgehen erscheint eher improvisiert als aus einem Guss: Zunächst führte Otto in karolingischer Tradition den Titel eines Rex Francorum et Italicorum; eine Gesandtschaft sollte wohl in Rom über eine Kaiserkrönung verhandeln. Papst und römischer Stadtadel gingen darauf aber nicht ein, und den italienischen Königstitel führte Otto nicht mehr, als er mit Adelheid nach Sachsen zurückkehrte. Die weitere Auseinandersetzung mit Berengar blieb Konrad dem Roten überlassen, der aber offensichtlich seinen Spielraum für eine Übereinkunft falsch einschätzte. Als er mit Berengar im April 952 zum Hof nach Magdeburg zog, weigerte sich Otto drei Tage, den mit königlichen Ehren behandelten Gast zu empfangen; im August des gleichen Jahres wurden Berengar und sein Sohn Adalbert aber auf einem Hoftag in Augsburg von Otto mit dem Königreich Italien belehnt. Die Magdeburger Brüskierung traf auch den Vermittler Konrad, der sich wie zuvor schon der Königssohn Liudolf vom König zurückzog.
Liudolf erscheint als der Verlierer der neuen Situation: Nicht er, sondern sein Onkel Heinrich von Bayern hatte die Interessen des Königs in Italien vertreten und die Königin zur Hochzeit geleitet. Neben dem Bayernherzog spielte auch Adelheid eine wichtige Rolle, die anders als ihre Vorgängerin Edgitha ihre eigenen Ressourcen mitbrachte, darunter ihr familiäres Erbe in Burgund sowie bedeutende Besitztümer und Herrschaftsrechte in Ober- und Mittelitalien, Morgengabe des italienischen Königs Lothar. In der familiären Rangordnung wurde die Position Liudolfs unsicher; durch die Erwartung weiteren männlichen Nachwuchses drohte wohl auch die Thronfolge, bisher eine klare Perspektive für den einzigen Königssohn, wieder zum Problem zu werden. Ein großes Gelage im thüringischen Saalfeld versammelte Liudolfs Anhänger: Wie bei anderen Konflikten der Zeit bildete das den Auftakt zu einer schnell um sich greifenden Verschwörung, denn nicht einzelne Anhänger mussten gewonnen werden, sondern längerfristige Gruppenbindungen waren abzurufen, die rasch aktiviert werden konnten. Ohne den König direkt anzugreifen, konnte Liudolf dessen Aktionsraum immer weiter eingrenzen, sodass Otto schließlich in Franken keine Möglichkeit mehr fand, um etwa das Weihnachtsfest in angemessener Weise zu feiern, und sich nach Sachsen zurückziehen musste. Auf mehreren Hoftagen führten Liudolf und Konrad der Rote Klage nicht gegen den König, sondern gegen dessen Bruder, den Bayernherzog. Den trafen auch Liudolfs militärische Aktionen am härtesten, sodass er sogar aus seiner Residenz Regensburg fliehen musste; in Schwaben vertrat nur noch Bischof Ulrich von Augsburg (923–973) die Sache Ottos und Heinrichs.
Trotz vieler Vermittlungsbemühungen vor allem des Mainzer Erzbischofs Friedrich (937–954) und mehrfacher persönlicher Begegnungen der Kontrahenten kam kein Ausgleich zu Stande, bis der überraschende Einfall der über die Situation bestens informierten Ungarn das Blatt wendete. Diese waren zwar nicht von den Verschwörern gerufen worden, doch hatten Konrad und Liudolf ihnen zumindest Führer gestellt, um die Gefahr nach Westen abzulenken. Dadurch in Erklärungsnot geraten, trennten sich Konrad und der Mainzer Erzbischof, der sich nach dem Scheitern seiner Vermittlungsbemühungen ebenfalls gegen den König gestellt hatte, von Liudolf, der sich schließlich dem Vater unterwerfen musste. Mit Unterstützung aus allen Teilen des Reichs konnte sich der König jetzt den Ungarn entgegenstellen, die von der zähen Verteidigung der Bischofsstadt Augsburg unter Bischof Ulrich aufgehalten worden waren. Während sächsische Kontingente im Kampf mit Slawen standen, kam es 955 auf dem Lechfeld zur Schlacht, die mit der vollständigen Niederlage der Ungarn endete. Zahlreiche ungarische Anführer ließ Herzog Heinrich am Galgen hinrichten; gleichzeitige Siege der Sachsen vervollständigten den Triumph des Königs, dessen Stellung jetzt nicht nur gefestigt, sondern noch überhöht worden war. Der spektakuläre Sieg über den gefährlichen Feind, der sich nie wieder im ostfränkischen Reich zeigte und in den nächsten Jahrzehnten überhaupt von den Raubzügen durch Europa abließ, wurde mit Dankgottesdiensten gefeiert und ging langfristig in das liturgische Gedenken der Ottonen ein.