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Geleitwort von Stephan Heckers

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Wir kennen die Schizophrenie nicht. Viele fragen, ob es sie überhaupt gibt. Aber das Wort ist weiterhin in Gebrauch, als Floskel im Alltag und als klinische Diagnose. Seit mehr als 100 Jahren versuchen Wissenschafter, die Schizophrenie aus dem Dunst der klinischen Praxis in das Licht der wissenschaftlichen Erforschung zu ziehen. Bis jetzt mit geringem Erfolg.

Dieses Buch von Ludger Tebartz van Elst ist ein Versuch, den Dunstschleier zu lichten. Es ist geschrieben für alle, die sich für psychiatrische Fragen interessieren. Es ist zugänglich für Laien, bereitet aber auch genügend Neues für Kliniker und Wissenschaftler.

Der Autor ist ein Neuropsychiater und er begreift die Schizophrenie als ein Problem der klinischen Neurowissenschaft: wir müssen das Gehirn studieren, um die Person zu verstehen. Begriffe der klinischen Psychiatrie werden erklärt als Funktionen des Gehirns. Aber der Autor ist auch geschult in klassischen Sprachen und der Philosophie. Das macht es ihm möglich, die Schizophrenie nicht nur als medizinisches Problem, sondern auch als soziales und allgemeinwissenschaftliches Konstrukt zu diskutieren. Er analysiert treffend, dass Verrücktheit von der Weite des sozialen Raumes abhängt und plädiert überzeugend für eine multikategoriale Normalität.

Mit seiner Analyse praktizert er eine kritische Vernunft, die weit hinaus geht über die üblichen Bekenntnisse zum beschränkten Wissen der Medizin. Er ist sich bewusst, dass wir wenig Fortschritt gemacht haben in der Erforschung der Schizophrenie. Er schildert seine eigene Demütigung als Arzt und Lehrer, wenn er die Schizophrenie erklären will, obwohl wir so wenig wissen.

Aber die kritische Bestandsaufnahme führt nicht zur Resignation. Ludger Tebartz van Elst zeigt uns, wie wir Fortschritt machen können in der Psychiatrie: durch wissenschaftliche Entdeckung und durch begriffliche Klärung. Beide Wege sind nötig, um ein wissenschaftliches Paradigma zu formulieren, zu kritisieren und dann zu ersetzen. Dieses Buch macht den Versuch, die dialektische Bewegung von Theoriebildung und Kritik weiterzuführen: vom Anfang bis zum Ende der Schizophrenie.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Psychiatrie voller Hoffnung, dass die Ursachen und Pathogenesen psychiatrischer Erkrankungen geklärt werden können. Syphilis diente als Vorbild: viele Symptome, Syndrome und Krankheitsbilder konnten zurückgeführt werden auf eine Ursache. Aber bald zeigte sich, dass die Psychosen vielfältig sind, mit vielen Symptomen, mehreren Syndromen und unterschiedlichen Verlaufsbildern. Für einige Psychosen konnte eine Ursache gefunden werden (sie waren sekundär zu einem anderen Krankheitsbild), aber die meisten blieben unerklärt (sie waren primär).

Dieses Buch möchte das kausale Denken wieder in die Klassifikation psychischer Störungen einführen. Das neunte Kapitel ist das Zentrum der Argumentation. Hier beschreibt der Autor Syndrome, die als Beispiel dienen für eine psychiatrische Klassifikation nach der Abschaffung der Schizophrenie. Stoffwechselstörungen, paraepileptische Psychosen und Entzündungen des Gehirns werden beschrieben als Krankheitsbilder, die heute oft noch als Schizophrenie diagnostiziert und behandelt werden, aber für die wir schon heute Beweise haben, sie als sekundäre Psychosen zu definieren. Die autoimmune Enzephalitis ist von besonderem Interesse, da sie mechanistische Modelle auf der zellulären und molekularen Ebene ermöglicht. Die Validierung der sekundären Psychosen durch immunsupressive Behandlung (dargestellt mit Fallbespielen aus der Praxis des Autors und aus der Literatur) ist klinisch beeindruckend und nosologisch eindeutig.

Zweifel kommen aber dennoch auf. Zum einen ist der kausale Zusammenhang zwischen den biologischen Veränderungen und dem klinischen Bild nicht klar. Zum anderen zeigt die Mehrzahl der Patienten, die mit Schizophrenie diagnostiziert werden, keine dieser biologischen Veränderungen. Aber der Autor ist zuversichtlich, dass wissenschaftliche Entdeckungen die Lücke schließen werden.

Die Psychiatrie braucht Kritiker wie Ludger Tebartz van Elst. Sein Buch erinnert uns, dass im Zentrum der psychiatrischen Klassifikation nicht die Diagnose steht, sondern ein Mensch lebt. Es ist unsere Aufgabe als Kliniker und Wissenschaftler, die Besonderheiten menschlichen Erlebens zu begreifen und, wenn nötig, heilend zu helfen. Wenn Diagnosen diesem Auftrag im Wege stehen, dann müssen wir sie ändern.

Prof. Dr. Stephan Heckers

Nashville, TN, USA im Juli 2017 zur 1. Auflage

Vom Anfang und Ende der Schizophrenie

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